BGH: Kein automatisches Recht auf Vergessenwerden

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Veröffentlicht am 04.08.2020

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Das Recht auf Vergessenwerden soll persönliche Informationen schützen. Es gilt aber nicht automatisch und in jedem Zusammenhang, urteilte der BGH vergangene Woche. In dem konkreten Fall wollte ein Mann Presseartikel bei Google auslisten lassen. Das Recht auf Meinungsfreiheit wiege schwerer, so die Richter.

Im Internet gibt es bei kritischen Artikeln über Personen kein automatisches „Recht auf Vergessenwerden“ gegenüber Suchmaschinenbetreibern wie Google. Solch ein Recht sehe die EU-Datenschutzgrundverordnung nicht vor, urteilte am Montag (27.07.) der Bundesgerichtshof (BGH). Ein Auslistungsanspruch bei kritischen Artikeln sei von einer umfassenden Grundrechtsabwägung im Einzelfall abhängig. Im konkreten Fall wiesen die Karlsruher Richter die Klage eines früheren Geschäftsführers einer Wohlfahrtsorganisation ab, der verhindern wollte, dass Google bei der Suche nach seinem Namen Suchergebnisse zu kritischen Presseberichten über ihn weiter anzeigt.

Hintergrund des Rechtsstreits war ein 2011 entstandenes finanzielles Defizit bei dem Wohlfahrtsverband in Höhe von knapp einer Million Euro. Kurz zuvor hatte sich der klagende frühere Geschäftsführer krankgemeldet. Die Presse berichtete wiederholt über die finanzielle Schieflage.

Bei Eingabe des Vor- und Nachnamens des Klägers bei Google zeigte die Suchmaschine auch fünf solcher Presseartikel an. Wegen der dortigen Nennung von Gesundheitsdaten sieht der Kläger sein Persönlichkeitsrecht verletzt. Mit seiner Klage macht er ein „Recht auf Vergessenwerden“ geltend und verlangt, dass Google diese Presseartikel nicht mehr bei den Suchergebnissen anzeigt. Er beruft sich dabei auf die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO).

Kein automatisches Recht auf Vergessenwerden

Der BGH urteilte nun, dass es ein automatisches Recht, die Personendaten in den Suchergebnissen zu Presseartikeln auszulisten, nach der DSGVO nicht gibt. Mache jemand eine Persönlichkeitsrechtsverletzung geltend, müssten für einen Löschungsanspruch alle betroffenen Grundrechte gleichberechtigt miteinander abgewogen werden. Hier greife auch die Meinungsfreiheit der Presseunternehmen, da diese bei einer Löschung der Suchergebnisse betroffen wären.

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Im Streitfall müsse das Persönlichkeitsrecht des Klägers hinter dem Interesse der Internetnutzer, der Öffentlichkeit und der für die verlinkten Zeitungsartikel verantwortlichen Presseorgane zurücktreten. Maßgeblich, ob eine Auslistung aus Googles Suchergebnissen Erfolg haben kann, sei die „fortdauernde Rechtmäßigkeit der verlinkten Berichterstattung“, so die Karlsruher Richter.

Schwierigkeiten in der Anwendung der DSGVO

„Der Bundesgerichtshof hat damit klargestellt, dass nicht jede unliebsame Berichterstattung aus den Google-Suchergebnissen gelöscht werden muss. Betroffene können sich nicht speziell die negativen Berichte herauspicken. Das gilt auch für oberflächliche gesundheitsbezogene Daten, die für das Verständnis des Artikels erforderlich sind“, sagte der Berliner Medienanwalt Ehssan Khazaeli von der Kanzlei Von Rueden zu Tagesspiegel Background und ergänzte: „Zugleich zeigt die Entscheidung aber auch auf, welche Schwierigkeiten bei der Anwendung der Datenschutzgrundverordnung auftreten, wenn nicht einmal der Bundesgerichtshof in jedem Fall beurteilen kann, ob sie auf Google anwendbar ist.“

Das Recht auf Vergessenwerden ist juristisch in Deutschland bis heute nicht abschließend geklärt und beschäftigt die Gerichte seit mehr als einem Jahrzehnt. Ein frühes Beispiel dafür war der Fall des so genannten „Techno-Vikings„, der auf der Loveparade 2000 in Berlin gefilmt worden war. Bilder aus dem Film wurden zu einem Internet-Meme. Der Mann versuchte später erfolgreich, die Weiterverbreitung der Aufnahmen und die Verwendung für Merchandise-Artikel zu untersagen. Es zeigte sich jedoch, dass es technisch nicht einfach ist, einmal berühmt gewordene Bilder aus dem Netz löschen zu lassen, selbst wenn man das Recht auf seiner Seite hat: Die Aufnahmen kursieren bis heute.

EuGH fällte Grundsatzurteil im Jahr 2014

Im Jahr 2014 urteilte der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem anderen Fall, dass Google unter bestimmten Umständen verpflichtet ist, Links aus seinen Datenbanken zu entfernen. Dies gelte jedoch nicht für Pressearchive, denn Medien wurde in diesem Zusammenhang eine privilegierte Stellung als Mittler bei der öffentlichen Meinungsbildung eingeräumt. Das Urteil bedeutete einerseits, dass das EuGH Google als Mitverbreiter von Informationen einstufte. Andererseits nahmen die Richter eine Grundrechtsabwägung vor.

Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg. | Foto: CC0 1.0 | Pixabay User LVER | Ausschnitt angepasst

Seit 2016 ist das Recht auf Vergessenwerden auch Teil der DSGVO. Unter Artikel 17 werden bestimmte Umstände geregelt, in denen öffentlich zugängliche personenbezogene Daten gelöscht werden müssen. Allerdings gilt dies auch nur mit Einschränkungen. In Absatz 3 ist unter anderem geregelt, dass dieses Recht nicht gelte, wenn die „Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung und Information“ dadurch eingeschränkt sei.

BVerfG urteilte erst im Juni

Vor einem Monat urteilte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG), dass der Hamburger Unternehmer Ulrich Marseille kein Recht darauf habe, dass Details aus seiner studentischen Vergangenheit aus einem Artikel des „Manager Magazins“ entfernt werden müssen. Marseille war 1983 wegen eines Täuschungsversuchs vom juristischen Staatsexamen ausgeschlossen worden. Der ehemalige Politiker (Schill-Partei) war der Ansicht, dass es über dieses Detail aus seiner Vergangenheit kein ausreichendes Berichtsinteresse mehr gebe.

Das Landgericht Hamburg gab ihm Recht, das BVerfG dagegen nicht. In der Urteilsbegründung wurde beispielsweise darauf verwiesen, dass für Personen des öffentlichen Interesses andere Maßstäbe gälten als für einfache Privatpersonen. Außerdem gälten für das Recht auf Vergessenwerden bestimmte Voraussetzungen: So müssten beispielsweise Informationen auf hartnäckige und persönliche Weise publiziert werden, wenn Betroffene sich darauf berufen wollten.

Tagesspiegel Politikmonitoring

Der vorstehende Artikel erscheint im Rahmen einer Kooperation mit dem Tagesspiegel BACKGROUND Digitalisierung & KI auf der Website des BASECAMP.

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