Digitale Gewalt: Abhilfe durch ein neues Gesetz?

Foto: iStock / lerbank
Foto: iStock / lerbank
Veröffentlicht am 28.04.2023

Beleidigungen, Hass, Bedrohungen, Nötigung – die Bandbreite an Angriffen im Internet ist groß und ihre Auswüchse nehmen eher zu als ab. Im Kampf gegen digitale Gewalt plant die Bundesregierung nun ein neues Gesetz. Doch reichen politische und juristische Regulierungen wirklich aus?

Digitale Gewalt hat sich in den vergangenen Jahren zu einem weitverbreiteten Phänomen entwickelt. Da sie überall dort stattfinden kann, wo sich Menschen online treffen, austauschen und vernetzen, ist ihre Zunahme angesichts stetig steigender Internetnutzung und ständiger digitaler Erreichbarkeit nicht verwunderlich. Zumal die scheinbare Anonymität im Internet die Hemmschwelle bei Täter:innen senkt und deren Rückverfolgung erschwert. Digitale Gewalt stellt somit eine besondere Herausforderung für unsere Gesellschaft dar, weil sie eine Vielzahl an Angriffsformen umfasst und betroffene Personen sich oft hilf- und wehrlos fühlen.

Viele Angebote, viele Meldungen

Um den vielen Formen digitaler Gewalt – z.B. Cybermobbing, Hate Speech, Cyberstalking oder Identitätsdiebstahl – etwas entgegenzusetzen, gibt es mittlerweile diverse Angebote. Dazu zählen unter anderem Beratungsstellen wie HateAid, Vernetzungsmöglichkeiten wie Das Netzz.de oder öffentliche Informationsportale wie Bayern gegen Gewalt. Seit dem 1. Februar 2022 gibt es zudem die Zentrale Meldestelle für strafbare Inhalte im Internet (ZMI), die beim Bundeskriminalamt (BKA) angesiedelt ist. Laut aktuellen Berichten hat die Stelle in den ersten 13 Monaten ihrer Tätigkeit rund 7.500 Fälle von Hass und Hetze im Netz geprüft, wovon ca. drei Viertel strafrechtlich relevant waren.

Vor dem Start der Meldestelle hatte das BKA noch mit ca. 150.000 Strafverfahren pro Jahr gerechnet, da digitale Netzwerke wie Facebook oder TikTok durch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) eigentlich dazu verpflichtet, sind strafbare Inhalte zu melden und nicht nur zu löschen. Jedoch haben Google, Meta, Twitter und TikTok bisher keine problematischen Inhalte übermittelt, sondern teilweise gegen das NetzDG geklagt. Die eingegangen 7.500 Fälle kamen stattdessen von anderen Meldestellen, bspw. dem Portal „Hessen gegen Hetze“.

Foto: Montage PlaceIt

Zu einem besonderen Sorgenkind im Hinblick auf Hassrede und digitale Gewalt hat sich nunmehr Twitter unter Elon Musk entwickelt: Der Kurznachrichtendienst meldet nicht nur keine strafbaren Inhalte weiter an die Behörden, sondern möchte sie im Sinne der „Meinungsfreiheit“ mittlerweile auch lieber verstecken als löschen. Aufgrund der mangelhaften Moderation von problematischen Inhalten hat das Bundesamt für Justiz nun ein Bußgeldverfahren gegen Twitter eingeleitet – wegen Verstößen gegen das NetzDG.

Ausreichende rechtliche Handhabe?

Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz gilt zwar bereits seit 2017, hat aus der Sicht von Organisationen wie HateAid bisher allerdings kaum zur Eindämmung oder Verfolgung von digitaler Gewalt beigetragen. So ist das erwähnte Bußgeldverfahren gegen Twitter laut Josephine Ballon von HateAid „tatsächlich das erste, bei dem es um die mangelhafte Moderation als solche geht“.

Eine rechtliche Veränderung könnten hingegen zwei Gesetzesvorhaben bringen, die derzeit auf dem Weg zur Verwirklichung bzw. momentan angestoßen worden sind: Zum einen der lang diskutierte Digital Services Act (DSA) auf EU-Ebene, zum anderen das vom Bundesjustizministerium geplante „Gesetz gegen digitale Gewalt“, dessen Eckpunkte gerade vorgestellt worden sind. Der DSA soll 2024 endlich verbindlich in Kraft treten, damit als vorrangige Regelung das NetzDG ablösen und Social-Media-Plattformen durch die Androhung empfindlicher Strafen dazu bringen, Drohungen und Beschimpfungen zu entfernen. Expert:innen sind aber skeptisch, ob dies tatsächlich gelingt, da der DSA vor allem die Haftung von Online-Plattformen regeln soll und juristisch keine explizite Löschpflicht, sondern lediglich eine Prüfpflicht vorsieht.

Foto: Unsplash User Conny Schneider | Ausschnitt bearbeitet

Ein neues Gesetzvorhaben

Anders könnte dies beim geplanten Gesetz gegen digitale Gewalt aussehen. Laut den vorgestellten Eckpunkten soll das Gesetz es Betroffenen erleichtern, bei Rechtsverletzungen im digitalen Raum ihre Rechte durchzusetzen. Während das gegenwärtige Recht vor allem auf die Plattformregulierung und auf strafrechtliche Verfolgung von Hasskriminalität fokussiert ist, soll somit die individuelle Rechtsdurchsetzung eine höhere Priorität erhalten. Um dies zu erreichen, werden als Neuerungen insbesondere eine erleichterte Auskunftsverfahren zur Identität von Inhalteverfassern, die Einrichtung von sogenannten Zustellungsbevollmächtigten bei digitalen Anbietern in Deutschland sowie die Möglichkeit einer richterlich angeordneten Accountsperre bei Täter:innen vorgeschlagen.

Letzteres soll zum Beispiel bei notorischen, anonymen Rechtsverletzern im digitalen Raum zur Anwendung kommen – aber nur dann, wenn andere Möglichkeiten wie die Löschung strafbarer Beiträge nicht ausreichen und die Gefahr der Wiederholung besteht. Zudem soll es eine Gelegenheit zur Stellungnahme für die Inhaber der Accounts geben und ihre Profile sollten nur für „einen angemessenen Zeitraum“ gesperrt werden können.

Das Echo auf diese Vorschläge, die nun im weiteren Gesetzgebungsverfahren konkretisiert werden, fiel bisher sehr unterschiedlich aus: Während HateAid etwa die Erweiterung von Auskunftsrechten und die Einrichtung von Zustellungsbevollmächtigten befürwortet, jedoch Account-Sperren aufgrund fehlender praktischer Relevanz kritisiert, unterstützt die Gesellschaft für Freiheitsrechte die geplanten Account-Sperren und fordert ihre Ausweitung auf volksverhetzende Inhalte sowie ein Klagerecht für zivilgesellschaftliche Organisationen. Der digitalpolitische Verein D64 hingegen bewertet die Account-Sperren als gut durchdacht, empfindet aber die Auskunftsrechte als zu weitreichend und befürchtet „erheblich negative Auswirkungen auf die Meinungsfreiheit“ durch möglichen Missbrauch, etwa durch Rechtsextreme. Ebenso sieht der Chaos Computer Club bei dem Gesetz „erhebliche Gefahren für die Bürgerrechte und die informationelle Selbstbestimmung“.

Was hilft tatsächlich gegen digitale Gewalt?

Foto: iStock / Inside Creative House

Diese kurze Auflistung zeigt bereits, wie schwierig es ist, dem Phänomen Digitale Gewalt juristisch gerecht zu werden. Und obwohl die hinter dem geplanten Gesetz stehende Absicht von vielen grundsätzlich begrüßt wird, stellt sich die Frage, ob rechtliche Regelungen allein ausreichen. So monierte etwa der Deutsche Richterbund nach der Vorstellung des Gesetzesvorhabens, dass dieses Symbolpolitik bleiben dürfte, solange „die Justiz für eine effektivere Rechtsdurchsetzung im digitalen Raum“ nicht deutlich personell verstärkt werde. Und auch die Beratungsstellen gegen digitale Gewalt fordern seit langem mehr finanzielle Mittel, um ihre Informations- und Beratungsangebote aufrechterhalten und erweitern zu können. Doch dieser Aspekt der Ressourcen fehlte noch im Eckpunktepapier.

Darüber hinaus spielen auch andere Punkte wie Bildung und Prävention sowie ausreichende Reporting-Möglichkeiten eine Rolle, um zum einen die Vorfälle digitaler Gewalt durch Sensibilisierung und Aufklärung zu verringern, zum anderen aber auch um sie überhaupt zu erfassen und effektiv strafrechtlich verfolgen zu können. Letztlich ist die Eindämmung von digitaler Gewalt und die Unterstützung von Betroffenen somit eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, für deren Bewältigung Politik, Justiz, Unternehmen und Zivilgesellschaft gemeinsam Lösungen finden müssen.

Schlagworte

Empfehlung der Redaktion