GWB-Novelle: Bundeskartellamt will Digitalwirtschaft schärfer kontrollieren

Foto: Bundeskartellamt © Schuering | Ausschnitt angepasst
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Veröffentlicht am 09.09.2020

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Als Hüter des Wettbewerbs hat sich das Bundeskartellamt im vergangenen Jahr besonders mit der Digitalwirtschaft beschäftigt. Ein Fokus lag auf den US-Internetgiganten Amazon und Facebook, wie aus dem Jahresbericht 2019 hervorgeht. Durch die geplante Novelle des Wettbewerbsrechts erhofft sich das Amt künftig noch mehr Spielraum.

Das Bundeskartellamt schaut als unabhängige Institution für den Schutz des Wettbewerbs seit einigen Jahren verstärkt auf die Digitalbranche. In ihrem Jahresbericht 2019, der am Mittwoch vorgestellt wurde, hat die Behörde ihren Schwerpunkt auf die Internetwirtschaft gelegt. „Das Amt führt weiterhin eine Reihe von Verfahren, um die wirtschaftliche Macht der Internetgiganten zu kontrollieren“, sagte Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamts. Auch Newcomer sollten künftig Zugang zu den Märkten finden können, betonte er. Dabei bezog er sich vor allem auf Verfahren gegen Amazon und Facebook. Außerdem untersuchte das Amt, im Hinblick auf den Verbraucherschutz, Online-Vergleichsportale, Nutzerbewertungen und Smart-TVs.

Von der geplanten Reform des Wettbewerbsrechts erhofft sich das Bundeskartellamt weitere Rückendeckung für Verfahren gegen marktmächtige Digitalkonzerne. Der Entwurf für die zehnte Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB-Novelle), den das Bundeswirtschaftsministeriums am 24. Januar 2020 veröffentlicht hat, sei „in engem Austausch“ entstanden. „Die neue Vorschrift des § 19a GWB soll es dem Bundeskartellamt ermöglichen, solchen Unternehmen [mit überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb] besondere Verhaltenspflichten aufzuerlegen“, heißt es im Bericht.

Darüber hinaus stelle der Referentenentwurf die Regelungen zum Datenzugang von Unternehmen, die Kriterien für die Beurteilung der Markstellung von Intermediären und den Maßstab für die Kausalität in der allgemeinen Missbrauchsaufsicht klar. „Das Bundeskartellamt sieht hierin wichtige und gut begründete Neuerungen, um die Herausforderungen im Zusammenhang mit Märkten und Unternehmen der digitalen Wirtschaft noch besser zu bewältigen.“ Positiv hebt das Amt zudem geplante Verschärfungen der Sanktionsinstrumente hervor. Daneben soll die Zusammenarbeit mit anderen europäischen Wettbewerbsbehörden erleichtert werden. Der Kabinettsbeschluss der GWB-Novelle wurde mehrmals verschoben. Nun liegt ein Regierungsentwurf vor, der an diesem Mittwoch ins Kabinett eingebracht werden soll.

Verfahren gegen Facebook und Amazon

Im Verfahren gegen Facebook ging es dem Bundeskartellamt um Beschränkungen bei der Verarbeitung von Nutzerdaten. „Dem Unternehmen wurde untersagt, die Daten seiner Nutzer, ohne dass eine entsprechende Einwilligung vorliegt, aus verschiedenen Quellen zusammenzuführen“, heißt es im Bericht. Das Online-Netzwerk sei das größte soziale Netzwerk in Deutschland mit 32 Millionen Nutzern pro Monat (Stand: Ende 2018), wovon 23 Millionen Facebook täglich nutzten. Es sei auf dem deutschen Markt für soziale Netzwerke marktbeherrschend.

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Der weltweite Umsatz des Konzerns habe im Jahr 2018 bei zirka 55 Milliarden US-Dollar gelegen, 98 Prozent davon würden durch Werbung erwirtschaftet. Deshalb will Facebook so viel wie möglich über seine Nutzer herausfinden, es vermesse sie „bis ins Detail“, schreibt das Kartellamt. Neben Alter, Geschlecht, Sprache, Ort, Interessen und Verhalten würden auch demografische Daten, etwa zu Finanzen, Eltern, Beziehung, Politik oder der Ausbildung erhoben. Darüber hinaus würden weitere Informationen auf den ebenfalls zu Facebook gehörenden Diensten, wie dem Messenger WhatsApp und der Fotoplattform Instagram, gesammelt. Daten würden daneben „aus dem Surfverhalten der Nutzer auf unzähligen Drittwebseiten“ generiert.

Das Bundeskartellamt verlangt, dass die Nutzung von Facebook auch ohne eine Einwilligung in die Datensammlung und -zusammenführung möglich sein muss. Gegen einen Eilantrag Facebooks, der am Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf erfolgte, legte das Amt Beschwerde ein. Die Entscheidung des OLG hat der Bundesgerichtshof am 23. Juni 2020 aufgehoben. „Damit ist der Beschluss des Bundeskartellamtes sofort vollziehbar“. Im November soll sich das OLG Düsseldorf im Hauptsacheverfahren mit dem Fall beschäftigen.

Geschäftsbeziehungen mit Amazon untersucht

Im Fall von Amazon geht es um den vom Unternehmen bereitgestellten Marktplatz amazon.de, auf dem andere Händler sowie Amazon selbst Waren anbieten. Von diesen rund 300.000 Händlern seien 60 bis 65 Prozent aus Deutschland. Das Bundeskartellamt hat die Vertragsbeziehungen und Geschäftsbedingungen zwischen dem Amazon-Marktplatz und den Dritthändlern unter die Lupe genommen. So seien die Bereiche „Produktrezensionen und Verkäuferbewertungen“ von zahlreichen Händlern beanstandet worden.

Im Juli 2019 habe das Amt bewirkt, dass Amazon seine Geschäftsbedingungen für Händler weltweit geändert hat. „Damit wurden für die Händler, die oft davon abhängig sind, auf dem Amazon-Marktplatz präsent zu sein, weitreichende Verbesserungen erwirkt“, schreibt die Behörde. Beispielsweise war Amazon bisher „von nahezu jeglicher Haftung gegenüber Händlern freigestellt“. Nun hafte Amazon ebenso für Vorsatz, grobe Fahrlässigkeit sowie die Verletzung wesentlicher Vertragspflichten. Das Unternehmen hatte bisher auch „ein unbeschränktes Recht auf sofortige Kündigung und Sperrung von Händler-Konten ohne Angabe von Gründen“ – jetzt gilt bei ordentlicher Kündigung eine Frist von 30 Tagen. Auch bei Erstattungen, deren Kosten die Händler bisher tragen mussten, können sie nun Widerspruch einlegen. Zudem kam bisher für rechtliche Auseinandersetzungen ausschließlich Luxemburg als Gerichtsstand in Frage, jetzt können auch inländische Gerichte zuständig sein.

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Amazon habe in den kritisierten Bereichen Produktrezensionen und Verkäuferbewertungen schrittweise Anpassungen vorgenommen. Außerdem laufe eine Sektoruntersuchung „Nutzerbewertungen“ und eine Untersuchung der Europäischen Kommission zur Erhebung und Nutzung von Transaktionsdaten durch Amazon. Das Instrument der Sektoruntersuchung nutzt das Kartellamt, um Strukturen und Wettbewerbsbedingungen in bestimmten Wirtschaftszweigen zu analysieren. Daher habe das Kartellamt die beiden Bereiche „zunächst zurückgestellt“. Mit den Geschäftsbeziehungen befasse sich das Bundeskartellamt aber weiterhin. „Derzeit geht die Behörde der Frage nach, ob und in welcher Form Amazon die Preissetzung seiner Händler beeinflusst“, heißt es vom Bundeskartellamt.

Der Bericht zur Sektoruntersuchung Nutzerbewertungen soll voraussichtlich im Herbst 2020 erscheinen. Ergebnisse einer Befragung zahlreicher Betreiber von Internet-Portalen wurden im Juni in einem Konsultationspapier veröffentlicht, zu dem die Betroffenen Stellung nehmen sollen.

Verfahren gegen die Deutsche Bahn und DATEV

Auch die Deutsche Bahn ist ins Visier der Wettbewerbswächter geraten. Bei einem Ende 2019 gestarteten Verfahren geht es um den Vertrieb von Online-Fahrkarten. „Die Behörde prüft, ob die DB AG als marktführender Eisenbahnkonzern die Auffindbarkeit und Attraktivität von Mobilitätsplattformen für Verbraucher zu Unrecht einschränkt“, heißt es im Bericht.

Außerdem hat sich die Behörde Softwarelösungen für Steuerberater angeschaut und ein entsprechendes Verfahren Ende 2019 abgeschlossen. Die Deutsche Steuerberaterkammer hatte allein dem Unternehmen DATEV „den Betrieb der sog. Vollmachtsdatenbank übertragen“, die der rechtlich vorgeschriebenen Legitimation des Steuerberaters gegenüber der Finanzverwaltung dient und Voraussetzung für den elektronischen Abruf von Daten von Mandanten sei. Nach dem Verfahren des Bundeskartellamtes können künftig nun alle Softwareanbieter diesen Datenabgleich vornehmen.

Glasfaserausbau und Vergleichsportale

In Sachen Fusionskontrolle hat das Bundeskartellamt im vergangenen Jahr eine Kooperation von Telekom und EWE gebilligt. Mit der Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens wollen die beiden Konzerne Glasfasernetze in Nordwestdeutschland ausbauen. Das Kartellamt habe daher bereits vorher weitreichende, verpflichtende Zusagen verlangt. Diese umfassen unter anderen den Ausbau von mindestens 300.000 Anschlüssen, zum Teil auch im ländlichen Raum, die Unterlassung strategischer Abwehrmaßnahmen gegenüber anderen TK-Unternehmen sowie den Zugang zum Netz für Dritte. Ein Teil der ausgebauten Anschlüsse muss zudem an konkurrierende TK-Unternehmen vermarktet werden.

Im Hinblick auf den Verbraucherschutz hat das Bundeskartellamt Online-Vergleichsportale untersucht. Dabei habe die Studie „verbraucherunfreundliche Tricks mancher Portale“ aufgedeckt. Zum Beispiel können Listenplätze im Ranking von Zahlungen der Anbieter abhängen. So stellten manche Portale einzelne Angebote gegen Zahlungen auch vor dem eigentlichen Ranking dar. Außerdem gebe es Kooperationen zwischen verschiedenen Vergleichsportalen, „sodass identische Suchergebnisse unterschiedlicher Portale auf kopierten Datensätzen beruhen können“. Das Bundeskartellamt hat Tipps für Verbraucher zum Umgang mit solchen Portalen zusammengefasst.

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Daneben untersuchte das Amt auch Smart-TVs. In den Datenschutzbestimmungen der Hersteller seien „fast durchgehend“ Transparenzmängel deutlich geworden, die gegen die Datenschutzgrundverordnung verstießen. In diesem Zusammenhang fordert das Kartellamt „eingängige und schnell verständliche Verbraucherinformationen“. Dem Gesetzgeber rät es zu gesetzlichen Regelungen, vor allem für Updates und Haftungsfragen.

Corona: Kooperationen möglich

Die COVID-19-Pandemie hat auch die Arbeit des Bundeskartellamtes eingeschränkt. Im vergangenen Jahr hat das Amt noch rund 848 Millionen Euro Bußgeld gegen insgesamt 23 Unternehmen oder Verbände und 12 natürliche Personen verhängt. In diesem Jahr wurden bis August bisher nur rund 158 Millionen Euro Bußgeld gegen insgesamt acht Unternehmen und acht natürliche Personen verhängt. Kartellamtspräsident Mundt betonte jedoch, es gebe auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten keine Rechtfertigung für illegale Absprachen. „Wir erhalten immer wieder Hinweise auf mögliche Kartelle und werden diese auch weiterhin konsequent verfolgen“, sagte er.

„Etwas ganz anderes“ sei es aber, wenn Unternehmen aufgrund der Krise miteinander kooperieren möchten. „In solchen Fällen sind wir stets gesprächsbereit und haben in den vergangenen Monaten auch schon zahlreiche Unternehmen beratend unterstützen können, beispielsweise um gemeinsam auf Zulieferengpässe reagieren zu können.“

Tagesspiegel Politikmonitoring

Der vorstehende Artikel erscheint im Rahmen einer Kooperation mit dem Tagesspiegel Politikmonitoring auf der Website des BASECAMP.

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