Gutachten zum Telekommunikationsrecht: Frequenzregulierung nicht europarechtskonform

Grafik: Shutterstock/kanvictory und SVG Repo/CC0 1.0
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Veröffentlicht am 22.03.2021

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Über 66 Milliarden Euro haben die Mobilfunkunternehmen in den letzten 20 Jahren für Frequenznutzungsrechte in Deutschland bezahlen müssen. Die kostspieligen Auktionen haben dazu geführt, dass die Unternehmen nicht mehr in ausreichendem Maße in die Netzinfrastruktur investieren konnten und ein enormer Kostendruck im Markt entstanden ist. Trotz dieser negativen Folgen hat sich die Bundesregierung mit ihrem Entwurf zur Novelle des Telekommunikationsgesetzes (TKG-E) für eine Fortführung der gesetzlichen Vorfestlegung auf die (für den Staat lukrative) Auktion ausgesprochen. Ein neues Gutachten von Prof. Christian Koenig vom Zentrum für europäische Integrationsforschung in Bonn sieht darin einen Verstoß gegen die Vorgaben des Europäischen Kodex für Elektronische Kommunikation (EECC).

TKG-Entwurf schränkt Ermessensspielraum der Bundesnetzagentur europarechtswidrig ein

Der Europäische Rechtsrahmen für das Telekommunikationsrecht (EECC) räumt in Art. 55 Abs. 2 den nationalen Regulierungsbehörden (in Deutschland ist das die Bundesnetzagentur) umfangreiche Beurteilungs-, Abwägungs- und Ermessensbefugnisse ein bei der Wahl eines geeigneten Verfahrens zur Vergabe von Frequenznutzungsrechten.

Der deutsche Entwurf der TKG-Novelle schränkt diese europarechtlich vorgesehenen Spielräume für die Bundesnetzagentur deutlich ein. Bei Feststellung der Frequenzknappheit gem. § 90 Abs. 9 TKG-E wird das Vergabeverfahren festgezurrt, und aufgrund der gesetzlichen Vorprägung zugunsten der Versteigerung im § 99 Abs. 2 TKG-E läuft es fast automatisch auf eine Auktion hinaus – und missachtet so die EU-Vorgaben. Durch die Vorfestlegung auf das Versteigerungsverfahren in § 99 Abs. 2 TKG-E werden faktisch andere Möglichkeiten zur Bereitstellung von Frequenznutzungsrechten ausgeschlossen. So zum Beispiel die Verlängerung bereits bestehender Frequenznutzungsrechte oder die Ausschreibung. Dabei wären andere Verfahren besser geeignet, eine Steigerung des privatwirtschaftlichen Infrastrukturausbaus auszulösen und folglich den Qualitäts- und Preiswettbewerb im deutschen Telekommunikationsmarkt zu fördern.

EU sieht Verlängerung bestehender Frequenznutzungsrechte als Regelfall an

Die Verlängerung der Nutzungsrechte in bereits für die Mobilfunkversorgung genutzten Frequenzen mit einer Laufzeit unterhalb von 20 Jahren sieht Art. 49 Abs. 2 EECC als Regelfall vor. Hiervon weicht der TKG-E ohne guten Grund ab. Der in § 91 Abs. 2, 3 TKG-E normierte Mechanismus der Verlängerung von Frequenznutzungsrechten steht im Widerspruch zu den Vorgaben des europäischen Gesetzgebers. Durch eine Verweisung auf das in § 90 Abs. 9 TKG-E genannte Bedarfsermittlungsverfahren und die in Folge der Knappheitsfeststellung greifende gesetzliche Vorprägung der Versteigerung gem. § 99 Abs. 2 TKG-E hebelt der deutsche Gesetzentwurf den Regelfall der Verlängerung schlichtweg aus.

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Die Systematik der Frequenzverlängerung in § 91 TKG-E ist aufgrund intransparenter Verweisungen auf zahlreiche andere Regelungen des TKG-E praktisch unverständlich. Dem Leser der Norm drängt sich der Eindruck auf, dass mit dem Gesetzesentwurf und seinem § 91 TKG-E vielleicht sogar eine nicht anwendbare Regelung geschaffen werden soll.

Europarechtswidrige Ausgestaltung im TKG-E birgt erhebliche Risiken

Ein Rechtsgutachten von Univ.-Prof. Dr. Christian Koenig (Direktor am Europäischen Zentrum für Integrationsforschung an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn) kommt zu dem Ergebnis, dass die Systematik der Frequenzvergabe im Regierungsentwurf des TKG-E in europarechtswidriger Weise von den Vorgaben des EECC abweicht.

Eine nicht unionsrechtskonforme Ausgestaltung des TKG birgt das massive Risiko, dass das nationale Gesetz im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) verworfen werden könnte. Dies war bereits bei der umstrittenen Regelung des § 9a TKG („Regulierungsferien“) der Fall, die Mitte der 2000er Jahre entgegen allen Warnungen beschlossen wurde. Der EuGH hat diese legislativen Vorfestlegungen des nationalen Gesetzgebers, die den Beurteilungs- und Abwägungsspielraum der Bundesnetzagentur einengten, als europarechtlich unzulässig verworfen. Das könnte auch der nun vorgeschlagenen verengten Frequenzregulierung blühen. Noch hat der Gesetzgeber die Möglichkeit, diese drohende Rechtsunsicherheit abzuwenden.

Veröffentlichung des Gutachtens von Prof. Christian Koenig:

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