UdL Digital Talk Nachbericht: Eine Grenze gegen Hass im Netz ziehen

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht, Moderator Cherno Jobatey und Philipp Westermeyer, Gründer vom OMR | Foto: Henrik Andree
Bundesjustizministerin Christine Lambrecht, Moderator Cherno Jobatey und Philipp Westermeyer, Gründer vom OMR | Foto: Henrik Andree
Veröffentlicht am 03.09.2020

Foto: Henrik Andree
Justizministerin Christine Lambrecht und OMR-Gründer Philipp Westermeyer diskutierten im BASECAMP am Dienstag über das Thema „Alleine im Netz – wie soll der Staat seine Bürger schützen?“. Neben dem Kampf gegen Hass im Netz ging es dabei auch um den Verbraucherschutz bei Onlineeinkäufen.

Harald Geywitz, Repräsentant Berlin bei Telefónica Deutschland, Bundesjustizministerin Christine Lambrecht, Moderator Cherno Jobatey und Philipp Westermeyer, Gründer vom OMR | Foto: Henrik Andree

Wie gehen wir im Internet miteinander um und welche Maßnahmen sollte der Staat ergreifen, um die Bürger*innen vor Hassrede und Betrug im Netz zu schützen? Das war am Dienstag das Thema des 55. UdL Digital Talks im BASECAMP von Telefónica Deutschland – diesmal mit kleinerem Publikum und dem notwendigen Abstand, um die Corona-Regeln einzuhalten. Unsere Gäste waren die Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz, Christine Lambrecht (SPD), und Philipp Westermeyer, Gründer von Online Marketing Rockstars (OMR). Moderiert wurde der Talk von Cherno Jobatey.

„Es werden Grenzen überschritten“

Die Bundesjustizministerin macht im Netz auch persönlich Erfahrungen mit Hass und findet, „es werden mittlerweile Grenzen überschritten, die kaum noch erträglich sind“. Das führe zum Teil dazu, dass viele Menschen sich aus sozialen Netzwerken und der gesellschaftlichen Debatte zurückziehen. Es gebe teilweise „massive Bedrohungen“, gerade Kommunalpolitiker erlebten das, erklärte Lambrecht. Und an dieser Stelle muss aus Sicht der Ministerin eine klare Linie gezogen werden, denn „da wo sich Menschen aus dem Diskurs zurückziehen, da fehlt die offene Gesellschaft“ und die Demokratie selbst ist gefährdet. Als Politiker, so die Ministerin, lege man sich zwar ein „dickeres Fell zu“ und werde nicht von jeder Beleidigung „aus der Bahn“ geworfen, aber wenn gewisse Grenzen überschritten werden, mache einen das schon nachdenklich. Und „ich persönlich bin nicht bereit, das einfach als Begleiterscheinung des Berufs hinzunehmen“, betonte Lambrecht. Entsprechend bringe sie auch tatsächlich alle Posts, die strafrechtlich relevant sind, zur Anzeige.

UdL Digital Talk September 2020
Bundesjustizministerin Christine Lambrecht | Foto: Henrik Andree

Philipp Westermeyer glaubt, dass „früher oder später die Anonymitätsmöglichkeiten beschränkt werden“ müssen, um die Hassrede in sozialen Netzwerken in den Griff zu bekommen. Aus seiner Sicht gibt es bereits einen Trend, vermehrt den Klarnamen zu nutzen, allein um online Geschäfte tätigen oder einkaufen zu können. Christine Lambrecht hält die Abschaffung der Anonymität hingegen „für keine gute Entwicklung“. Denn der anonyme Austausch auf Plattformen, erklärte die Ministerin, habe auch seine Vorteile. Menschen trauten sich so offener über über Dinge zu schreiben oder zu sprechen. „Ich glaube deshalb, dass die Anonymität einen Wert hat und wir sie auch verteidigen sollten“, so Lambrecht weiter. Um Personen hinter Pseudonymen zu identifizieren, gebe es im Bedarfsfall andere Instrumente. Westermeyer pochte dann auch nicht per se auf eine Klarnamenpflicht. Er glaube aber, dass „die Nicknames aus einer Zeit kommen, wo Internet und reale Welt noch getrennt existierten – aber das ist jetzt ja vorbei“. Für die Anonymität, sagte Westermeyer, setzten sich heute hauptsächlich noch Vertreter der ersten Internetgeneration ein, die die Ursprünge verteidigen wollen. Vielen anderen Nutzer*innen sei die Frage hingegen egal.

Gesetze zur Bekämpfung der Hasskriminalität

Damit der Staat besser gegen Hass im Netz vorgehen kann, haben Bundestag und Bundesrat Ende Juli das Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität verabschiedet. Das Gesetz verpflichtet Betreiber sozialer Netzwerke dazu, bestimmte strafbare Inhalte an das Bundeskriminalamt zu melden. Außerdem wurde neu definiert, was strafbar ist. Ziel ist auch, Politiker von der Bundes- bis zur Kommunalebene besser im Netz zu schützen. „Ich hoffe, dass das Gesetz abschreckende Wirkung hat“, erklärte die Bundesjustizministerin. Ergänzend seien die Länder aktiv geworden, da auch sie die Bedrohung und Beleidigung von Menschen, die sich auf kommunaler Ebene politisch engagieren, als Gefahr für die Demokratie ansehen.

UdL Digital Talk September 2020
Philipp Westermeyer, Gründer vom OMR | Foto: Henrik Andree

Philipp Westermeyer wies darauf hin, dass die Algorithmen der Plattformen einen Beitrag zum Problem leisten. „Extreme Positionen mit vielen Klicks und Likes werden auf Plattformen belohnt“. Dies spitze die Debatten weiter zu, da weniger polarisierende Positionen aus dem Blick gerieten. Lambrecht erklärte, die Regierung sei dazu im Gespräch mit den Plattformen. „Und ich habe den Eindruck, dass die Botschaft angekommen ist – gerade nach den letzten Monaten“, so die Ministerin. Die Plattformen wollten auch nicht mit Hass und Bedrohungen in Verbindung gebracht werden. Lambrecht stellte aber auch noch einmal klar, dass das Gesetz nicht auf Beleidigung abziele, sondern auf wirklich strafbares Handeln – wie Morddrohungen, Androhung von Vergewaltigungen oder Volksverhetzung. Hier könnten Richter*innen dann auch die Herausgabe von Passwörtern verlangen und Personen könnten über IP-Adressen und Zeitstempel identifiziert werden.

Westermeyer verglich Debatten in sozialen Netzwerken mit Demonstrationen. Die freie Meinungsäußerung müsse gewährleistet sein, aber „wenn jemand Quatsch macht“, müsse eingegriffen werden. Deshalb, betonte Lambrecht, „ist das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) so wichtig.“ Damit Nutzer*innen Fehlverhalten und Hassrede an entsprechende Stellen melden und die Netzwerke gewisse Inhalte dann auch löschen können. Es zeige sich mittlerweile, so die Ministerin weiter, dass die anfängliche Angst vor „Overblocking“ unbegründet war.

Welche Rolle spielt Medienkompetenz?

Neben klaren Regeln für das Zusammenleben im Netz hält die Bundesjustizministerin, die auch für den Verbraucherschutz zuständig ist, Medienkompetenz für essenziell. Sie verwies dabei auf verschiedene Programme ihres Ministeriums, die beispielsweise jüngeren Menschen die Mechanismen hinter Influencern erläutern. Das, so Lambrecht, habe schon zu „Aha-Effekten“ geführt. Darüber hinaus arbeite ihr Haus an einer Charta für Vertrauen im Netz, an der sich auch Telefónica beteilige. Westermeyer glaubt hingegen nicht, dass Programme zur Förderung der Medienkompetenz viel nutzen. Als jemand, der im Marketing tätig ist, „sehe ich, wie schwer es ist, Botschaften zu vermitteln – gerade wenn sie nicht sonderlich attraktiv sind“. Die Vermittlung von Medienkompetenz sei deshalb sicher ein Element, man „darf sich aber nicht darauf verlassen“. Er selber wünsche sich daher mit Blick auf seine eigenen Kinder eher klare Regeln.

UdL Digital Talk September 2020
Bundesjustizministerin Christine Lambrecht, Moderator Cherno Jobatey und Philipp Westermeyer, Gründer vom OMR | Foto: Henrik Andree

Christine Lambrecht kam auch noch auf ein Thema zu sprechen, dass ihr insbesondere vor dem Hintergrund der jüngsten Ereignisse vor dem Berliner Reichstagsgebäude wichtig sei: „Wir müssen uns für Personen und Gruppen stark machen, die sich für die demokratische Gesellschaft engagieren“. Darüber hinaus gelte es zu erkennen, dass die Mehrheit im Land nicht immer am Lautesten sei und damit gerne mal aus dem Blickfeld gerate. „Diese Menschen sehen viele Dinge ganz anders und sind zum Beispiel vollkommen damit einverstanden, welche Maßnahmen in Zusammenhang mit Corona getroffen wurden“, unterstrich die Ministerin. Deshalb sollten wir die Dinge nicht ins falsche Verhältnis setzen. Und darüber hinaus, so Lambrecht, sollten Organisationen, die sich gesellschaftspolitisch engagieren – zum Beispiel gegen Hass und Extremismus – nicht nur eine Projektförderung erhalten, sondern nachhaltig unterstützt werden. Dafür setze sie sich gemeinsam mit ihrer Kabinettskollegin Familienministerin Franziska Giffey (SPD) ein.

Debatte ist notwendig

Die Debatte darüber, wie wir Hass und Hetze im Netz begegnen, ist spannend und notwendig. Die Meinungen über den richtigen Weg fielen bei unseren Diskutanten durchaus unterschiedlich aus. Und auch an der Reaktion des Publikums im Laufe der Diskussion wurde deutlich, wie viel Zündstoff zum Beispiel das Thema Anonymität vs. Klarnamen-Pflicht birgt. Die Diskutanten griffen am Dienstag aber auch noch einen anderen Punkt auf, bei dem es um die Rolle des Staates geht – nämlich die Regeln für die digitale Wirtschaft.

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht, Moderator Cherno Jobatey und Philipp Westermeyer, Gründer vom OMR | Foto: Henrik Andree

Die EU-Kommission arbeitet derzeit am Entwurf eines Digital-Services-Acts. Davon erhofft sich Philipp Westermeyer, „dass die Vielfalt im Netz erhalten bleibt“. Es wäre schlecht, wären künftig alle deutschen Unternehmen von amerikanischen Plattformenanbietern abhängig. „Ich bin gespannt was vorgelegt wird. Ich hoffe auf Regeln für den Umgang mit Künstlicher Intelligenz“, sagte Lambrecht. Dass Entscheidungen von KI nachvollziehbar sind, sei auch ein Anliegen der deutschen Ratspräsidentschaft. Jenseits des Digital-Services-Acts wolle das Bundesjustizministerium dazu beitragen, dass Rezensionen auf E-Commerce-Plattformen vertrauenswürdig sind. Das Wettbewerbs- und das Kartellrecht sorgten darüber hinaus dafür, dass Wettbewerb und Wahlfreiheit erhalten blieben – wovon die Kund*innen profierten.

Im Kontext des Verbraucherschutzes wird aktuell auch über die Laufzeiten von Verbraucherverträgen und telefonische Vertragsabschlüsse diskutiert. Ein Entwurf der Novelle des Telekommunikationsgesetzes (TKG) aus dem Bundeswirtschafts- und dem Bundesverkehrsministerium sieht die Begrenzung auf maximal 24 Monate vor, wärend das Verbraucherschutzministerium grundsätzlich für 12 Monate plädiert. Aus Sicht vieler Vertreter der Wirtschaft stünde das der Vertragsfreiheit entgegen und werde der existierenden wettbewerblichen Vielfalt nicht gerecht. Die Bundesjustizministerin positionierte sich auf die entsprechende Nachfrage des Bitkom ganz klar: bei wesentlichen Fragen wie Energieversorgungsverträgen fordert sie eine schriftliche Bestätigung von telefonisch besprochenen Vertragsänderungen oder Neuabschlüssen. Außerdem sollen nach Ansicht von Christine Lambrecht neben zweijährigen Verträgen auch Ein-Jahres-Verträge mit verkürzter Verlängerungsfrist angeboten wird, damit der Verbraucher eine freie Entscheidung treffen kann.

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