Data Debates #16: Interview mit Prof. Dr. Christoph Meinel vom HPI

Prof. Dr. Christoph Meinel | Foto: HPI / Kay Herschelmann
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Veröffentlicht am 01.10.2020

Prof. Dr. Christoph Meinel | Foto: HPI / Kay Herschelmann
Prof. Dr. Christoph Meinel vom Hasso-Plattner-Institut in Potsdam, spricht im Interview darüber, wie digitale Technologien einen Beitrag zur Reduktion von CO2-Emissionen und zu mehr Energieeffizienz leisten können. Am 6. Oktober sind er und Telefónica Deutschland-Chef Markus Haas Teilnehmer der 16. Tagesspiegel Data Debate (Hier geht es zur Anmeldung).

Gibt es eine technologische Antwort auf die Klimakrise? Diese Frage steht im Zentrum der Tagesspiegel Data Debates #16 am kommenden Dienstag. Mit dabei sind unter anderem der Vorstandsvorsitzende von Telefónica Deutschland Markus Haas und Prof. Dr. Christoph Meinel, Direktor und Geschäftsführer des Hasso-Plattner-Instituts für Digital Engineering (HPI) in Potsdam.

Am HPI forschen Expert*innen in und aus unterschiedlichen Fachbereichen an praktischen und angewandten Fragen der Digitalisierung. Seit über 15 Jahren leitet Prof. Meinel die von SAP-Mitbegründer Hasso Plattner gegründete Lehr- und Forschungseinrichtung in Potsdam. Als Professor für Informatik lehrt er außerdem an seinem eigenen Lehrstuhl für Internet-Technologien und Systeme am HPI „IT-Systems Engineering“ und ist Gastprofessor an den Universitäten in Peking und Shanghai. Außerdem ist Prof. Meinel auf dem Gebiet der Innovationsforschung im Bereich des Design Thinking wissenschaftlich unterwegs. Unter seiner Leitung wurde 2007 die HPI School of Design Thinking, die „erste Innovationsschule Europas“ eröffnet.

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Das HPI unterstützt die Sustainable Development Goals (SDGs) der UN und setzt sich mit der Clean-IT-Initiative für eine nachhaltige digitale Transformation ein. In der HPI-Podcast-Reihe „Neuland“ klärt Meinel regelmäßig über digitale Entwicklungen und Trends sowie Chancen und Risiken der Digitalisierung auf. Wir haben im Vorfeld der Data Debate einige Fragen gestellt:

Ich freue mich auf die Veranstaltung, weil…

…das Thema der Nachhaltigkeit in der IT bisher noch zu wenig Beachtung gefunden hat. Als Universitätsprofessor interessieren mich immer langfristige Entwicklungen und in Bezug auf die Digitalisierung stehen wir derzeit ja noch ganz am Anfang. Neue technologische Entwicklungen sind immer performance-orientiert. Das ist normal und hilft einem Forschungsergebnis, den Sprung zur markttauglichen Technologie zu schaffen, welche dann vielen Menschen Mehrwert bieten kann. Mehr technologisches Wissen bedeutet aber auch mehr Verantwortung. Dass das Thema Nachhaltigkeit in der IT nun Beachtung findet, zeugt von unserem gewachsenen Verantwortungsbewusstsein. Das erfreut mich, deshalb nehme ich gerne an der Diskussion teil und bringe unsere Erkenntnisse ein.

Wie begrenzen wir den Energiebedarf und den Ressourcenverbrauch digitaler Technologien und verhindern einen Rebound-Effekt?

Zunächst können wir natürlich dadurch einen Rebound-Effekt verhindern, dass wir klimaneutral erzeugte Energien zum Betrieb digitaler Systeme nutzen. Das Hasso-Plattner-Institut hat bereits auf 100 Prozent erneuerbare Energien umgestellt. Um den Energiebedarf digitaler Systeme generell zu begrenzen, haben wir unsere clean-IT Initiative gestartet. Hier soll es in Forschung und Entwicklung um eine grundsätzliche Verankerung des Nachhaltigkeitsgedankens gehen. Frühere Ansätze unter der Bezeichnung green-IT haben sich auf die Entwicklung energiesparsamer Hardware und den energiebewussten Betrieb von Rechenzentren konzentriert. Bei clean-IT soll es um die Entwicklung energieeffizienter IT-Systeme auf algorithmischer und architektonischer Ebene gehen. Trainiert man beispielsweise eine KI für Bilderkennung wie herkömmlich mit 32 Bit-Architekturen, braucht man rund 20-mal so viel Energie, als wenn man 1 Bit-Architekturen nutzt. Mit solchen lernenden Netzwerken erreichen wir am HPI schon fast die gleiche Genauigkeit. Solche Ansätze gilt es zu erforschen, zu perfektionieren und dann marktfähig zu machen.

Welche Chancen bieten digitale Innovationen auf dem Weg zu einer klimaneutralen Wirtschaft im Jahr 2050?

Digitalisierung bietet ganz enorme Einsparpotentiale. Denken wir an das Beispiel des binären KI-Trainings, welches 95 Prozent Energie einspart. Welche analogen Technologien sind schon in der Lage, den Energieverbrauch um 95 Prozent zu reduzieren? Bei Motoren freuen wir uns über 10 Prozent Einsparung, eine LED verbraucht rund 20 Prozent der Energie einer herkömmlichen Glühbirne. Deutschland hat in den letzten Jahren viele Potentiale der Digitalisierung verschlafen, die bei allem Energiebedarf der IT-Systeme selbst zu drastischen Energieeinsparungen in Wirtschaft und Gesellschaft führen können. Clean-IT und klimaneutrale Wirtschaft sind Themen, die Menschen begeistern und die in Deutschland traditionell einen guten Nährboden finden konnten.

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Digitale Innovationen bieten die Chance, sowohl in den klassischen Industriebereichen als auch bei digitalen, dem clean-IT Gedanken folgenden Innovationen wieder Weltmarktführer zu werden. Dafür brauchen wir aber ein unternehmerfreundliches gesellschaftliches Klima. Dazu gehört, dass es Experimentierräume und -klauseln für kleine Unternehmen und Start-Ups gibt, damit diese nicht vor lauter (Über-)Regulierungen und Dokumentationspflichten sofort untergehen. Wenn wir keine jungen Unternehmer hervorbringen, denen es gelingt, Gedanken aus der Forschung in marktfähige Produkte zu verwandeln, werden wir unsere führende Position unter den Technologienationen verlieren und letztlich als digitale Kolonie derer enden, die ihre Start-Up-Unternehmer fördern und schützen.

Welchen Beitrag kann die Digitalisierung leisten, die Klimaschutzbestrebungen im Strom-, Wärme- und Verkehrssektor besser miteinander zu verzahnen?

Die Digitalisierung kann einen großen Beitrag leisten. Auf der Basis von Echtzeitdatenanalysen können eine bessere Koordinierung und genauere Steuerung ermöglicht werden. Oder im Energiesektor wird eine Grundlast benötigt, die erneuerbare Energien oft nicht erreichen, da Sonne und Wind eben nicht nach einem Plan funktionieren. Hier Energie schnell umzuleiten und intelligent gesteuerten Verbrauch zu ermöglichen, ist möglich und nötig. Von dort entsteht auch die Brücke zum Verkehrs- und Wärmesektor: Wenn Autos zur richtigen Zeit laden und dezentrale Speicher zur richtigen Zeit Energie aufnehmen, dann können die Spitzen der erneuerbaren Energien auch gesteuert werden. Das Potential ist groß. Übrigens bauen wir im HPI derzeit ein „Center for Digital Energy“, dass sich in Forschung und Lehre genau mit diesen Themen befasst.

Setzt das Bundesumweltministerium mit seiner umweltpolitischen Digitalagenda und die Bundesregierung insgesamt die richtigen Anreize, um digitale Technologien für Nachhaltigkeit und Klimaschutz zu fördern?

Die umweltpolitische Digitalagenda weist mit 70 Maßnahmen bereits wichtige Wege, wie mit Hilfe digitaler Technologien analoge Prozesse ressourcen- und energieschonender gestaltet werden können. Weiterhin wird versucht im Sinne einer „Digitalen Enthaltsamkeit“ dafür zu sensibilisieren, dass digitale Technologien zu einem erheblichen Maße zum globalen Fußabdruck beitragen. Alle diese Maßnahmen, die seit 30 Jahren unter dem Schlagwort „green-IT“ laufen, reichen unserer Meinung nach nicht aus, um den digitalen CO2-Fußabdruck nachhaltig zu senken. Wir brauchen technische Initiativen, wie z.B. „clean-IT“, um die nachhaltige IT-Systementwicklung auf der Basis effizienter Algorithmen voranzubringen. Dieser Aspekt ist zwar in einem Spiegelstrich benannt, aber noch kaum mit konkreten Maßnahmen hinterlegt. Bevor es ein Curriculum für saubere IT-Systementwicklung geben kann, muss erforscht werden, welche Ansätze und Techniken clean-IT voranbringen. Hier sind wir noch ganz am Anfang. Es müssen Forschungsförderungsprogramme aufgelegt werden, um den Stromverbrauch von IT-Systemen und Software zu senken, wie im bereits beschriebenen Beispiel der Künstlichen Intelligenz. Weiterhin sind die Partnerschaften zwischen Wissenschaft und IT-Wirtschaft zu stärken und zu fördern. Deutschland kann Weltmarktführer im Bereich clean-IT werden.

Woran arbeitet das HPI aktuell zum Themenkomplex Nachhaltigkeit und Digitalisierung, was ist ggf. in Planung?

Das HPI unterstützt den UN Global Compact und hat sich den Sustainable Development Goals verschrieben. Auf einem SDG-Dashboard auf der HPI-Webseite haben wir fast 40 Maßnahmen des HPI zusammengefasst, wie das HPI zu den nachhaltigen Entwicklungszielen beiträgt. Besonders wichtig ist dabei die „clean-IT“ Initiative. Diese arbeitet gemeinsam mit SAP und mit Unterstützung von Spitzenuniversitäten wie dem Technion in Israel, der Dalian University of Technology in China, sowie Organisationen wie der IEEE Standards Organization, der Gesellschaft für Informatik, der deutschen Akademie für Technikwissenschaften und dem eco-Verband gemeinsam daran, ein Bewusstsein für den digitalen CO2-Fußabdruck zu schaffen. Ziel ist es, Technologien zu entwickeln, die auf algorithmischer und architektonischer Ebene die Energieeffizienz fördern und das Prinzip „Sustainability by Design“ beherzigen.

Hier können Sie sich zur 16. Data Debate anmelden. Wir würden uns freuen, wenn Sie dabei sind.

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