Kinder & Jugendliche im digitalen Raum: Interview mit Thomas Krüger (Deutsches Kinderhilfswerk)

Thomas Krüger | Foto: Martin Scherag/bpb | Ausschnitt angepasst
Thomas Krüger | Foto: Martin Scherag/bpb | Ausschnitt angepasst
Veröffentlicht am 10.02.2023

Der richtige und sichere Umgang mit dem Internet ist für viele Kinder und Jugendliche weiterhin keine Selbstverständlichkeit. Auf die damit verbundenen Herausforderungen aufmerksam zu machen, ist unter anderem das Ziel des bundesweiten „Safer Internet Day“, der dieses Jahr am 7. Februar stattfand und an dem sich Telefónica Deutschland stets beteiligt. Das nachhaltige Aufzeigen von Wegen zu einem bewussteren und souveränen Umgang mit digitalen Medien ist allerdings eine dauerhafte Aufgabe, an der viele gesellschaftliche Akteure mitwirken müssen.

Gemeinsam mit dem Deutschen Kinderhilfswerk hat Telefónica deshalb vor kurzem eine Neuauflage des User-Guide „Genial Digital“ herausgegeben, der Kindern und Jugendlichen altersgerechte Tipps und Tricks für die digitale Welt sowie Aufklärung über Gefahren im Internet bietet. Mit Thomas Krüger, dem Präsidenten des Deutschen Kinderhilfswerkes, haben wir zudem über die veränderte Mediennutzung der jungen Generationen sowie die daraus resultierenden gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen und Chancen gesprochen.

Herr Krüger, wie hat sich die Onlinenutzung von Kindern und Jugendlichen in den vergangenen Jahren verändert?

Foto: Pixabay User Anviere | CC0 1.0 | Ausschnitt bearbeitet

Kinder und Jugendliche wachsen heute ganz selbstverständlich von Geburt an mit Medien auf. Das können Bilderbücher, der Fernseher oder Sprachassistenten im Haushalt ebenso sein wie die Smartphones anderer Familienmitglieder, Bildschirme im Bus oder Tablets in der Kita. Mit der schnellen Entwicklung von Informations- und Kommunikationstechnologien hat sich auch die Mediennutzung junger Menschen verändert. Das spiegelt sich deutlich in ihrer Lebenswelt wider: Die eigenständige Mediennutzung beginnt heute zum Beispiel tendenziell früher und ist stark von der mobilen Verfügbarkeit der Inhalte und Angebote geprägt. Der digitale Raum spielt für Kinder und Jugendliche eine zentrale Rolle für die Wahrnehmung ihrer Rechte: Sie finden dort Informationen, nutzen Medien für formale Bildungskontexte, pflegen Beziehungen, kommunizieren, spielen und entspannen, erstellen eigene Inhalte, reden und mischen mit. Eine Trennung in online und offline besteht für sie nicht mehr. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass Mediennutzungszeiten tendenziell gestiegen sind. Gerade in Zeiten der Pandemie wurde dies in der Öffentlichkeit auch sehr kritisch diskutiert – teilweise jedoch ohne die Qualität, Inhalte und Nutzungsmotive der Mediennutzung zu berücksichtigen sowie ohne Kinder und Jugendliche an der Diskussion zu beteiligen. Und ein weiterer Punkt ist hierbei wichtig – sich die Medien, die Kinder und Jugendliche gerne nutzen, genauer anzuschauen. Viele wurden und werden nicht für jüngere Zielgruppen gestaltet, haben aber großen Einfluss auf das Leben ebendieser Altersgruppe. Einige Anbieter von Messengern, sozialen Netzwerken oder digitalen Spielen haben große Probleme, die Rechte von Kindern auf Privatsphäre, Datenschutz, Sicherheit oder Schutz vor Gewalt zu gewähren.

Ist unser Bildungssystem richtig aufgestellt, um Kinder verantwortungsbewusst an die Internetnutzung heranzuführen?

Die Förderung von Medienkompetenz findet in vielen Bildungsbereichen nur unzureichend statt. Zwar gibt es sehr viele engagierte Lehr- und Fachkräfte, die die Förderung von Medienkompetenz als ihre Aufgabe wahrnehmen. Sie erstellen Medienprodukte, reflektieren gemeinsam, arbeiten mit Kooperationspartnern zusammen, sind informierte Ansprechpersonen bei Online-Problemen oder unterstützen Peer-Strukturen für Medienberatung vor Ort. Vielfach ist das pädagogische Fachpersonal jedoch aufgrund von Unterbesetzung, ausbleibenden Qualifizierungsmaßnahmen, fehlender Ausstattung und Wartung oder unsteter Finanzierung zu wenig in der Lage, Potentiale des digitalen Wandels zu nutzen und Verantwortung für die Förderung digitaler Kompetenzen zu übernehmen. Um der Verantwortung gerecht zu werden, müssen Kommunen und Länder tätig werden. Technische Ausstattung und Wartung, fachliche Begleitung, Qualitätssicherung, Evaluation, finanzielle Unterstützung und Verankerung der Themen in der Aus- und Weiterbildung sind sehr wichtige Ziele. Fach- und Lehrkräfte müssen die Möglichkeit haben, sich mit veränderten Lebensbedingungen, Kommunikationsformen und Interessen ihrer Zielgruppen auskennen und auseinandersetzen zu können. Besonderes Augenmerk muss hierbei auf die frühe Medienbildung von jungen Kindern in Kita und Grundschule gelegt werden. Dies ist auch wichtig, um bestehende digitale Ungleichheiten zu verringern. Denn die Teilhabemöglichkeiten am digitalen Umfeld sind nicht chancengerecht verteilt. Ungleichheiten bestehen beispielsweise im Zugang zu Geräten und in der Verfügbarkeit von Datenvolumen, um Angebote nutzen zu können, aber auch in den vorhandenen Möglichkeiten, Kompetenzen im Umgang mit Medien zu erlangen oder in der Unterstützung des Umfelds. Das Bildungssystem spielt daher eine extrem wichtige Rolle für Chancengerechtigkeit in unserer Gesellschaft.

Foto: iStock / Lacheev

Was muss sich dafür auf politischer Ebene noch ändern?

Darüber hinaus brauchen wir einen ausgewogenen und effektiven Kinder- und Jugendmedienschutz, der von allen relevanten Akteurinnen und Akteuren umgesetzt wird. Um der Dynamik von Medienentwicklungen gerecht zu werden, setzen wir uns für einen kontinuierlichen Austausch zwischen Medienforschung, Medienbildung, Sozialer Arbeit, Pädagogik und Medienpolitik ein. So können neue Phänomene frühzeitig erkannt und interdisziplinär bearbeitet sowie Schutzmaßnahmen an die Bewältigungsstrategien von Kindern und Jugendlichen angepasst werden. Neben verbessertem Schutz braucht es außerdem Maßnahmen, um die Teilhabe von Kindern und Jugendlichen am digitalen Raum und ihre Befähigung zu fördern. Ein Maßnahmenpaket für Medienkompetenz- und digitale Demokratieförderung mit langfristigen Angeboten und Initiativen in allen Bildungskontexten kann Teilhabechancen nachhaltig verbessern. Diese sollten sich sowohl an junge Menschen, Lehr- und Fachkräfte als auch an Eltern und Familien richten. Die Verbesserung der digitalen Kompetenzen und Fähigkeiten muss in Bildungs- und Lehrpläne aufgenommen werden und es sollte entsprechende Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten für Fachkräfte, eine langfristige Finanzierung außerschulischer Strukturen sowie eine verbesserte Kooperation und Vernetzung von Stakeholdern geben.

Wie können Eltern aktiv dabei unterstützt werden, die digitale Medienkompetenz ihrer Kinder zu fördern?

Foto: CC0 1.0, Pixabay User AndrewAngelov | Ausschnitt angepasst

Für Eltern und Familien gibt es viele Informationsangebote und Initiativen, die wichtige Informationen über Medien, Apps und Kinderrechte zusammenfassen und das Aneignen von Wissen erleichtern. Technisches Wissen ist aber gar nicht immer nötig, bei vielen Risikothemen geht es eher um soziale Kompetenzen und Reflektion: Welche Bilder teile ich? Was schreibe ich über andere Personen? Bei welchen Challenges mache ich mit? Wie gehe ich mit sozialem Druck um? Hier können und müssen Eltern Ansprechpersonen und vor allem Vorbilder für ihre Kinder sein. Wichtig ist es deswegen, dass Eltern Medienerziehung beteiligungsorientiert verstehen und mit ihren Kindern im Gespräch bleiben. Klar ist aber auch: Eltern dürfen nicht allein gelassen werden mit der Medienerziehung. Auch sie brauchen niedrigschwellige Beratungs- und Aufklärungsangebote über die Rechte von Kindern im digitalen Raum, um alltagsnahe Orientierung bei der Begleitung ihrer Kinder durch die Medienwelt zu erhalten. Wir müssen ihnen eigene Angebote, Räume und auch Zeit zur Verfügung stellen, um reflektieren und ausprobieren zu können sowie einen verlässlichen Kinder- und Jugendmedienschutz auf Apps und Plattformen garantieren, die ihre Kinder nutzen. Alle Bildungsorte sollten sie außerdem als relevante Zielgruppe mitdenken, denn gerade Kitas und Schulen spielen für die Unterstützung der Medienerziehung eine entscheidende Rolle, da sie nicht nur alle Kinder, sondern auch deren Eltern erreichen.

Vorschau auf das Magazin „Genial Digital“:

Weitere Informationen:

Das Magazin beantwortet wichtige Fragen aus der digitalen Lebenswelt von Kindern rund um die Themen Erstes Smartphone und Internet. Es gibt informative Hilfestellungen und spielerisch-interaktive Anregungen, was Kinder bei der Nutzung von Apps, Games und sozialen Netzwerken beachten sollten, wie sie verantwortungsbewusst mit privaten Daten umgehen, Fake News im Internet erkennen oder sich vor Cybermobbing schützen können.

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