#EU2020DE: Interview mit Damian Boeselager

Pressefoto Damian Boeselager: Michał Szyndel, Pixabay User loginueve_ilustra, ADMC u. GregMontani
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Veröffentlicht am 21.12.2020

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Damian Boeselager sitzt seit Mai 2019 für Volt Europa im Europäischen Parlament, wo er der Fraktion der Grünen/Freie Europäische Allianz angehört. Als Mitbegründer einer paneuropäischen Partei kämpft er für grenzübergreifende europäische Lösungen.

Bevor Damian Boeselager anfing, aktiv Politik zu machen, arbeitete er für verschiedene NGOs sowie die Unternehmensberatung McKinsey. 2017 entschied sich der damalige Student dann, in die Politik zu gehen. Gemeinsam mit zwei Kommilitonen entwickelte Boeselager nach einer Wahlkampfveranstaltung von Hillary Clinton in New York eine „Vision von Europa“. Die Motivation dahinter war, „selbst aktiv zu werden, selbst in die Politik zu gehen, auch im Hinblick auf die immer stärker werdenden rechtsnationalen Kräfte“, wie der Volt-Politiker auf seiner Webseite schreibt.

Aus dieser Idee entstand die „paneuropäische“, „pragmatische“ und „progressive“ Partei Volt. Nachdem die Partei um Boeselager in einem grenzübergreifenden Wahlkampf 0,7 Prozent der Stimmen gewann, zog der Politiker 2019 als erster und einziger „Volter“ ins EU-Parlament ein. Dort schloss er sich der Fraktion Die Grünen/EFA an. Mittlerweile ist Volt in 29 Ländern vertreten, darunter auch Nicht-EU-Länder wie Albanien und die Schweiz.

Pressefoto Damian Boeselager: Michał Szyndel

Vor der Europawahl 2019 gelang es der Partei, durch eine Klage den „Wahl-O-Mat“ der Bundeszentrale für politische Bildung kurzzeitig offline zu schalten. Die Partei hatte dagegen geklagt, dass die digitale Entscheidungshilfe zur Wahl stehende kleinere Parteien benachteiligt.

Innerhalb des Parlaments setzt sich Boeselager im Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie (ITRE) für eine europäische Industriestrategie ein, die die Digitalisierung und die Einführung von Künstlicher Intelligenz (KI) insbesondere in KMU stärken soll. Im Interview spricht Damian Boeselager über die aktuellen Herausforderungen der EU-Digitalpolitik und die Zukunftsfähigkeit der EU.

Engagiert sich die EU aus ihrer Sicht ausreichend bei Forschung und Innovation? Und können wir bei den Themen KI und Quantencomputing international mithalten?

Man muss hier zwei separate Aspekte voneinander trennen. Zunächst zu Forschung und Innovation: Die EU-weit organisierten Forschungsförderungen durch Horizon 2020 sind extrem gefragt und sehr erfolgreich. Mit dem European Research Council gibt es obendrein eine länderübergreifende Institution die Spitzenforschung fördert. Die EU engagiert sich sehr, auch was Infrastruktur angeht. Mit der European Open Science Cloud versucht man zum Beispiel einen europaweiten Datenraum für Wissenschaftler zu schaffen. Das Problem ist leider, dass es an der Finanzierung hapert. Nationale Interessen kommen in den Haushaltsverhandlungen immer wieder vor gemeinsamen EU-Projekten. Auch in den aktuellen Haushaltsverhandlungen kämpfte das Parlament für mehr Geld, gerade für Horizon.

Bezüglich KI und Quantencomputing müssen die EU und die Mitgliedsländer faire und innovationsfreundliche Rahmenbedingungen setzen, damit es keinen Flickenteppich an Rechtsrahmen im digitalen Binnenmarkt gibt. Bei Investitionen in neue Technologien können wir aber nicht nur auf staatliche Programme setzen. Diese Gelder gehen bislang leider meistens an große und etablierte Spieler. Es braucht aber meiner Meinung nach eine dynamische Neugründer-Szene, für die es wiederum eine starke Wissenschaft braucht. Top-down staatliches Helikoptergeld oder die künstliche Fusion zu „European Champions“ wird nicht zu internationaler Wettbewerbsfähigkeit führen

Die Kommission hat in ihrem Arbeitsprogramm einen Schwerpunkt auf die Digitalisierung gelegt, das Parlament war in der Vergangenheit insbesondere bei der DSGVO die führende Kraft. Wer wird in dieser Legislaturperiode die Triebfeder in der Digitalpolitik sein – die Kommission oder das Parlament?

Beide! Die Kommission hat im Februar mit der Datenstrategie und dem KI-Weißbuch einen Anfang gemacht, auf den das EP jetzt eingeht. Ich habe das Gefühl, dass auch beim Digital Services Act ein sehr reger Austausch herrscht. Im EP haben wir zu KI einen Spezialausschuss eingesetzt, dessen Report ich für meine Fraktion betreuen werde. Dort hoffen wir, dass wir auch in puncto regulatorische Innovation unsere Kräfte und Erfahrungen bündeln können.

Die EU ist aufgrund der Corona-Pandemie im Krisenmodus. Werden die EU und ihre Institutionen gestärkt daraus hervorgehen oder zerstrittener als zuvor? Welche Rolle wird dabei das Europaparlament spielen?

Die EU-Institutionen zeigen einmal mehr wie reformbedürftig sie sind. Die Corona-Pandemie hat eigentlich eher zu einer Renationalisierung von EU-Innovationspolitik geführt. Der Rat einigt sich bei der Mittelvergabe nur noch auf Minimalziele, und immer sind die EU-weiten Zukunftsprogramme die, an denen gespart wird, während nationale Interessen in der Kohäsionspolitik oder der Agrarpolitik beschützt werden. Der Rat ist eine zutiefst dysfunktionale Institution – vor allem dort wo das Einstimmigkeitsprinzip einzelnen Ländern die Möglichkeit zur Erpressung der anderen eröffnet. Da braucht es eigentlich das Parlament. Daher müssen wir uns anstrengen, besonders konstruktiv und lösungsorientiert zu arbeiten.

Alle Interviews aus dieser Serie:

#EU2020DE: Interview mit Alexandra Geese
#EU2020DE: Interview mit Svenja Hahn
#EU2020DE: Interview mit Axel Voss
#EU2020DE: Interview mit Tiemo Wölken
#EU2020DE: Interview mit Patrick Breyer

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