Serie Gen Z und ihre Eltern: „Offline Sein ist eine zentrale Medienkompetenz“ (Sophie Pohle, Deutsches Kinderhilfswerk)

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Veröffentlicht am 15.09.2022
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Was würde ein kindgerechtes Internet bedeuten? Wie ist der Online-Kinderschutz in Deutschland gesetzlich aufgestellt? Und was müssen Kinder können, um sicher und produktiv in Sozialen Netzwerken unterwegs zu sein? Das und mehr haben wir Sophie Pohle vom Deutschen Kinderhilfswerk gefragt.

Das Deutsche Kinderhilfswerk ist eine Kinderrechtsorganisation, die sich seit mehr als 50 Jahren für die Kinderrechte, ihre Bekanntmachung und Umsetzung, einsetzt. Dabei setzt der Verein unter anderem Schwerpunkte bei den Themen Kinderarmut, Kinder- und Jugendbeteiligung und Medienkompetenz. Für das Deutsche Kinderhilfswerk ist dabei zentral zu vermitteln, dass Kinder auch online Rechte haben. So drängt es in seinem Kernforderungspapier für digitale Teilhabe auf ein kindgerechtes Internet.

Logo: Deutsches Kinderhilfswerk e.V.

Sophie Pohle ist Referentin für Medienbildung in der Koordinierungsstelle Kinderrechte, ein vom Bundesfamilienministerium gefördertes Projekt. Sie lobbyiert für Kinderrechte in der digitalen Welt und begleitet Gesetzgebungsverfahren, so zum Beispiel beim Jugendschutzgesetz und dem Jugendmedienschutzvertrag in Deutschland. Nicht zuletzt beauftragt die Koordinierungsstelle auch Studien, schult Fachkräfte und stellt Informationsmaterial für Eltern und Kinder bereit.

Frau Pohle, wenn wir über Social Media nachdenken, denken wir oft an Radikalisierung, an Einsamkeit, an Datenmissbrauch oder Cybergrooming. Sind Soziale Medien wirklich so schlecht wie ihr Ruf?

Das ist eine komplexe Frage. Man muss erst einmal feststellen, dass Soziale Medien ursprünglich nicht für Kinder entwickelt wurden. Wir wissen, dass sie dort verschiedensten Risiken ausgesetzt sind: Cyber-Mobbing, Cyber-Grooming, Hate-Speech, aber natürlich auch nicht-kindgerechten Inhalten. Entwicklungsbeeinträchtigende Inhalte wie Desinformationen spielen natürlich ebenfalls eine Rolle. Insofern kann man sagen, dass natürlich gewisse Risikolagen in Sozialen Medien entstehen. Wir sehen dabei vor allem die Notwendigkeit, Kinder zu stärken, mit Risiken umzugehen, wenn sie auf diese treffen. Gleichzeitig ist aus kinderrechtlicher Sicht auch immer wichtig, die Potenziale zu berücksichtigen.

Hätten Sie es gewusst...?

Wie viel Prozent der 14- bis 29-Jährigen in Deutschland nutzen täglich soziale Medien, Suchmaschinen und andere Online-Dienste?

Frage 1 / 10:

Wie viel Prozent der 14- bis 29-Jährigen in Deutschland nutzen täglich soziale Medien, Suchmaschinen und andere
Online-Dienste?

Question Image

Was verstehen Sie als Potenziale?

In Sozialen Netzwerken geht es vor allem um Vernetzung und Austausch. Das kann gefährlich sein, ist aber auch essentiell für die Entwicklung des Kindes. In Sozialen Medien können Kinder ihre eigene Persönlichkeit verwirklichen, teilhaben, sich kreativ ausdrücken und ihren Alltag aktiv gestalten. Das Digitale gehört ja ganz selbstverständlich dazu, sie wachsen in diesen digitalisierten Welten auf und unterscheiden gar nicht mehr wie wir Erwachsene in online und offline. Das ist sozusagen eine sehr erwachsene Perspektive.

In seinem Kernforderungspapier für digitale Teilhabe spricht das Kinderhilfswerk auch von einem kindgerechten Internet. Was heißt das?

Das heißt das Internet in all seinen Formen und Facetten vom Kind her zu denken. Wir beziehen uns hier auf die UN-Kinderrechtskonvention, die den Dreiklang von Schutz, Teilhabe und Förderung in den Blick nimmt. Kindgerechtes Internet bedeutet, dass wir eine Vielfalt an Angeboten für Kinder zugänglich machen. So dass sie sich informieren, kommunizieren, aber auch Unterhaltung genießen und Spiele spielen können. Dazu braucht es natürlich niedrigschwellige und chancengerechte Zugänge.

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Es braucht Räume, in denen sie sich geschützt bewegen und gleichzeitig erproben können. Außerdem bedarf es niedrigschwelliger Unterstützungs- und Hilfsstrukturen. Dass sie beispielsweise in Sozialen Medien auch einfach und effizient Dinge melden können, die ihnen unangenehm sind, die sie ängstigen. Und dann tatsächlich auch etwas passiert.

Das klingt vor allem nach einer Aufgabe der Plattformbetreiber.

Unter anderem, ja. Kindgerechtes Internet bedeutet, dass die Anbietenden, die Medienunternehmen eine große Verantwortung tragen. Wir fordern zum Beispiel, dass sie ihre Dienste mit kindgerechten Voreinstellungen versehen. Jetzt ist es ja in der Regel so, dass bei Anmeldung erst einmal alles offen ist und man muss im Nachhinein die Privatsphäre- und Sicherheitseinstellungen ändern.

Außerdem ist es aus kinderrechtlicher Perspektive natürlich ganz wichtig, die Kinder selbst zu beteiligen bei der Entwicklung beispielsweise von Kinderangeboten, sie auch mitgestalten zu lassen. Kinder sollten als Innovationstreibende mit eingebunden sein, denn sie haben das Recht, sich auch wirklich in allen Angelegenheiten, die sie betreffen, Gehör zu verschaffen und mitzubestimmen.

Wie ist die Bundesrepublik hier im Sinne eines kindgerechten Internets aufgestellt?

Da hat sich in den letzten Jahren einiges getan. Das gilt unter anderem für die Gesetzgebung. Wir hatten im Mai letzten Jahres die Novellierung des Jugendschutzgesetzes, das vor allem den Blick auf die Rechte von Kindern und Jugendlichen in digitalen Umgebungen noch einmal sehr stark gesetzt hat. Das geht aus unserer Sicht absolut in die richtige Richtung. Vor allem da hier die UN-Kinderrechtskonventionen explizit als Orientierungsmatrix für den Gesetzestext genommen wurden. Es wird eine einheitliche Alterskennzeichnung von Inhalten geben, aber auch eine Kennzeichnung für Soziale Netzwerke von Interaktionsrisiken, auf die Kinder und Jugendliche dort treffen könnten. Gleichzeitig werden mit dem novellierten Jugendschutzgesetz Anbieter viel stärker in die Verantwortung genommen, um Vorsorgemaßnahmen zu treffen. Beispielsweise, indem sie effiziente Hilfe- und Meldemöglichkeiten zur Verfügung stellen müssen, oder auch ihre AGB kindgerecht darstellen müssen. Parallel läuft auch noch das Bestreben, den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag zu novellieren, hier wünschen wir uns, dass das ineinandergreifen wird mit dem Jugendschutzgesetz.

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Gleichzeitig beobachten wir, dass bezüglich des deutschen Rechtsrahmens die Internationalität des Digitalen zunehmend an Bedeutung gewinnt. Zum einen hat der Kinderrechtsausschuss der Vereinten Nationen letztes Jahr im März einen neuen General Comment veröffentlicht. Dieser General Comment gibt den Vertragsstaaten, die die UN-Kinderrechtskonvention gezeichnet haben, noch einmal konkrete Hinweise für die Umsetzung von Kinderrechten, also von Schutz, Teilhabe und Förderung im digitalen Raum. Das Jugendschutzgesetz ist daran sehr gut anschlussfähig, weil sich die zentralen Gedanken der Vereinten Nationen schon darin spiegeln.

Und auf EU-Ebene?

Die EU hat erkannt, dass es wichtig ist, den digitalen Raum zu regulieren und hat den Digital Services Act auf den Weg gebracht. Dieser wird in den nächsten Jahren viel Einfluss nehmen auf den deutschen Kinder- und Jugendmedienschutz. Auch dort sind Anbieter-Verantwortung und Schutzmaßnahmen, die die Anbietenden treffen müssen, verankert. Wie genau sich das auf den deutschen Kinder- und Jugendmedienschutz auswirken wird, wird sich zeigen. Eine erste Einschätzung ist, dass der Digital Services Act an einigen Stellen verpasst hat, die Interessen und Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen in den Blick zu nehmen, daher in der Formulierung von Schutzmaßnahmen, welche Anbietende wie Google, Facebook etc. treffen müssen, weniger konkret ist als das Jugendschutzgesetz.

Jenseits von der Gesetzgebung, fördert und fordert das Kinderhilfswerk auch eine bessere Medienkompetenz für Kinder. Welche Kompetenzen sollten Kinder haben, um sicher auf Sozialen Netzwerken unterwegs zu sein?

Medienkompetenz ist ja erst mal eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Das heißt, hier müssen Politik, Bildungseinrichtungen beziehungsweise pädagogische Fachkräfte, aber eben auch Eltern und Familien und die Medien-Anbietenden ihrer Verantwortung für ein gutes Aufwachsen mit Medien gerecht werden und dafür sorgen, dass natürlich letztlich Kinder und Jugendliche die Chancen, die ganze digitale Medienwelt bietet, erkennen und auch nutzen, aber eben auch die Risiken kennen und einschätzen können und dementsprechend handlungsfähig sind. Das ist ganz wichtig: Es geht bei dem Thema Medienkompetenz nicht nur um eine technische Kompetenz, sondern vor allem auch um eine Kompetenz in den Bereichen Analyse und Reflektion von Medieninhalten einerseits, aber auch von dem eigenen Nutzungsverhalten andererseits.

Und es geht um Kompetenz im Bereich informieren und kommunizieren, also soziale Kompetenz. Oder auch in der kreativen Gestaltung, d.h. dass man Medien aktiv produzieren und mit ihnen umgehen kann – ein Teil der Teilhabe. Außerdem sollten Kinder ein Bewusstsein für die eigenen Rechte im Netz, aber eben auch für die Rechte von anderen, entwickeln.

„Aber medienkompetent zu sein heißt auch, dass man attraktive analoge Freizeitalternativen wahrnimmt und auch mal ausschalten kann und sich von dem ganzen Druck, der auch durch Social-Media-Nutzung entsteht, freimachen kann.“

Sophie Pohle beim WAKE UP! Cybermobbing Workshop am 12.02.2020 | Foto: Falco Peters

Also würden Sie sagen, die Fähigkeit zum Offline-Sein ist auch eine Art digitaler Medienkompetenz?

Ja, die Fähigkeit zum bewussten Offline-Sein ist eine zentrale Medienkompetenz. Das ist wichtig. Und da sind natürlich auch Eltern gefragt, dass sie mit ihren Kindern auch andere Sachen machen und alternative Freizeitangebote anbieten. Und das gilt auch für den Staat. Kinder haben nach den Kinderrechtskonventionen das Recht auf Spiel, Freizeit und kulturelle Teilhabe und dafür müssen auch die Vertragsstaaten und somit auch Deutschland sorgen. Aber insbesondere natürlich durch die Pandemie ist das ganz schön unter die Räder gekommen.

Vielen Dank für das Interview, Frau Pohle!

Mehr Informationen:

Desinformation und Radikalisierung im Netz: Interview mit Alice Echtermann (CORRECTIV)
WAKE UP! Initiative: Ein Jahr Peer-to-Peer-Beratung über Cybermobbing

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