UdL Digital Talk Nachbericht: Fallstricke und Fingerspitzengefühl beim Umgang mit Fake News

Foto Henrik Andree
Foto Henrik Andree
Veröffentlicht am 17.05.2017

Über Fake-News und Hate Speech und die knifflige Frage nach Regulierung und Sanktionierung diskutierten am 15. Mai die Generalsekretärin der SPD, Katarina Barley, und der Netzpolitik.org-Redakteur Ingo Dachwitz beim UdL Digital Talk im BASECAMP von Telefónica Deutschland. Was den zahlreichen Gästen bei der von Cherno Jobatey moderierten Veranstaltung zum Thema „Unwahr, halbwahr, wahrscheinlich? – Fakten und Meinungsmacht in digitalen Zeiten“ schnell deutlich wurde: Die direkte Kommunikationssituation in den sozialen Medien – sie hat neben den zahlreichen Vorteilen auch ihre Schattenseiten. „Politikvermittlung ist nicht schwieriger geworden, nur anders“, sagte so Barley. Politische Kommunikation sei aber auch anstrengender geworden, weil das Tempo zugenommen habe und die Erwartung entstanden sei, dass man ständig erreichbar sein müsse, so die social-media-affine Sozialdemokratin.

Cherno Jobatey, Katarina Barley, Ingo Dachwitz und Valentina Daiber, Foto: Henrik Andree

Keine Angst vorm Shitstorm

Von der Unberechenbarkeit der direkten Kommunikation in den sozialen Netzwerken wussten beide Protagonisten des UdL Digital Talks zu berichten. Ingo Dachwitz erntete in seiner Anfangszeit bei Netzpolitik.org für einen Artikel über das WLAN-Angebot der Landeskirche Berlin-Brandenburg wütende Kommentare. Ihm wurde vorgeworfen, als Jugenddelegierter der EKD-Synode nur Werbung für das Projekt machen zu wollen. Dieser Tage steht er insbesondere dann unter Beschuss, wenn er für das netzpolitische Blog über die digitale Kommunikation der AfD berichtet. Katarina Barley hat ihren ersten Shitstorm durch einen Tweet über einen Vorschlag zur Elternzeitaufteilung ausgelöst. Bedingt durch die Begrenzung auf 140 Zeichen war ein falscher Eindruck von den Zielen der Reformidee entstanden, die eine gerechtere Verteilung der Elternzeit zwischen Vätern und Müttern fördern sollte.

„Ich nehme mir als Rheinländerin zwar viel zu Herzen, aber das verletzt mich nicht. Ich mache mir bewusst, dass die Leute nicht mich als Person meinen, sondern nur die Rolle, die ich ausübe, oder das, was ich mache“,

berichtete die gebürtige Kölnerin, die als SPD-Bundestagsabgeordnete in Rheinland-Pfalz für den Wahlkreis Trier zuständig ist. Auch Ingo Dachwitz geht zwar cool mit dem Phänomen Shitstorm um, gesteht aber ein, dass ihn die Reaktionen durchaus manchmal einige Stunden beschäftigen, vor allem, wenn es bei der Kritik persönlich wird.

Katarina Barley, Foto: Henrik Andree

Bei Katarina Barley hat die zuweilen unsachliche Diskussionskultur im Netz vor allem Auswirkungen auf das, was sie dort an Kommentaren an sich heranlässt. Als sie ausschließlich Abgeordnete war, habe sie Twitter häufig als Kommunikationsinstrument genutzt und gern interagiert, als Generalsekretärin habe sich das geändert.

Da habe sie manche stumm schalten oder in seltenen Fällen auch blocken müssen, weil es denen ausschließlich ums „Anscheißen“ gegangen sei. Ihre Authentizität hingegen lässt sich die Sozialdemokratin trotz des oft rauen Tonfalls im Netz nicht nehmen.

„Ich poste zum Beispiel gern Selfies von Veranstaltungen, dabei sieht man selbst allerdings meist nicht so vorteilhaft aus – meine Mitarbeiter schlagen mir manchmal schon vor, dass ich lieber ein schönes Foto posten soll, aber ich finde das gut so“, sagt Barley.

In den Augen von Ingo Dachwitz ist sie damit eine Ausnahme unter den Politikern in den sozialen Medien.

„Die meisten Politiker kommen dem Authentizitätsprinzip in der digitalen politischen Kommunikation nicht nach, die wenigsten nutzen es, um tatsächlich mit Leuten in Kontakt zu kommen“,

kritisiert der studierte Medien- und Kommunikationswissenschaftler beim UdL Digital Talk im BASECAMP.

Twitter statt Bild, BamS und Glotze

Als Bereicherung empfinden beide Diskutanten die neue Pluralität beim Agenda Setting.

„Es gibt grundsätzlich eine Verschiebung. Marginalisierte Bewegungen schaffen es über soziale Medien in den gesellschaftlichen Diskurs zu kommen und bringen so klassische Medien dazu, zu berichten“, hebt Ingo Dachwitz hervor.

Ein Instrument, dessen sich auch politische Akteure verstärkt bedienen. Während der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder vor gut 15 Jahren nach eigener Aussage nur „Bild, BamS und Glotze“ zum Regieren brauchte, setzt US-Präsident Donald Trump bei der politischen Kommunikation heute hauptsächlich auf Twitter.

„Das ist spannend, was daraus wird, also quasi Regieren via Twitter − ob sich das am Ende durchsetzt, muss man ja noch sehen. Wenn er wirklich durchkommt mit den vielen Lügen, die er erzählt, und wenn er das wirklich schafft, über die sozialen Netzwerke so eine Unterstützung hinter sich zu kriegen, dass ihm das nichts anhaben kann, dann ist das wirklich eine Kulturrevolution in der Politik“, sagt Katarina Barley.

Twitter lässt sich umgekehrt aber auch für den Kampf gegen Fake News einsetzen. Wie die SPD-Generalsekretärin berichtet, habe es im NRW-Wahlkampf die Situation gegeben, dass Angela Merkel die Unwahrheit über den Abruf finanzieller Mittel zum Straßenbau gesagt habe. Die klassischen Medien hätten die Information der SPD aber nicht aufgenommen, erzählt Barley, so dass die Partei die Richtigstellung dann verstärkt über die sozialen Medien gespielt habe.

Umgang mit Fake News – ein schmaler Grat

Wie man Falschmeldungen und Hetze im Netz Herr werden soll, darüber waren sich Barley und Dachwitz uneinig. Vor allem am Netzwerkdurchsetzungsgesetz von Bundesjustizminister Heiko Maas entzündete sich eine Grundsatzdebatte zwischen den beiden Protagonisten beim UdL Digital Talk im BASECAMP. Laut Gesetzentwurf sollen Plattformbetreiber unter Androhung von Geldstrafen in die Pflicht genommen werden, bestimmte Beiträge zu löschen. Die Unternehmen wollten den Umgang mit Fake News und Hate Speech lieber über das Prinzip der Freiwilligkeit lösen, „aber wenn wir sehen, dass das nicht funktioniert, müssen Regeln her“, so Barley. Natürlich könne Facebook nicht beeinflussen, was von den Nutzern gepostet wird, aber man könne erwarten, dass Facebook tätig wird, wenn die Nutzer Posts als Fake News taggen, erläuterte sie mit Verweis darauf, dass bestimmte Bilder von dem Unternehmen sehr schnell gelöscht würden.

„Diese Konzerne verdienen ein irrwitziges Geld, von denen kann man verlangen, dass sie mit journalistischen Organisationen zusammenarbeiten und Regeln durchsetzen“, forderte sie.

Ingo Dachwitz findet allerdings schon die Definition von Fake News „diskussionswürdig“ und warnt vor den möglichen Folgen des Gesetzes:

„Wenn Facebook ständig Strafen drohen, wird es im Zweifelsfall eher zu viel löschen als zu wenig.“

Dies sei eine Gefahr für die Meinungsfreiheit im Netz, fuhr er fort. Für Katarina Barley ist hingegen klar, dass es sich erst dann um Fake News handelt, wenn damit bewusst manipuliert werde. „Das ist aber ein wahnsinnig schmaler Grat“, in dieser Bewertung waren sich die beiden Diskutanten dann einig.

Schnelle Hate-Speech-Entscheidung vor Gericht?

Nach Ansicht der SPD-Generalsekretärin hat das Netzwerkdurchsetzungsgesetz insbesondere beim Umgang mit Hate Speech eine große Bedeutung.

„Freie Meinungsäußerung ist eines der höchsten Güter, die wir haben in diesem Land. Aber es gibt schon Tweets oder Posts, wo ich sage: Ich möchte nicht, dass sich das verbreitet, auch nicht zwei Stunden lang“, sagt Barley.

Dachwitz kritisiert, dass durch das Gesetz die politische und rechtliche Verantwortung auf Privatunternehmen abgewälzt würde. „Wir dürfen Unternehmen nicht für Rechtsauslegung

verantwortlich machen“, findet der Redakteur von Netzpolitik.org. Katarina Barley sieht diese Gefahr nicht. Es gehe lediglich darum, „offensichtlich rechtswidrige Inhalte“ wie Morddrohungen zu löschen, diese Fälle seien eindeutig. Ingo Dachwitz hält es grundsätzlich dennoch für den besseren Weg, wenn Gerichte in der vom Gesetz vorgeschriebenen Schnelligkeit von 24 Stunden reagieren könnten – einem theoretischen Ansatz, dem die Juristin Katarina Barley als ehemalige Richterin allerdings skeptisch gegenübersteht. Sie habe großes Vertrauen in das Rechtssystem, aber selbst wenn die Gerichte nicht unterbesetzt wären, sei das zeitlich nicht zu machen, entgegnete sie.

„Wenn man reguliert, dann muss man das auf jeden Fall vorsichtiger machen als in diesem Entwurf“, forderte der Netzpolitik-Experte Dachwitz.

Noch befinde sich das Gesetz im parlamentarischen Verfahren und werde von den Fraktionen bearbeitet, berichtete Barley.

Das Recht auf die eigene Filterblase

Dissens gab es zwischen den Diskutanten beim UdL Digital Talk im BASECAMP auch beim Thema Filterblase. Während Ingo Dachwitz die Entwicklung als wenig problematisch ansieht, weil sich Menschen mit ähnlichen Weltsichten auch schon früher in Kneipen und andernorts zusammengetan hätten, plädierte Barley dafür, an dem Ideal einer Medienpluralität auch im Leben des einzelnen festzuhalten. Es gehe ja nicht um die selbstgewählte Filterblase, sondern darum, dass sich das System der angezeigten Informationen mit der Zeit verselbständige.

„Man sieht bestimmte Dinge einfach nicht mehr, weil sie einem nicht angezeigt werden“, so Barley.

Ein Pluralitätsgebot für soziale Netzwerke fände sie daher eine interessante Idee. Letztlich sei das aber keine Frage der Regulierung, sondern eine Aufgabe von Bildung, so die SPD-Generalsekretärin, die dafür bei einem anderen Thema mit ihrem Diskussionspartner auf einen Nenner kam: Ingo Dachwitz sieht Regulierungsbedarf beim Digital Advertising.

„Es braucht Regeln für zielgerichtete Werbung. Es muss klar sein, aufgrund von welchen Daten ich die Werbung angezeigt bekomme“, so der Netzpolitik.org-Redakteur.

„Bei der Diskussion um Transparenz bin ich dabei“, versprach Barley.

Unwahr, halbwahr, wahrscheinlich? Foto: Henrik Andree

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