WAKE UP! Initiative: Ein Jahr Peer-to-Peer-Beratung über Cybermobbing

Lukas Pohland und Mirko Drotschmann | Foto: Falco Peters
Lukas Pohland und Mirko Drotschmann | Foto: Falco Peters
Veröffentlicht am 07.06.2022

Jede:r sechste Schüler:in ist von Cybermobbing betroffen. Damit werden junge Menschen täglich online erniedrigt und ausgegrenzt. Vor rund einem Jahr hat  O2 Telefónica zusammen mit dem Cybermobbing-Hilfe e.V. deshalb die erste spezialisierte Cybermobbing-Beratungsstelle WAKE UP! gelauncht. Eine Evaluation der TU Berlin offenbart den Erfolg des Konzepts – aber auch hohen Beratungsbedarf.

In der Öffentlichkeit wird oft Hatespeech oder Hassrede als negatives Online-Phänomen diskutiert. Während damit zumeist eine gruppenbezogene Form verbaler Gewalt gemeint ist, hat Cybermobbing ganz eigene Besonderheiten mit verheerenden Folgen. Die Mobbenden kennen in der Regel ihre Opfer, zumindest über digitalen Kontakt. Es ist Einzelperson-bezogen, was besonders bei jungen Menschen dazu führt, dass die Gemobbten mit ihrem Leid allein bleiben. Und obwohl das Mobbing-Verhalten regelmäßig auch gesetzliche Grenzen überschreitet, bleibt eine Reaktion des Umfelds oft aus.

Cybermobbing gegen junge Menschen

Lukas Pohland | Foto: Falco Peters

Selbst von Cybermobbing betroffen, bar einer Anlaufstelle, gründete der damals 13-jährige Schüler Lukas Pohland den Verein Cybermobbing-Hilfe e.V. Seitdem betreibt der Verein mit Lukas als Vorsitzenden aktiv Präventionsarbeit gegen Cybermobbing und hilft betroffenen Kindern und Jugendlichen durch ein Beratungsangebot. Telefónica kooperiert im Zuge der Initiative WAKE UP! mit dem Verein und der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia-Dienstanbieter e.V. (FSM). Das Bündnis stellt nicht nur das Portal wakeup.jetzt mit einem umfassenden Informationsangebot zum Thema Cybermobbing zur Verfügung, sondern hat auch die bundesweit erste spezialisierte Cybermobbing-Beratungsstelle eingerichtet.

Ein Jahr nach dem Launch der auf dem Peer-Prinzip basierenden Beratung, also von geschulten Jugendlichen für Jugendliche, hat die Erziehungswissenschaftlerin Katrin Lietz (TU Berlin) die Daten des Projekts evaluiert.

Ein hoher Beratungsbedarf – vor allem bei Mädchen

Lukas Pohland und Katrin Lietz | Foto: Falco Peters

Dabei ist besonders der hohe Beratungsbedarf deutlich geworden. 568 Jugendliche nutzten im ersten Jahr die Plattform und wendeten sich mit einem Anliegen an die Cybermobbing-Hilfe. Erstaunlich ist, dass fast alle, die sich registrierten, auch direkt eine Anfrage gestellt haben. Insgesamt wurden 811 Nachrichten über die Plattform gesendet. Die Gesamtberatungszeit lag bei über 90 Stunden.

Dabei zeigte sich, dass Mädchen (50%) als Betroffene deutlich häufiger Rat suchten als Jungen (43%). Das deckt sich mit dem derzeitigen Forschungsstand, wonach Mädchen und junge Frauen mehr Hass im Netz erleben. So gaben 2021 in der JIM-Studie, einer Studienserie über das Medienverhalten von Kindern und Jugendlichen, 50 Prozent der 12- bis 19-jährigen Mädchen an, dass ihnen im letzten Monat Hassbotschaften online begegnet sind. Bei den Jungen waren es 44 Prozent. Bezüglich als Cybermobbing einzustufender persönlicher Erlebnisse, bei denen jemand “falsche oder beleidigende Sachen“ über die Befragten selbst per Handy oder im Internet verbreitete, zeigt sich ein alarmierender Trend: Während 2018 noch 15 Prozent der befragten Mädchen angaben, bereits Opfer solcher Angriffe gewesen zu sein, waren es 2019 bereits 18 Prozent. Im ersten Pandemiejahr 2020 sprang der Anteil dann auf 27 Prozent.

Foto: CC0 1.0, Pixabay User HaticeEROL | Ausschnitt angepasst

Die Ratsuchenden bei der Cybermobbing-Hilfe erfragten zu 45 Prozent eine allgemeine Beratung. 50 Prozent waren akut betroffen. Insbesondere bei den akut Betroffenen, das zeigt die Evaluation ebenfalls, waren wiederum Mädchen in der deutlichen Mehrheit. Während Jungen eher angaben, bezüglich ihrer Fähigkeiten, zum Beispiel bei Online-Spielen, beleidigt worden zu sein, nannten Mädchen vor allem ihr Äußeres als Thema des Mobbings. Eine Folge der auf das Aussehen der Mädchen bezogenen Beleidigungen war nach Angaben der Betroffenen häufig Magersucht. Auch das deckt sich mit Studien, nach denen Kinder mit Mobbingerfahrungen ein fast doppelt so hohes Risiko haben, Symptome von Anorexie zu entwickeln.

Weitere von den Betroffenen angegebenen Folgen umfassten nicht nur einen übermäßigen Drogenkonsum, sondern auch Selbstverletzung und gar suizidale Absichten. 0,2 Prozent der Betroffenen reagieren mit selbstverletzendem Verhalten oder Alkoholkonsum auf die Cybermobbingattacken. Suizidale Absichten als Reaktion von Cyberviktimisierung geben 0,4 Prozent der Beratenden an, 0,5 Prozent berichten von Fettsucht, 1,4 Prozent von Magersucht und 2,3 Prozent gaben sonstige Selbstgefährdungen als Auswirkung an.

Die digitalen Orte des Cybermobbings

Nicht zuletzt konnten Erkenntnisse über die Orte des Cybermobbings gefunden werden. Etwa 6 Prozent der Jugendlichen erlebt Cybermobbing auf Plattformen für Online-Games, 5 Prozent über YouTube, 2 Prozent in Messenger-Gruppen, etwa 1 Prozent über WhatsApp und Facebook und weniger als 0,5 Prozent über Messenger-Direktchat, Twitter, Snapchat, Instagram und sonstige Online-Plattformen.

Foto: Pixabay User tomasi | CC0 1.0 | Ausschnitt bearbeitet

Die besondere Rolle von Computerspielen als Kommunikationsort wurde lange Zeit unterschätzt. Gesetzliche Regulierungen gegen Hate Speech werden dort kaum durchgesetzt. Dabei gaben Jugendliche 2021 im Durchschnitt eine Spielzeit von 110 Minuten an, 2018 waren es noch 81 Minuten. Für Jungen spielt das mit 144 Minuten eine weitaus größere Rolle als für Mädchen mit durchschnittlich 75 Minuten. Bei YouTube zeigte die Evaluation wiederum eine stärkere Betroffenheit von Mädchen. 24 Prozent der männlichen Jugendlichen und 69 Prozent der weiblichen Betroffenen gibt die Videoplattform als Verbreitungsweg für Cybermobbing an. Während das Risiko für Jungen und Mädchen bei Online-Spielen mit 46 Prozent gleich hoch ist – obwohl Jungen eine weitaus höhere durchschnittliche Spieldauer vorweisen -, ist die größere Betroffenheit von Mädchen mit 69 Prozent auf YouTube bemerkenswert. Denn auch hier sind Jungen aktiver: 92 Prozent von ihnen nutzen die Video-Plattform regelmäßig, während es bei den Mädchen 81 Prozent sind.

Bedarf, Zufriedenheit und weitere Hilfe

Die hohe Nachfrage für das Beratungsangebot von WAKE UP! hat aber nicht nur gezeigt, dass ein hoher Bedarf besteht. Es ist auch eine Erfolgsgeschichte des Peer-to-Peer-Ansatzes. So zeigten die durchschnittlich 16-jährigen Beratenden laut Evaluation eine hundertprozentige Zufriedenheit mit dem Ansatz. Nicht zuletzt offenbaren die gewonnen Daten der Evaluation, beispielsweise über die digitalen Plattformen oder die besondere Betroffenheit von Mädchen, auch weitere Entwicklungsmöglichkeiten in der Sensibilisierung für die künftige Beratung, von der nicht nur die Betroffenen selbst profitieren sollen: Auf der Website der Initiative finden auch Eltern und Lehrkräfte ein umfassendes Informationsangebot.

Foto: Falco Peters

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