Digitalisierung in Rheinland-Pfalz: Interview mit Dörte Schall


Im föderalen System der Bundesrepublik Deutschland spielen die Bundesländer eine zentrale Rolle; im Speziellen auch für Unternehmen in regulierten Märkten, da viele Gesetzgebungen zustimmungspflichtig durch den Bundesrat sind. Das Land Rheinland-Pfalz ist traditionell ein wichtiger landes- und auch bundespolitischer Akteur im Bereich der Digital- und Medienpolitik. Dörte Schall ist seit Juli 2024 Ministerin für Arbeit, Soziales, Transformation und Digitalisierung des Landes Rheinland-Pfalz. Im Jahr 2025 ist die SPD-Politikerin zusätzlich Vorsitzende der Digitalministerinnenkonferenz. Wir freuen uns sehr darüber, Frau Schall nach inhaltlichen Terminen nun auch für ein Interview auf unserem Blog gewonnen zu haben.
Sie sind seit Juli 2024 Ministerin für Arbeit, Soziales, Transformation und Digitalisierung des Landes Rheinland-Pfalz. Was gefällt Ihnen besonders gut an Ihrem neuen Amt und was sind die größten Herausforderungen, insbesondere in Bezug auf das Thema Digitalisierung?
Mir gefällt vor allem der Facettenreichtum und die damit verbundenen, unterschiedlichen Perspektiven auf das Thema. Digitalisierung betrifft uns alle, jeden Menschen – unabhängig von Wohnort, Alter, Geschlecht oder Lebensphase. Digitalisierung ist kein Selbstzweck. Sie ist Werkzeug und zugleich Herausforderung – für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft. Und wir alle sind gefragt, sie verantwortlich und menschenzentriert zu gestalten. Angesichts der rasanten technologischen Entwicklungen brauchen wir eine funktionierende digitale Infrastruktur, einen klaren ethischen Kompass und Leitplanken, die Vertrauen in Technologie ermöglichen, ohne Innovation zu bremsen.

Ich selbst habe die digitale Transformation nicht nur als politische Aufgabe, sondern auch als persönliche Herausforderung erfahren: in der eigenen Verwaltung, im Austausch mit Unternehmen, aber auch im alltäglichen Leben. Digitalisierung kann Brücken bauen – oder Gräben vertiefen.
Der Ausbau digitaler Infrastrukturen bleibt herausfordernd, wir erleben aber einen dynamischen Ausbau im Land. Bei der Mobilfunkversorgung sind wir auf einem sehr hohen Niveau, aber die letzten Prozent zur flächendeckenden Versorgung sind naturgemäß am schwierigsten. Gerade in Rheinland-Pfalz mit seiner ausgeprägten Mittelgebirgslandschaft stehen die ausbauenden Unternehmen vor besonderen Herausforderungen. Wir als Landesregierung unterstützen mit konkreten Vermittlungsangeboten – etwa für den kommunalen Raum.
Im vergangenen Jahr konnten wir den Mobilfunkpakt mit den Netzbetreibern zu einem erfolgreichen Abschluss führen. Wir haben einen zusätzlichen Infrastrukturpakt mit den Funkturmunternehmen geschlossen und bereiten aktuell die Verknüpfung der beiden Pakte für die nächsten Jahre vor. Mit der Mobilfunk-Toolbox haben wir die Service-Angebote der Clearingstelle bedarfsgerecht weiterentwickelt und für die Stakeholder besser zugänglich gemacht. Mit den Förderprogrammen von Land und Bund haben wir in Rheinland-Pfalz aktuell 61 Großprojekte auf Ebene der Landkreise in der Umsetzung. Das Land stellt hierfür 583 Millionen Euro an Fördermitteln bereit Insgesamt werden 20.802 Kilometer Glasfaser neu verlegt.
Auch zukünftig wird es Regionen in Rheinland-Pfalz geben, die nur unter Zuhilfenahme von Fördermitteln erschlossen werden können. Wir werden weiterhin die notwendigen Fördermittel bereitstellen und so einen wesentlichen Beitrag für die Herstellung und Sicherstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse liefern.
Rheinland-Pfalz hat dieses Jahr den Vorsitz der Digitalministerkonferenz. Was sind die Ziele des Landes in diesem Zusammenhang?
Rheinland-Pfalz setzte dabei einen klaren Akzent auf den Ausbau der digitalen Infrastruktur in ländlichen Regionen. Wir brauchen flächendeckend leistungsfähige Netzwerke – für alle Menschen und Unternehmen in Deutschland. Außerdem ist die digitale Souveränität Europas entscheidend für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft. Europa muss in der Lage sein, digitale Technologien selbst zu gestalten und unabhängig zu betreiben. Daneben war es mir besonders wichtig im Hinblick auf die Verbreitung von Desinformation aktiv zu werden. Manipulative Nutzung von Technologien und Desinformationen sind eine echte Bedrohung für unsere Demokratie. In einer global vernetzten Gesellschaft, in der digitale Technologien und KI zunehmend Einfluss auf unser tägliches Leben nehmen, ist es wichtig, dass Menschen über die nötigen Fähigkeiten verfügen, um diese Technologien sicher und verantwortungsbewusst zu nutzen. Dabei wollen wir sie unterstützen.
Was wollen Sie über Rheinland-Pfalz hinaus an bundespolitischen Akzenten setzen?
Rheinland-Pfalz als Vorsitzland der diesjährigen DMK hat sehr schnell auf die bundespolitischen Entwicklungen im Frühjahr reagiert: Wegen der vorgezogenen Bundestagswahl haben wir eine frühzeitige Abstimmung der Länder koordiniert, um gemeinsame Erwartungen gegenüber der neuen Bundesregierung zu formulieren und zentrale Weichen zu stellen. Mit der „Digital Agenda 2025“ haben wir ein Arbeitsprogramm verabschiedet, das für unsere digitale Zukunft richtungsweisend ist. Besonders wichtig ist aus meiner Sicht, dass es uns gelingt, klare Zuständigkeiten und einheitliche Standards zu etablieren, um die digitale Verwaltung in Deutschland effizienter und bürgerfreundlicher zu gestalten.
Wir wollen gemeinsam mit dem Bund diskutieren, welche Änderungen an den bestehenden komplexen föderalen Strukturen erforderlich sind, um die Geschwindigkeit der Verwaltungsdigitalisierung deutlich zu erhöhen. Dazu soll nach dem Wunsch der Digitalministerkonferenz ein Gremium mit Vertreterinnen und Vertretern von Bund und Ländern sowie den Kommunen eingesetzt werden. Außerdem müssen Bund und Länder abgestimmt und in ineinandergreifenden, effizienten Abläufen zusammenarbeiten, damit Digitalisierungsprojekte erfolgreich umgesetzt werden. Im Verlauf dieses Prozesses muss auch überprüft werden, an welchen Stellen Komplexität dadurch reduziert werden kann, dass der Vollzug von Leistungen nicht mehr auf kommunaler Ebene, sondern auf Länder- oder Bundesebene erfolgt.
In Rheinland-Pfalz ist die Zuständigkeit für Digitalisierungsthemen im Arbeitsministerium angesiedelt. Ergeben sich für Sie daraus besondere politische Schwerpunkte und was sind die Besonderheiten in Rheinland-Pfalz im Vergleich zu anderen Bundesländern?
In Rheinland-Pfalz haben wir das Thema Digitalisierung bewusst mit dem Arbeitsministerium zusammengeführt. Denn Digitalisierung verändert vor allem auch unsere Lebens- und Arbeitswelt: Sie schafft neue Berufsbilder, verändert Qualifikationsanforderungen und stellt insbesondere kleine und mittlere Unternehmen vor großen Herausforderungen. Diese enge Verknüpfung von Digitalisierung, Arbeit und Weiterbildung ist zentral für unsere politischen Schwerpunkte. Unsere Antwort darauf ist eine eigene rheinland-pfälzische Transformationspolitik – mit der Transformationsagentur als Herzstück. Die Agentur verfolgt den Anspruch, konkrete Orientierung zu bieten: Was bedeutet Digitalisierung für mein Unternehmen, für meinen Arbeitsplatz, für meine berufliche Entwicklung? Gemeinsam mit einem breiten Netzwerk an Partnerinnen und Partnern vermittelt sie nicht nur Wissen, sondern auch Zugang zu Weiterbildungs- und Fördermöglichkeiten im Bereich der beruflichen Weiterbildung. Ergänzt wird dieses Angebot durch unsere Transformationsbegleiterinnen und -begleiter, die als Coaches direkt vor Ort mit den Beschäftigten arbeiten. Sie helfen dabei, individuelle Weiterbildungsbedarfe zu erkennen, passende Angebote zu finden und auch bei der Antragstellung für Förderungen zu unterstützen.

Auch das Anerkennungs- und Erstattungsverfahren im Bereich des Bildungsfreistellungsgesetzes werden digitalisiert und damit für Weiterbildungsanbieter erleichtert. Von diesem digitalen Zugang und der vergrößerten Reichweite von Weiterbildungsangeboten profitieren auch Beschäftigte, da sie einfach und schnell die passende Weiterbildung finden, um ihre Kompetenzen und Qualifikationen weiterzuentwickeln.
Und wir bieten konkrete Wege, wie Menschen und Betriebe den Wandel aktiv gestalten können. Die Digitalisierung betrifft alle Lebensbereiche und verändert unser Zusammenleben und den Alltag. Deshalb stärken wir die digitalen Kompetenzen von Bürgerinnen und Bürgern durch entsprechende Angebote der allgemeinen Weiterbildung.
Lassen Sie uns abschließend auf den Bund und über Deutschland hinausblicken. Wo, glauben Sie, steht Deutschland beim Thema Digitalisierung im internationalen Vergleich und was versprechen Sie sich vom neuen Digitalministerium auf Bundesebene?
Andere europäische Staaten haben teilweise zentralere Strukturen. Unser föderaler Weg ist anspruchsvoll, aber er bietet auch die Chance, Lösungen nah an den Menschen zu entwickeln. Die Einrichtung der Digitalministerkonferenz war ein notwendiger Schritt, um diesem Anspruch gerecht zu werden. Sie erkennt nicht nur die wachsende Bedeutung der Digitalisierung, sondern auch die Notwendigkeit einer koordinierten Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Bundesländern. Die Digitalisierung ist aber ein gemeinsames Vorhaben aller föderalen Ebenen.
Die Beschlüsse der Digitalministerkonferenz im Mai in Ingelheim sind ein wichtiger Schritt, um sicherzustellen, dass Deutschland auch in Zukunft technologisch unabhängig und wettbewerbsfähig bleibt. Langfristig müssen auch die anderen Gremien und Entscheidungsebenen eingebunden werden und besser miteinander kooperieren. Der neue Digitalminister im Bund, Dr. Wildberger, hat an seinem dritten Tag im Amt an der Digitalministerkonferenz im Mai direkt teilgenommen. Das war nicht nur ein wichtiges Signal an die Länder, sondern wir haben die guten Gespräche direkt in Berlin fortgeführt. Von dieser bisher sehr guten Zusammenarbeit werden alle – Länder und Bund – profitieren. Insofern bin ich sehr froh, dass es nun einen einheitlichen Ansprechpartner mit umfassenden Zuständigkeiten gibt.
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