Quantencomputer: Wo liegen die Einsatzgebiete?

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Veröffentlicht am 07.11.2019

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Mit Quantencomputern verbinden Wirtschaft und Wissenschaft viele Hoffnungen. Aber welche Anwendungsfelder sind realistisch und wie weit ist die Entwicklung der Supercomputer tatsächlich fortgeschritten?

Erst kürzlich vermeldete der Internetkonzern Google einen bedeutenden Durchbruch im Bereich der Quantentechnologie. Mit dem neuen Quantenprozessor „Sycamore“ soll es laut dem Unternehmen möglich sein, eine Berechnung in nur 3:20 Minuten durchzuführen, für die ein herkömmlicher Supercomputer um die 10.000 Jahre bräuchte. Damit habe man die „Quantum Supremacy“, zu Deutsch „Quantenüberlegenheit“, erreicht, verkündete das Unternehmen.

Schon bisher lieferte die Quantenphysik die Grundlage für viele technische Errungenschaften. Zum Beispiel für den Laser, Handys, TV-Geräte oder auch Computer. Mit der Entwicklung von hochleistungsfähigen Quantencomputern könnte nun der nächste große Technologiesprung in der Geschichte folgen. Denn, seine Stärken spielt der Quantencomputer dort aus, wo die Zahl der Lösungsmöglichkeiten ins Unermessliche wächst. Doch was lässt sich mit so einer Wundermaschine alles anstellen?

„Schrödingers Katze“ wird digital

Wie komplex muss ein Phänomen wie die Quantenmechanik sein, wenn selbst Albert Einstein, der große Physiker des 20. Jahrhunderts, daran verzweifelte? Obwohl oft von dem Terminus der „Quantenphysik“ die Rede ist, hat diese mit den klassischen Gesetzen der Lehrbuchphysik wenig gemein. In den 1930er Jahren machten Albert Einstein und Erwin Schrödinger darauf aufmerksam, dass die Quantenmechanik auf paradoxen Aussagen beruhe. In der Welt der Quanten ist es möglich, dass Objekte gleichzeitig in mehreren Zuständen existieren. Partikel verändern sich, wenn sie beobachtet werden, so als ob das Wasser nur dann blau ist, wenn man hinschaut und ansonsten rot. Das berühmteste Gedankenexperiment ist „Schrödingers Katze„, die gleichzeitig lebend und tot ist. Erst wenn der Deckel der Kiste, in der sich die Katze befindet, aufgemacht wird, löst sich der Zwitterstatus auf.

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Dieser Komplexität ist sich auch Google bewusst. Google-CEO Sundar Pichai verglich den mechanischen Meilenstein der „Quantenüberlegenheit“ mit dem ersten Flug der Brüder Wright: „Das erste Flugzeug flog nur zwölf Sekunden lang, und damit gab es keine praktische Anwendung. Aber sie konnten zeigen, dass ein Flugzeug wirklich fliegen kann.“ Ob die von Google angegebene Rechenzeit des Quantenprozessors korrekt ist, bliebt zunächst offen. IBM, der direkte Konkurrent von Google bei der Entwicklung von Quantencomputern, zweifelt bisher an der Wahrheit der Aussage über die „Quantum Supremacy“.

Unabhängig davon sieht Google die Entwicklung als Sprungbrett zu einer viel größeren technologischen Errungenschaft. „Es ist nicht ein Unternehmen gegen ein anderes, sondern Mensch gegen Natur – oder Mensch mit Natur„, sagt Hartmut Neven, Google Produktmanager und Leiter des Quantenprojekts. Der Internetkonzern plant bereits, sich mit einem voll funktionsfähigen Quantencomputer stärker in die Naturwissenschaften einzubringen und die Entwicklung von Künstlicher Intelligenz maßgeblich voranzutreiben. Ein weiteres Anwendungsgebiet sieht das Unternehmen in einem energieeffizienteren Produktionsverfahren für Stickstoffdünger – ein Prozess, der derzeit jährlich zwei Prozent des weltweiten Energieverbrauchs ausmacht.

Verkehrsregulierung und bessere Medikamente

Während der Münchener Automobilhersteller BMW Quantencomputer im Rahmen eines Pilotprojektes nutzen will, um die Arbeit von Robotern in der Produktion zu optimieren, forscht Wettbewerber Volkswagen seit einigen Jahren an einer intelligenten Lösung zur Verkehrsoptimierung. Auf einem Quantencomputer von D-Wave, einem der weltweit führenden Unternehmen im Bereich des Quantencomputings, sollen künftig die Bewegungsströme einer Großstadt genau analysiert werden. In Echtzeit soll der Computer die beste Route für Fahrzeuge berechnen und so lästige Staus vermeiden. Während der Technologiekonferenz „WebSummit“ in Lissabon will der VW-Konzern mit einem Pilotprojekt die Verkehrsregulierung testen. „Eine intelligente Verkehrsführung, die die Leistungsfähigkeit eines Quantencomputers nutzt, kann Städte und Pendler sinnvoll unterstützen“, sagte VW-CIO Martin Hofmann.

Derweil entwickelt das Start-up HQS in Kooperation mit dem Pharmakonzern Merck einen Algorithmus für Quantencomputer, der es ermöglichen soll, biochemische Prozesse zu simulieren. „Die vielversprechendsten Forschungen und Pilotversuche finden im Bereich der Chemie statt“, sagt Christian Rätzsch, IBM-Technikchef für den asiatischen Raum. Etwa in der Simulation neuer Materialien für leistungsfähigere Batterien oder medizinwissenschaftlicher Tests.

Eine solche Simulation von Molekülen könnte in der Pharmabranche die Wirkstoffsuche und -entwicklung beschleunigen und verbilligen. Bisher müssen Chemiker bei der Entwicklung neuer Wirkstoffe, deren Strukturen und Eigenschaften erheblich abstrahieren, um sie für heutige Computer berechenbar zu machen. Ein Quantencomputer wäre allerdings nicht auf mathematische Modelle angewiesen, sondern würde diese lediglich simulieren. In der Krebstherapie könnten Wechselwirkungen verschiedener Wirkstoffe getestet und optimiert werden.

Herausforderungen auf dem Weg ins Quantenzeitalter

Die Europäische Kommission will innerhalb der nächsten zehn Jahre mit ihrem „Quantum Technology Flagship Program“ insgesamt eine Milliarde Euro für die Entwicklung von Quantentechnologie ausgeben. Hauptziel des Flagships ist es, die europäisch wissenschaftliche Führung in diesem Forschungsbereich auszubauen sowie die Quantenforschung in kommerzielle Anwendungen zu übertragen.

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In Deutschland wurde unterdessen ein Portal für die Weiterentwicklung von Quantencomputertechnologien in Betrieb genommen – die „Jülicher Nutzer-Infrastruktur für Quantencomputing“ (JUNIQ). Das Forschungszentrum Jülich, das ebenfalls an der Entwicklung von Googles Quantenprozessor beteiligt war, wird damit der erste europäische Standort eines Quanten-Cloud-Services. Damit wird JUNIQ im Bereich Quantencomputing Services anbieten, die denen ähneln, die seit langem für die Supercomputer des Forschungszentrums verfügbar sind: Unter Anleitung von Experten werden Forscher Quantencomputer nutzen können und Algorithmen und Anwendungsprogramme dafür entwickeln.

Im Alltag dürften die Auswirkungen der Quantencomputer zwar zunächst gering sein, aber für die Wirtschaft ist das Potenzial enorm. „Für uns gibt es drei große Themen: Pharmazie und Materialforschung, Supply Chain Management und Logistik sowie das Finanzwesen“, sagt IBM-Sprecher Michael Kiess. Doch noch gibt es auf dem Weg ins Quantenzeitalter einiges zu tun. Denn die bisherige Fehlerrate solcher Systeme erweist sich als ein erhebliches Problem. „Man muss Algorithmen entwickeln, die eingesetzt werden können, um praktische Probleme zu lösen. Die große Herausforderung ist die Fehlerrate, die muss sinken“, sagt Kristel Michielsen, Professorin für Quanten-Informationsverarbeitung in einem Interview der Süddeutschen Zeitung. Forscher gehen davon aus, dass ein universeller Quantencomputer mindestens 1.000 logische Qubits bräuchte, um in der Praxis von Nutzen zu sein. Zum Vergleich: Googles neue Errungenschaft arbeitet mit 53 Qubits.

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