Lunch-Talk von AI Hub Europe: Deutsche KI-Strategie auf dem Prüfstand
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Die Bundesregierung hat im November ihr 80-seitiges Strategiepapier zur künstlichen Intelligenz (KI) veröffentlicht. Das Dokument beschreibt Maßnahmen, die in den nächsten sechs Jahren geplant sind, damit Deutschland in diesem Bereich besser vorankommt. Doch was bringt diese Strategie? Wie realistisch sind die Ziele, die unsere Regierung erreichen will? Über solche Fragen diskutierten KI-Experten aus Politik und Wirtschaft am Dienstag beim Lunch-Talk von AI Hub Europe im Telefónica BASECAMP.
Es war bereits das dritte Mal, dass AI Hub Europe zu seinem Lunch-Talk eingeladen hatte. Die Veranstaltungsreihe des Internet-Portals für Nachrichten und Analysen über künstliche Intelligenz wollte nicht nur der Bundesregierung auf den Zahn fühlen, sondern auch einschätzen, ob KI neue ethische Prinzipien benötigt – und wie man sie umsetzen kann. „In den vergangenen Monaten wurde sehr viel über künstliche Intelligenz diskutiert“, sagte der Moderator Daniel Abbou, Mitgründer von AI Hub Europe, in seinen einleitenden Worten.
Das gilt auch für Telefónica Deutschland, denn das Unternehmen nutzt selbst Algorithmen und KI in den verschiedensten Bereichen: von der Optimierung des Mobilfunknetzes über den digitalen Assistenten Aura bis zu Datenanalysen für die Verkehrsplanung. „Und deshalb hat Telefónica Deutschland vor einigen Tagen ethische Prinzipien veröffentlicht“, sagte Markus Oliver Göbel, Pressesprecher des Telefónica BASECAMP, als er die neuen Grundsätze dem Publikum vorstellte. Sie dienen als Orientierung bei der Arbeit mit Datenanalysen und künstlicher Intelligenz, um den positiven Einfluss dieser Techniken auf die Gesellschaft zu unterstützen.
KI-Strategie: Angestrebte Ziele schwer erreichbar
Bei der anschließenden Panel-Diskussion sagte Daniel Abbou, dass die KI-Strategie für Deutschland vor allem auf zwei wichtigen Punkten basiert: Die Bundesregierung hat drei Milliarden Euro für die KI-Forschung genehmigt und damit sollen auch 100 neue Professorenstellen besetzt werden. „Das klingt ja zunächst ganz gut“, sagte Tina Klüwer, Mitgründerin und CEO des KI-Startups parlamind sowie Mitglied der Enquete-Kommission für künstliche Intelligenz des Bundestages.
Bei genauerer Betrachtung sei jedoch erkennbar, dass die angestrebten Ziele mit dieser Summe kaum erreichbar sind. Als Vergleich führte sie die geplanten Investitionen in China und den USA an, die bei mehr als 500 Milliarden Dollar lägen. Auch die 100 neuen Professuren stellte Klüwer in Frage: „Das wird schon wegen des Fachkräftemangels sehr schwierig“, sagte die Expertin und bekam Zustimmung von Lars Zimmermann, Managing Director der Firma PUBLIC, die öffentlichen Einrichtungen bei der Digitalisierung hilft. Unternehmen wie Facebook, Google oder Amazon könnten deutlich mehr zahlen als die Bundesländer mit ihrem „langweiligen Besoldungsrecht“, sagte Zimmermann.
Das sei ein trauriger Umstand, befand Stefan Heumann, Politikwissenschaftler und Mitglied des Vorstands der Stiftung Neue Verantwortung, der auch zur KI-Enquete des Bundestages für künstliche Intelligenz gehört. Schließlich sei das Expertenwissen in Deutschland und Europa durchaus vorhanden. „Bei fast jedem KI-Startup im Silicon Valley findet sich schnell ein Deutscher, wenn man sich mit ihnen unterhält“, sagte Heumann. Und auch die Google-Tochter, die 2016 den weltbesten Go-Spieler Lee Sedol mit ihrer künstlichen Intelligenz AlphaGo schlug, sei keine Gründung des amerikanischen Suchmaschinenkonzerns. DeepMind ist ein Startup aus London, das von Google gekauft wurde.
Deutsche Behörden: Zuerst funktionierende Rechner nötig
Als wichtigsten Kritikpunkt an der KI-Strategie der Bundesregierung nannte Heumann die „fehlende kritischen Betrachtung des Ist-Zustandes“. Denn die grundlegende Schwäche von Deutschland sei der allgemeine Rückstand in der Digitalisierung. Die Politik habe wichtige Trends verpasst oder zu spät erkannt. „Im Vergleich zu den Niederlanden, Dänemark oder Estland liegt unsere Verwaltung zehn bis 15 Jahre zurück“, sagte auch der Behördenexperte Lars Zimmermann. Bevor man dort überhaupt an KI-Anwendungen denken könne, seien erst einmal flächendeckend funktionierende Rechner in den deutschen Amtsstuben nötig.
Auf die Frage, ob eine nationale Strategie überhaupt sinnvoll ist, wenn es um eine globale Technik wie KI geht, antwortete Zimmermann: „Um international mithalten zu können, braucht es eine europäische Lösung.“ Dabei lobte er die Vorgehensweise in Frankreich: Staatspräsident Emmanuel Macron habe eine Geschwindigkeit und Entschlossenheit entwickelt, die auch Weltkonzerne beeindruckt. Deshalb bündelt beispielsweise Google seine europaweite KI-Forschung in Paris. Stefan Heumann entgegnete, dass er durchaus eine Rolle für die Nationalstaaten sieht. Allerdings sei die Arbeitsteilung zwischen den Ländern und der Europäischen Union nicht ausreichend geklärt. Statt eine eigene KI-Strategie für Europa zu entwickeln, solle Brüssel sich darauf konzentrieren, die besten Ansätze der Mitgliedsstaaten aufzugreifen und zusammenzuführen.