Digitale Bildung: Mit dem Digitalpakt aus der Pandemie?

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Veröffentlicht am 14.07.2021

Die Corona-Pandemie stellt das deutsche Bildungssystem seit mehr als einem Jahr vor große Herausforderungen. Trägt der „Digitalpakt Schule“ mittlerweile dazu bei, diese Aufgabe besser zu meistern und die digitale Bildung voranzubringen?

In mehreren Bundesländern haben bereits die Sommerferien begonnen. Für viele Familien mit Schulkindern und auch für die Lehrkräfte markieren die Ferien das willkommene Ende eines schwierigen Schuljahrs – mit Phasen offener und wieder geschlossener Schulen, zwischen Wechselunterrichtsmodellen, Homeschooling und (mehr oder weniger) digitalem Distanzunterricht.

Doch mit Blick auf das kommende Schuljahr herrscht große Ungewissheit: Was passiert, wenn nach den Sommerferien die nächste Infektionswelle anrollt und im Herbst die Schulen wieder geschlossen werden müssen? Sind diese dann besser vorbereitet als vor einem Jahr? Und wurde die Zeit genutzt, um sie fit für den digitalen Unterricht zu machen?

Die digitale Kluft an den Schulen

Die Qualität des digitalen Unterrichts während der Corona-Pandemie schwankt sehr stark zwischen den einzelnen Schulen, wie eine aktuelle Studie der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) feststellt, für die bundesweit mehr als 2.000 Lehrer:innen der Sekundarstufe I und II befragt worden sind. Die Pandemie habe zwar zu einem Digitalisierungsschub im deutschen Schulwesen geführt, auf den viele Lehrkräfte sehr pragmatisch und lösungsorientiert reagiert hätten, aber:

„Beim Vergleich der digitalen Strategien und Infrastrukturen an den Schulen in Deutschland zeigt sich jedoch eine deutliche Kluft zwischen digitalen Vorreiter-Schulen, digital orientierten Schulen, Durchschnitt-Schulen und Nachzügler-Schulen: Während die Lehrkräfte an Schulen mit höherer digitaler Reife die Potenziale ihrer Schülerinnen und Schüler besser fördern können, ist die Arbeitssituation an digital unterdurchschnittlichen Schulen stärker durch höhere Belastungen, fehlende digitale Lernkonzepte und Hindernisse beim Technikeinsatz geprägt. Wenn Schulen den Anschluss an die Digitalisierung verlieren, wächst auch die digitale Kluft bei den Schülerinnen und Schülern.

Während die Anforderungen an die Lehrkräfte und Schulorganisation durch den Digitalisierungsschub in der Pandemie gestiegen sind, fallen die Rahmenbedingungen für das digitale Lehren und Lernen eher durchwachsen aus. So arbeiten laut der Studie nur 57 Prozent der Lehrkräfte „an Schulen mit ausreichend digitalen Geräten für die Verwendung im Unterricht“ und „nur in 29 Prozent der Fälle sind auch die Räume so eingerichtet, dass digitales Lehren und Lernen wirklich unterstützt wird.

Dass diese Unterschiede zwischen den Schulen – wenig überraschend – auch Auswirkungen auf die Chancengleichheit der Schüler:innen haben, legt eine repräsentative Allensbach-Umfrage nahe, wonach vier von fünf Schüler:innen angaben, nach gut einem Jahr Homeschooling, Quarantänezeiten und Wechselunterricht mit dem Schulstoff im Rückstand zu sein. Dabei fallen die Einschätzungen der Gymnasiast:innen jedoch deutlich zuversichtlicher aus als diejenigen der Gesamt-, Haupt- und Realschüler:innen. Die digitale Kluft geht somit Hand in Hand mit der bereits seit längerem vorhandenen sozialen Ungleichheit im Bildungsbereich.

Hoffnungsschimmer Digitalpakt?

Als ein zentrales Instrument der Politik, um die seit langem bekannten digitalen Defizite des Schulwesens zu beheben, gilt der Digitalpakt Schule, der zum „flächendeckenden Aufbau einer zeitgemäßen digitalen Bildungsinfrastruktur in ganz Deutschland“ beitragen soll. Als der Pakt im Mai 2019 nach einer Grundgesetzänderung endlich in Kraft trat, konnte allerdings niemand ahnen, wie akut die Frage der Digitalisierung für das Bildungssystem aufgrund der Corona-Pandemie einige Monate später sein würde.

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Foto: Pixabay User VinzentWeinbeer | CC0 1.0 | Ausschnitt bearbeitet

Ursprünglich waren in der entsprechenden Verwaltungsvereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern fünf Milliarden Euro für die Digitalisierung in den allgemeinbildenden Schulen im Zeitraum von 2019 bis 2024 vorgesehen. Im Verlauf der Corona-Pandemie kamen seit Sommer 2020 drei Zusatzvereinbarungen mit jeweils weiteren 500 Millionen Euro an Sofortprogrammen hinzu, mit denen die Ausstattung von Schüler:innen mit digitalen Endgeräten, von Lehrkräften mit Leihgeräten sowie die Ausbildung und Bezahlung von IT-Administratoren für die Schulen gefördert werden sollen. Insgesamt stellt der Bund also 6,5 Milliarden Euro für die Digitalisierung der ca. 40.000 Schulen in Deutschland bereit, während die Länder für die administrative Umsetzung zuständig sind.

Bisher nur schleppende Entwicklung

Doch innerhalb des ersten Jahres (bis zum 30. Juni 2020) wurden von dieser enormen Summe gerade einmal 15,7 Millionen Euro abgerufen und weitere 242 Millionen Euro durch Anträge verplant. Bis Ende 2020 stiegen die Zahlen zwar deutlich auf 488 Millionen Euro an verausgabten Mitteln plus 875 Millionen Euro an bewilligten Geldern. Aber der sogenannte Mittelabfluss erfolgt insgesamt immer noch viel zu langsam für die aktuellen Bedarfe vor Ort. Das jüngste Zusatzpaket der „Leihgeräte für Lehrkräfte“, gestartet im Januar 2021, steht in vielen Bundesländern etwa weiterhin am Anfang, sodass die benötigten Laptops und Tablets erst in einigen Monaten zum Einsatz kommen werden.

Ob die Finanzierung der digitalen Bildungsinfrastruktur im ersten Halbjahr 2021 besser vorangekommen ist als zuvor, werden die neuesten Zahlen der Bundesregierung im August zeigen. Die abgerufenen Beträge werden dann vermutlich erneut gestiegen sein, aber ein Grundproblem des Digitalpakts wird weiter bestehen bleiben: das komplexe, mehrstufige Antragsverfahren. Damit verbunden ist eine zeitaufwendige Konzepterstellung auf Schul- und Trägerebene, wobei die unterschiedlichen Förderrichtlinien der Länder und die richtigen Fördertöpfe des Bundes berücksichtigt werden müssen. Letztlich gestaltet nämlich jedes Bundesland die Umsetzung der Bundeshilfen ein bisschen anders, genau wie die Zuständigkeiten zwischen dem Land und dem einzelnen Schulträger.

Darüber hinaus unterstützt der Bund aus verfassungsrechtlichen Gründen nur die Anschaffung der digitalen Infrastruktur. Die Folgefinanzierung, z.B. für den Support und die Wartung der angeschafften Geräte, verbleibt als Daueraufgabe dann jedoch bei den Schulen bzw. ihren Trägern. Diese werden sich deshalb genau überlegen, wieviel Digitalisierung sie sich in Form von Endgeräten, WLAN & Co. langfristig überhaupt leisten können und anschaffen wollen.

Was noch besser werden muss

Auch in einem weiteren Punkt beeinflussen die unterschiedlichen Zuständigkeiten im Bildungsföderalismus den zukünftigen Erfolg oder Misserfolg des digitalen Unterrichts: Denn während die Gelder des Bundes in erster Linie die digitale Ausstattung der Schulen sicherstellen sollen, sind die Länder für die entsprechende Lehrerbildung und Weiterbildung sowie für die Erstellung und Umsetzung medienpädagogischer Konzepte zuständig. Aber gerade auf letzteres kommt es neben der Infrastruktur besonders an, wie z.B. der Bildungsforscher Prof. Michael Kerres bereits vor einem Jahr deutlich machte:

„Einfach nur Geräte anzuschaffen und in Technik zu investieren, bringt am Ende nichts. Das hat man bereits gelernt, die stehen dann oft an den Schulen herum und kommen nicht richtig zum Einsatz. Das heißt, es ist wichtig, dass die Schulen ein pädagogisches Konzept erarbeiten: Was wollen sie mit dem Geld machen? Wie wollen sie mit digitalen Medien unterrichten? Allerdings gibt es in Deutschland eine verbreitete Skepsis gegenüber digitalem Lernen in der Schule. Es gibt viele Bedenken und keine große Offenheit dafür, digitale Medien zu erproben. Und das verlangsamt diesen Prozess.“

Seitdem ist an den Schulen aufgrund der Pandemie zwar vieles ausprobiert worden. Doch wie ein Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundeswirtschaftsministerium bereits im März festgestellt hat (wir berichteten hier im Blog), sind auch im Schuljahr 2020/21 gravierende Mängel bei der Digitalisierung im Bildungssystem offensichtlich geworden:

„Es mangelt derzeit nicht nur an einer geeigneten, sicheren und datenschutzkonformen digitalen Infrastruktur(schnelle Internetzugänge, Unterrichtsplattformen) und technischer Ausstattung, sondern auch an zielführenden Konzepten zur Verzahnung von Präsenz- und Distanzlernen und an einer Unterstützung der pädagogischen Lehrkräfte beim professionellen Einsatz digitaler Medien.“

Diese Mängelliste bleibt weiterhin aktuell und sollte von allen beteiligten Ebenen – Bund, Länder, Kommunen und Schulen – in den kommenden Monaten noch stärker angegangen werden. Damit es im nächsten Sommer nicht wieder heißt: Endlich Ferien! Aber was passiert bloß danach in der digitalen Bildung an den Schulen?

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