Der „Digitale Aufbruch“: Was die Sondierungs­ergebnisse digitalpolitisch bedeuten

Foto: Pixabay User geralt | CC0 1.0 | bearbeitet
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Veröffentlicht am 18.10.2021

SPD, Grüne und die FDP haben ihre Sondierungen beendet und gehen mit einem zwölfseitigen Grundlagenpapier in Koalitionsverhandlungen. Digitalisierungs-Vorhaben stehen in nahezu jedem Kapitel des Papiers. Was steckt hinter den Plänen?

Sondierungen sollten im Idealfall die grundlegende Koalitionsfähigkeit der Beteiligten abklopfen, ein präzises Regierungsprogramm ist dabei natürlich nicht zu erwarten. Das am Freitag vor der gemeinsamen Pressekonferenz der potenziellen Ampelkoalitionäre eilig ausgeteilte Sondierungspapier ist dementsprechend, wie üblich bei Sondierungen, mit heißer Feder geschrieben. Allgemeine Absichtserklärungen mischen sich mit eingestreuten konkreten Beschlüssen. Zu letzteren gehören der Mindestlohn, die verpflichtende Montage von Solarpanels auf gewerblichen Neubauten oder das Versprechen, keine Steuern zu erhöhen.

Vierzehn Mal tauchen Digitalisierungsthemen auf. Die Digitalisierung sei eine der großen Herausforderungen der nächsten Jahre, wird im Papier bereits am Anfang betont. Von einem digitalen Aufbruch ist gleich im ersten inhaltlichen Kapitel die Rede. Die digitalpolitischen Absichtserklärungen bleiben dabei zumeist allgemein. Doch es lassen sich Grundlinien herauslesen, die in Anbetracht der Parteipositionen der letzten Jahre einen deutlichen Digitalisierungsschub bedeuten könnten. Wie sieht er also aus, der „digitale Staat“ der Ampel? Wir analysieren sechs Aspekte: Die Strategien für KI, Daten, Blockchain, schnelles Internet, ein potenzieller Digitalpakt 2.0 sowie anvisierte Sicherheitsreformen im Netz.

KI, Daten, Blockchain: Neuordnung der digitalpolitischen Strategie

„Die digitalpolitische Strategie der Bundesregierung wird neu aufgesetzt (u.a. KI-Strategie, Datenstrategie, Blockchain-Strategie).“

Geradezu leger aneinandergereiht werden im ersten Kapitel „Moderner Staat und digitaler Aufbruch“, eine Herkulesaufgabe nach der anderen. Auch wenn wieder einmal vor allem Buzzwords auftauchen, lässt sich anhand der Gegenüberstellung der Wahlprogramme 2021 der Parteien erahnen, was dahintersteckt.

Künstliche Intelligenz:

Die FDP fordert in ihrem Wahlprogramm, dass jedes Ministerium bis 2025 zehn konkrete KI-Anwendungen im entsprechenden Fachgebiet identifizieren und umsetzen soll. Außerdem soll es einen neuen digitalen Rechtsrahmen ebenso geben wie „regulatory sandboxes“ (deutsch: Reallabore), also gesetzliche Ausnahmeregelungen zur Erprobung neuer Technologien.

Die Grünen betonen neben einer europäischen Strategie und Reglementierung besonders die ökologische Komponente, denn KI hat bekanntlich einen gigantischen Energie- und Ressourcenverbrauch. Dieser soll durch Innovationen, vor allem mittels Förderprogrammen sowie Neuentwicklungen an  Forschungsinstitutionen, reduziert werden. Insbesondere möchte die Ökopartei aber auch, dass KI diskriminierungsfrei und transparent weiterentwickelt wird.

Diesem Punkt der digitalen Ethik schloss sich in den letzten Jahren auch die SPD an. Der Mehrwert von KI müsse „sozial sein“, betont die Partei. In ihrem Zukunftsprogramm fordert sie insbesondere die Mitbestimmung der Arbeitnehmer:innen, wenn es zum Einsatz solcher neuen Technologien komme.

Fazit

Die KI-Förderung wird erhöht. Sie wird europäisch verankert und ethisch untermauert. Unklar bleibt, wie und wo die Kompetenzen gebündelt werden und ob die Förderungen vor allem auf universitäre oder betriebliche Abnehmer:innen zielen werden.

Daten:

Die SPD will vor allem einen starken Daten- und Verbraucherschutz durchsetzen, wie sie in einem Positionspapier von 2020 formuliert hat. Die Genoss:innen haben außerdem gegen den Koalitionspartner der letzten Jahre ein Bekenntnis zum europäischen Datenschutzstandard in der erneuerten Datenstrategie der Bundesregierung 2021 ausgehandelt. Auch hier sticht also die europäische Integration als Ziel heraus.

Der Vorsitzende des Bundestagsausschusses „Digitale Agenda“, Manuel Höferlin (FDP), zeigte sich im Namen seiner Partei enttäuscht von den Neuerungen der Großen Koalition. Die FDP fordert „konkrete Zeit- und Umsetzungspläne sowie kohärentes Projektmanagement“. In den Verwaltungen würden außerdem einheitliche Datenaustauschformate benötigt.

Konstantin von Notz, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bundestag, pflichtete Höferlin im Februar bei und kritisierte die Datenstrategie der Bundesregierung als vage und mit „Umsetzungschancen gegen null“.

Fazit

Man darf vor allem eine Straffung der Regelungen und die Bündelung von Kompetenzen erwarten, insbesondere eine Vereinheitlichung der Datenschutzaufsicht.

Blockchain:

Beim Thema Blockchain herrscht bei zwei der drei Neu-Koalitionäre nach einem kurzen Hype in den Jahren 2018/19 seither sprichwörtlich gähnende Leere. Im Wahlprogramm der Grünen wird zu der Technologie lediglich erwähnt, man wolle ihre Chancen und Risiken ausloten. Im SPD-Zukunftsprogramm kam sie erst gar nicht vor. Die Partei lehnt eine Privatisierung von Währungen jedoch traditionell ab. Die FDP möchte die Technologie hingegen fördern, um Kryptowährungen als alternatives Tauschmittel zu etablieren. Dazu soll auch ein rechtlicher Rahmen geschaffen werden.

Fazit

Der Ausgang ist offen. Es ist in erster Linie ein liberales Thema, das auf eine grün-rote Bremse stoßen könnte. Die Kräfteverhältnisse der Ampel verheißen also eher einen nach unten gestreckten Daumen für eine umfassende Förderung von Blockchain. Es ist wohl kein Zufall, dass der Punkt am Ende der drei Strategien im Sondierungspapier steht.

Schnelles flächendeckendes Internet

„Bürgerinnen und Bürger sollen ihren Alltag in ihrer Region gut leben können – von der Arbeit übers schnelle Internet bis hin zu guten Verkehrsanbindungen, vom Einkaufen über den Arztbesuch bis hin zum Sport. Wir wollen dafür sorgen, dass notwendige Investitionen (zum Beispiel in schnelles Internet oder Mobilität) insbesondere dort angepackt werden, wo der Nachholbedarf am größten ist.“

Foto: Telefónica

Die potenzielle Ampelkoalition bekennt sich zum flächendeckenden Ausbau schnellen Internetzugangs. Hier scheint sie sich auf die Schließung weißer bzw. grauer Flecken, vor allem auf dem Land, zu verpflichten. Bemerkenswert ist die Betonung notwendiger Investitionen, da für Provider investitionsfreundliche Bedingungen und Planungssicherheit notwendige Grundlagen für einen beschleunigten Ausbau sind.

Im FDP-Programm heißt es dazu, das bisherige Vorgehen der Bundesregierung sei „unkoordiniert, ziellos und chaotisch. […] Die Versorgung mit Internet darf nicht weiterhin von der Kreditwürdigkeit und der Schnelligkeit des Netzanbieters nach einem Umzug abhängen.“

Bereits im Oktober 2018 argumentierten auch die Grünen sehr ähnlich: In einem Oppositions-Antrag bemängelten sie, dass die Planungen der Bundesregierung chaotisch seien, die Umsetzung verlaufe schleppend und insbesondere unterversorgte Regionen müssten nun bedient werden.

Für die SPD ist der Zugang zu schnellem Internet Bestandteil der Würde aller Bürger:innen, da er gleiche Verwirklichungschancen möglich machen könne. Auch die Sozialdemokrat:innen betonen, dass auf dem Land mittelständische Unternehmen auf schnelles Internet angewiesen seien, um international wettbewerbsfähig zu bleiben. Die Partei setzt dabei, laut Zukunftsprogramm, insbesondere auf gesetzlich festgelegte Ausbau- und Versorgungsverpflichtungen und entsprechende Zwischenziele.

Fazit

Die Koalitionäre sind sich im Ziel einig und der Verantwortung bewusst. Versorgungslöcher müssen geschlossen werden. Ob der Weg dahin via strengere Vorgaben für Netzbetreiber, ein investitionsfreundlicheres Klima oder eine Kombination beider Varianten verläuft, bleibt offen. Die Betonung auf Investitionen verweist eher auf Ersteres, aber man wird einen Koalitionsvertrag und die Ressortaufteilungen abwarten müssen.

Digitalpakt 2.0: Die Digitalisierung des Bildungswesens

„Wir wollen Länder und Kommunen dauerhaft bei der Digitalisierung des Bildungswesens unterstützen (Digitalpakt 2.0).“

Der Begriff des Digitalpakts 2.0 stammt aus liberalen Kreisen. Im September 2020 brachte die FDP einen Oppositionsantrag mit dem Namen ein – die Grünen enthielten sich, die SPD stimmte mit allen übrigen Parteien dagegen. Die Liberalen forderten mehr Unterstützung von Lehrkräften bei digitaler Bildung, die Förderung digitaler Lernplattformen sowie Unterstützung der digitalen Infrastrukturen an Schulen.

Die Umsetzung des ersten „Digitalpakt Schule“ von 2018 ging schleppend voran, wie wir berichteten. So hat vor allem die SPD auf eine schnellere Umsetzung gedrängt. In Pandemiezeiten konnte sie außerdem eine Ausweitung des Pakts durchsetzen, um soziale Ungerechtigkeiten im digitalisierten Unterricht auszugleichen: Im Mai 2020 wurden weitere 500 Millionen Euro Förderung für die digitale Ausstattung der Schulen veranlasst.

In einem RND-Podcast forderte die Fraktionschefin der Grünen im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt, einen dem FDP-Antrag namensverwandten „Digitalpakt 2“. Der erste Digitalpakt sei lobenswert und hatte einen positiven Effekt, doch sei „noch Vieles offen geblieben“, meinte das Mitglied des Grünen-Sondierungsteams. Sie monierte, dass die Ausführungsbestimmungen zu kompliziert seien und es Fortbildungen für Lehrkräfte geben müsse.

Fazit

Die Formulierung des Sondierungspapiers und die Positionen von SPD, FDP und Grünen sind eindeutig: Der Digitalpakt 2 bzw. 2.0 wird kommen. Er wird die digitale Bildung von Lehrer:innen fokussieren, bürokratische Hürden beim Abrufen der Mittel verringern und Gelder auch langfristig zur Verfügung stellen.

Cyberangriffe und Online-Hass: Sicherheit im Netz

„Wir wollen unser sicheres Land noch sicherer machen. Jede und jeder in Deutschland soll sich sicher fühlen – ob auf der Straße, zu Hause oder im Netz. Dafür kommt es vor allem auf mehr präventive Sicherheit an.“

Im achten Kapitel des Sondierungspapiers unter dem Titel „Freiheit und Sicherheit, Gleichstellung und Vielfalt in der modernen Demokratie“ werden Freiheitsrechte und Sicherheit in verschiedener Weise als ineinander übergehende Konzepte verstanden. Das hat zwei digitalpolitische Ausformungen: Präventive Schutzmaßnahmen gegen Hass im Netz sowie die konkrete Abwehr von Cyberrisiken.

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Foto: Pixabay User CoolVid-Shows | CC0 1.0 | Ausschnitt bearbeitet

Die Formulierung für Cyberabwehr spricht eine eindeutige Sprache: Es wird eine neue gesetzliche Grundlage für die Eingriffsmöglichkeiten des Staats geben. Das sogenannte Wehrhafte-Demokratie-Gesetz war in der letzten Wahlperiode am Widerstand der Union gescheitert. SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz kündigte bereits an: „Das sollten wir in der nächsten Legislaturperiode gleich wieder versuchen.

Was die Parteien unter präventiver Sicherheit verstehen, ist hingegen weniger klar geschärft. Die SPD mit Christine Lambrecht an der Spitze des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz verfolgte in den letzten Jahren eine deutliche Linie zur strengeren Bekämpfung von Online-Hass bzw. Straftaten in sozialen Netzwerken. Als Präventivmaßnahme forderte sie außerdem die Förderung politischer Bildung.

Grünenchefin Annalena Baerbock forderte kürzlich nach dem tödlichen Anschlag auf einen Tankstellenkassierer in Idar-Oberstein noch einmal effektivere und schnellere Strafermittlungen gegen Hassbotschaften im Netz. Die Grünen kritisierten bereits im Zusammenhang der NetzDG-Reform, dass es mehr Prävention auf Grundlage einer differenzierteren Erfassung von Hassgewalt bedürfe. Außerdem solle die Zivilgesellschaft stärker in die Präventionsarbeit eingebunden werden, wie bereits aus einem Fraktionsbeschluss von 2019 hervorgeht.

Die FDP hat sich in den letzten beiden Jahren gegen ein von Bundesjustizministerin Lambrecht eingebrachtes Gesetz gegen Hasskriminalität gesperrt. Die schließlich vom Bundestag beschlossene Neuerung im NetzDG sah eine Verpflichtung sozialer Netzwerke vor, bestimmte Straftaten zu melden. Das sah die FDP als ungenügend an und wollte vor allem eine finanzielle und personelle Stärkung der Justiz sowie der Ermittlungsbehörden.

Fazit

Der Ampel-Staat wird die Waffen gegen Hass im Netz schärfen. Die Formulierungen des Sondierungspapiers lassen vermuten, dass die Strategien aller drei Parteien parallel umgesetzt werden. Präventive Maßnahmen durch politische Bildung und das Einbeziehen der Zivilgesellschaft werden ebenso erfolgen wie eine schärfere gesetzliche Grundlage und die Aufstockung der Gelder für die Strafverfolgung

Die Koalitionsgespräche werden nun aufgenommen – es stehen wegweisende Themen auf der Agenda, die für die Zukunft des Landes entscheidend sind.

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