Demokratie Digital: Was bedeutet feministische Digitalpolitik?

Foto: CC0 1.0, Pixabay User Brooke Cagle | Ausschnitt angepasst
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Veröffentlicht am 11.11.2022

Seit neuestem ist in den deutschen Parteien von feministischer Digitalpolitik die Rede. Was ist damit gemeint und wie weit wird das Konzept im Politikbetrieb tatsächlich aufgegriffen?

Hinter dem Begriff der feministischen Digitalpolitik verbirgt sich eine Perspektive auf Politik und Gesellschaft, mit deren Hilfe Diskriminierungsformen im digitalen Raum analysiert und kritisch eingeschätzt werden können – seien es Herabsetzungen und Benachteiligungen aufgrund des Geschlechts, der Sexualität, des Alters, des Aussehens oder des sozialen Hintergrunds einer Person. Da solche Diskriminierungen oft nicht nur auf einer der genannten Kategorien Bezug nehmen, sondern häufig mit mehreren verschränkt sind, spielt hierbei auch das Konzept der Intersektionalität eine Rolle.

Woher der Vorstoß für eine feministische Digitalpolitik kommt

Zentrale Themen einer feministischen Betrachtung des Internets sind insbesondere Formen der Überwachung und der digitalen Gewalt sowie die sich daraus ergebenden Strukturen der Diskriminierung und Unterdrückung. Feministische Digitalpolitik versucht dementsprechend solche Strukturen nicht nur zu analysieren, sondern ihnen mit emanzipatorischen Maßnahmen entgegenzuwirken. Dies ist durchaus von gesamtgesellschaftlicher Relevanz, da mit der Zunahme von Hass und Gewalt im digitalen Raum die Gefahr besteht, dass das Internet als wichtiger Ort demokratischer Debatten von Teilen der Bevölkerung nicht mehr (angstfrei) genutzt werden kann.

Getragen wird die Idee einer feministischen Digitalpolitik aktuell von drei Stoßrichtungen: Einerseits gab es in den letzten Monaten mehrere Versuche, feministische Politik ressortspezifisch neu auszurichten. So ist die feministische Außenpolitik seit der Übernahme der Amtsgeschäfte durch Annalena Baerbock im Auswärtigen Amt offiziell Programm. Ihre Kollegin Svenja Schulze will im Entwicklungsministerium feministische Entwicklungspolitik gestalten. Und erst im Oktober veröffentlichten Lisa Paus, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, und die Fraktionsvorsitzende der Grünen Katharina Dröge ein gemeinsames Paper über feministische Wirtschaftspolitik, in dem sie einen neuen „integrativen Wirtschaftsrahmen auf der Grundlage feministischer Werte” fordern.

Wissenschaft und Zivilgesellschaft treten schon länger dafür ein

In der Wissenschaft gibt es andererseits bereits seit den 1990er Jahren Strömungen, auf die sich die Verfechter:innen feministischer Digitalpolitik stützen können: Der sogenannte Cyberfeminismus kritisierte schon in den Zeiten des Web 1.0 – als das Netz noch als Revolution gesellschaftlicher Kommunikation und subversives Mittel gegen die Macht von Staaten und Reichtum idealisiert wurde –, dass tatsächlich keine „Utopie der Nongender“ geschaffen wurde. Vielmehr seien bereits im Internet der Neunziger soziale Zuschreibungen über Körper und Geschlecht wiedergespiegelt und damit weitergeführt worden, so die führenden feministischen Forscher:innen. Insbesondere der Kampf gegen digitale Gewalt und fehlende Teilhabe ziehen sich als Leitthemen durch das Zusammenspiel von Wissenschaft und Zivilgesellschaft der letzten drei Jahrzehnte.

Derweil haben sich zivilgesellschaftliche Organisationen immer entschiedener explizit für eine feministische Politik in der digitalen Welt eingesetzt. Ein Beispiel ist das sogenannte SUPERRR Lab, eine Organisation, die „einen Paradigmenwechsel hin zu einer intersektional-feministischen Digitalpolitik“ erreichen möchte. Die NGO stellte unter anderem die Feminist Tech Principles auf, die Regeln für eine Technologieentwicklung und Digitalpolitik als gesellschaftlich zu verhandelnde Phänomene ansieht und dabei die Werte der „Transparenz, Fürsorge, Selbstbestimmung, Mitgestaltung und Chancengerechtigkeit“ in den Vordergrund stellt.

Feministische Digitalpolitik bei den Parteien

Durch diese drei Stoßrichtungen ist das Thema mittlerweile auch in einigen Parteien des Bundestags angekommen. So unterstützen alle drei Partner der Ampelkoalition Aspekte feministischer Digitalpolitik, setzen aber jeweils unterschiedliche Schwerpunkte. Dabei positionieren sich die Grünen am deutlichsten:

„Für uns Grüne im Bundestag ist klar: Gleichstellungspolitik und Digitalisierung müssen immer zusammengedacht werden. Wir verstehen Gleichstellungspolitik als Querschnittsaufgabe.“ (Bundestagsfraktion der Grünen)

Die Partei möchte unter anderem Gesetze gegen digitale Gewalt verschärfen, bei der Entwicklung von Künstlicher Intelligenz Diskriminierungsprobleme berücksichtigen und grundlegend gegen Gender-Stereotype arbeiten. In ihrem Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2021 räumte sie dem Thema als einzige Partei ein eigenes Unterkapitel ein mit dem Titel „Frauen in der Digitalwirtschaft“, worin sie einen Kulturwandel in der Digitalbranche forderte.

Die erste Berichterstatterin zum Thema

Einzelne Abgeordnete der Grünen sprechen auch explizit von einer feministischen Digitalpolitik, so etwa Alexandra Geese, Mitglied des Europaparlaments, und Misbah Khan, Parlamentarierin im Bundestag. Khan wurde Ende Oktober zur „Berichterstatterin für eine intersektional und feministisch ausgestaltete Digitalpolitik“ der Grünen ernannt, ein in der Geschichte der deutschen Parteien einzigartiger Posten. Auf unsere Nachfrage kommentiert Khan:

Pressefoto Misbah Khan: Stefan Kaminski

„Digitalpolitik ist Gesellschaftspolitik. Das bedeutet, dass wir die gesellschaftliche Komplexität anerkennen und bestehende Machtstrukturen durch die Digitalisierung nicht reproduzieren oder verstärken – etwa durch diskriminierende Algorithmen. Es ist falsch eine Digitalpolitik zu machen, die Gerechtigkeitsfragen missachtet. Im Jahr 2022 brauchen wir eine intersektional-feministische Digitalpolitik, welche Grundrechte, Chancengleichheit, Transparenz und Mitgestaltung in den Mittelpunkt stellt. Eine enge Zusammenarbeit mit der digitalen Zivilgesellschaft ist dabei unabdingbar.“ (Misbah Khan)

Bei den anderen im Bundestag vertretenen Parteien ist das Thema aber auch – unterschiedlich ausgeprägt – präsent: In den Wahlprogrammen von SPD und Linkspartei spielt der Faktor des Geschlechts, auch im digitalen Raum, eine wichtige Rolle, während FDP und Union mit dem Eintreten für die Menschenrechte und Barrierefreiheit im digitalen Raum zumindest ein paar Aspekte erwähnen, die mit feministischer Digitalpolitik verbunden sind. Die AfD hält von Gender-Fragen nicht viel und möchte mit dem NetzDG sogar ein wichtiges Instrument gegen digitale Gewalt abschaffen beziehungsweise das europäische Äquivalent des Digital Services Acts nicht zulassen.

Die Pläne der Ampelkoalition

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Der Schutz von Frauen und Mädchen vor digitaler Gewalt stand schon in den vergangenen Jahren auf der Agenda der Großen Koalition. | Foto: CC0 1.0, Pixabay User nastya_gepp | Ausschnitt angepasst

Im Koalitionsvertrag der Ampelfraktionen kommen bereits einige Punkte vor, die den Verfechter:innen feministischer Digitalpolitik wichtig sind: Zum einen ist ein Gesetz gegen digitale Gewalt geplant, das rechtliche Hürden für Betroffene abbauen und Beratungsangebote fördern soll. Zum anderen möchte sich die Bundesregierung für die Wahrung digitaler Bürgerrechte und Diskriminierungsfreiheit einsetzen, die Arbeit gegen Hass im Netz stärken, für Barrierefreiheit auch im digitalen Bereich sorgen und außenpolitisch für Internetfreiheit und digitale Menschenrechte eintreten – um nur ein paar der relevanten Vorhaben zu nennen.

In die im August vorgestellte Digitalstrategie wurde das Thema erstmals explizit aufgenommen. Demnach möchte sich die Bundesregierung „verstärkt mit Machtstrukturen im digitalen Wandel und (…) intensiv mit neuen Perspektiven und Denkansätzen wie der feministischen Digitalpolitik“ auseinandersetzen, „um die Risiken und Gefahren der digitalen Transformation besser zu verstehen“. Dies wurde von Vertreter:innen der Zivilgesellschaft wie dem erwähnten SUPERRR Lab positiv aufgenommen. Darüber hinaus wird in der Strategie die Absicht bekundet, zu einer inklusiven digitalen Welt für alle Menschen beizutragen:

„Umfassende Teilhabe, Geschlechtergerechtigkeit und digitale Barrierefreiheit sind Qualitätsmerkmale eines modernen Landes und für alle ein Gewinn. (…) Zugleich muss bei der Gestaltung der Digitalisierung der Schutz vor Ausnutzung von Schwächen und von verletzlichen Gruppen besonders gewährleistet sein.“

 

Ein altes Modell unter neuem Label?

Als besonders vulnerable Gruppen identifiziert die Bundesregierung dabei Kinder und Jugendliche, Frauen, ältere Menschen, Menschen mit Behinderungen, LGBTQI+ und Menschen mit Einwanderungsgeschichte. Der Schutz von Frauen und Mädchen vor digitaler Gewalt stand zudem schon in den Jahren zuvor auf der Agenda der Großen Koalition ebenso wie die Förderung digitaler Kompetenzen, z.B. durch die Initiative YouCodeGirls oder den jährlichen Girls‘ Day.

All dies zeigt, dass bereits viele Ansatzpunkte für eine feministische Digitalpolitik existieren, die bisher aber eher unter dem Label „Diskriminierungsfreiheit“ oder „Gleichberechtigung“ gelaufen sind. Eine systematische Betrachtung und Verknüpfung dieser verschiedenen Punkte auf politischer Ebene hatte allerdings noch nicht stattgefunden. Hier bietet das Konzept der feministischen Digitalpolitik womöglich eine Chance, den digitalen Raum noch stringenter und im Sinne der Demokratie zu einem offenen Ort für alle zu machen.

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