Teilhabe: Digitale Armut in Krisenzeiten

Foto: iStock / fermate
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Veröffentlicht am 30.01.2023

In letzter Zeit warnen Stimmen aus dem sozialen Bereich häufiger vor digitaler Armut in Deutschland – gerade angesichts der aktuellen Mehrfachkrisen. Aber was ist damit gemeint und welche gesellschaftlichen Auswirkungen sind mit digitaler Armut verbunden?

Armut hat in Deutschland in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Zu diesem Ergebnis kommen jedenfalls verschiedene Studien, zum Beispiel der Paritätische Armutsbericht 2022 oder der aktuelle Verteilungsbericht des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung. So hätten besonders die Beeinträchtigungen durch die Corona-Pandemie, steigende Energiepreise sowie die allgemeine Inflation dazu beigetragen, dass viele Haushalte weniger Geld zur Verfügung haben – und unter die Armutsgrenze rutschen.

Es geht um gesellschaftliche Teilhabe

Ein Aspekt, der dabei bisher kaum betrachtet wird, ist die Auswirkung von steigender Armut auf die Digitalisierung bzw. die digital stattfindende Teilhabe an der Gesellschaft. Denn viele Tätigkeiten und Prozesse – Einkaufen, Recherchieren, Kommunizieren, Bildungs- oder Kulturangebote – sind heute online möglich und wenn man diese selbst nicht wahrnehmen kann, bleibt einem ein wachsender Teil des gesellschaftlichen Lebens vorenthalten. Doch wenn Menschen schon das Geld für essenzielle Dinge wie Lebensmittel fehlt, wird vermutlich auch an technischen Geräten, der Internetgeschwindigkeit oder anderen digitalen Zugangsmöglichkeiten gespart, die für diese Teilhabe relevant sind.

Dies ist besonders für junge Menschen problematisch, da das gesellschaftliche Leben in ihrer Generation bereits wesentlich von der Digitalisierung geprägt ist, häufig in einem Mix aus analogen und digitalen Treffen. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit hat diese Problematik für ihren Monitor Jugendarmut 2022 aufgegriffen und stellt darin fest:

„Menschen in von Armut bedrohten Haushalten besitzen statistisch-evident sowohl weniger digitale Zugangsgeräte als auch digitale Kompetenzen. Nicht unproblematisch in einer Zeit, in der sich immer mehr in die digitale Welt verlagert.“

Klare Unterschiede durch das Haushaltseinkommen

Foto: Unsplash User Towfiqu barbhuiya | Ausschnitt bearbeitet

Die für den Monitor herangezogenen Ergebnisse des D21-Digitalindex zeigen, dass sowohl die digitale Kompetenzen als auch die Verfügung über internetfähige Endgeräte stark mit dem Haushalts-Einkommen korrelieren. Demnach liegt der Digitalisierungsindex von Haushalten mit niedrigem Netto-Einkommen um 31 Prozentpunkte niedriger als gegenüber den besserverdienenden Haushalten. Zum Beispiel besitzen von den Haushalten mit mehr als 3.000 Euro Einkommen 79 Prozent mindestens einen Laptop, während das bei den Haushalten mit bis zu 2.000 Euro nicht einmal bei der Hälfte (47 Prozent) der Fall ist.

Diese Unterschiede bei der technischen Grundausstattung wirken sich wiederum auf die digitalen Kompetenzen aus und von Armut betroffene Kinder können im Schnitt schlechter mit solchen Geräten umgehen, wie die Zahlen des Monitors verdeutlichen. So fallen laut Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung die digitalen Kompetenzen bei Neuntklässlern zu 17 Prozent niedriger aus, wenn die Eltern erwerbslos sind. In der Folge sinken die Teilhabechancen von Menschen, die finanziell nicht mithalten können. Gerade mit Blick auf digitalen Unterricht könnten sich Armut und Perspektivlosigkeit somit gegenseitig verstärken und zu sozialer Spaltung beitragen.

Noch zu wenig Problembewusstsein in der Politik?

Um dem entgegenzuwirken fordern Expert:innen eine digitale Grundversorgung speziell für Erwerbslose und ihre Familien, z.B. bestehend aus einem Anspruch auf technische Geräte und Anschlussgebühren. Zudem sollten in den Schulen die Digitalkompetenzen der jungen Menschen noch stärker gefördert werden, also der Umgang mit den Geräten, mit den Chancen und Gefahren des Internets. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit fordert die Politik etwa auf, für ein „digitales Existenzminium“ zu sorgen. Ähnliche Forderungen hat die Diakonie bereits Anfang 2021 erhoben.

In der deutschen Politik scheint das Problem digitaler Armut bisher allerdings noch nicht als eigenständige Herausforderung angekommen zu sein. Armutsbekämpfung wird hierzulande weiterhin eher allgemein gedacht, Auswirkungen auf die Digitalisierung spielen hier kaum eine Rolle. Ein Beispiel: Im „Nationalen Aktionsplan gegen Kinderarmut“ des Bundesfamilienministeriums stehen die übergreifenden Punkte „Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung, gesunder Ernährung und Wohnraum“ im Vordergrund – inwiefern die digitale Teilhabe dabei mitgedacht wird, bleibt aber unklar.

Foto: Unsplash User McKaela Lee | Ausschnitt bearbeitet

Auch im Koalitionsvertrag der Bundesregierung taucht das Thema in seiner konkreten Ausprägung nicht auf. Immerhin haben sich die Ampel-Parteien aber vorgenommen, mehr Kinder aus der Armut zu holen und „dabei insbesondere auch auf Digitalisierung und Entbürokratisierung“ zu setzen. Zudem sollen „Kitas, Schulen und sonstige Angebote der Bildung und Teilhabe“ gestärkt werden.

Bleibt zu hoffen, dass dabei auch mehr gegen digitale Armut getan wird und die damit verbundenen Herausforderungen der gesellschaftlichen Teilhabe im digitalen Raum mehr Aufmerksamkeit erhalten.

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