future.work #2 mit WIRED-Magazin: So hilft Tinder beim Recruiting (Interview)

Foto: CC0 1.0, Pixabay / Geralt / Ausschnitt bearbeitet
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Veröffentlicht am 02.10.2017

Foto: pixabay / geralt
Tim Weitzel ist Professor für Wirtschaftsinformatik an der Uni Bamberg und forscht seit Jahren Trends und Technologien im Feld der Human Resources. Warum sich die Einstellung zu Robo-Recruiting fundamental wandelt und warum das auch etwas mit Tinder zu tun hat, begründet er heute in unserem Interview. Und noch viel mehr erklärt er am 4. Oktober ab 19 Uhr bei future.work mit WIRED im Telefónica BASECAMP.

Herr Weitzel, Robo-Recruiting und data-driven HR sind gerade große Buzzwords in der Welt der HR. Aber was bedeuten die eigentlich genau?
Das ist ein wenig wie mit dem Begriff „Big Data“: Da versteht auch jeder etwas anderes darunter. Ich glaube aber, damit ist hauptsächlich gemeint, dass man Active Sourcing betreibt – also versucht, Kandidaten für eine Stelle direkt zu identifizieren und anzusprechen, statt darauf zu hoffen, dass sich schon jemand passendes bewerben wird.

Wie geht das?
Man weiß zum Beispiel, dass man wechselwillige Arbeitnehmer gut auf Linkedin oder Xing erkennen kann, dass sie ihr Profilbild updaten. Wenn man Kriterien wie dieses und viele weitere automatisch erfassen kann, ist das natürlich ein großer Vorteil bei der Suche.

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Prof. Dr. Tim Weitzel; Foto: Uni Bamberg/ Matt Stark

So kann man mit mehr Zielgenauigkeit erkennen: Wo sind die Wunschkandidaten, sind sie wechselwillig – und auf welchem Kanal und mit welcher Ansprache habe ich eine Chance, diese dann auch zu gewinnen. Wenn man einen seltenen Fisch fangen will ist das ja auch so: Man muss wissen, wo schwimmt der wann umher und welcher Köder funktioniert.

Der Versuch, seine Zielgruppe zu finden und adäquat anzusprechen – das ist doch im Marketing zum Beispiel längst ein alter Hut.
Das stimmt. Die HR holt da gerade einiges auf.

Wird das Thema wichtiger in Zeiten, in denen das Angebot an Arbeitskräften in vielen Branchen die Nachfrage nicht mehr deckt?
Absolut. Es ist immer noch oft so: Ein Kandidat stellt seinen Lebenslauf ins Netz und hofft, dass er gefunden wird. Unternehmen stellen ihre Angebote ins Netz und hoffen dasselbe. Es gibt nur ein ganz ganz grobes Matching zwischen den beiden Seiten. Wenn Mitarbeiter knapper sind als die Jobs, müsste man also eigentlich den Spieß umdrehen und sagen: Der Mitarbeiter sollte angeben, was seine Anforderungen an den Arbeitgeber sind – und zwar nicht nur die harten Fakten – Standort, Gehalt, etc. –, sondern auch weiche Faktoren, wie zum Beispiel welche Kultur am Arbeitsplatz herrscht, wie viel Freiheit, wie viel Flexibilität.

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Foto: Shutterstock / Willyam Bradberry

Dann hätte man viel bessere Informationen und Unternehmen und Kandidaten könnten zielgenauer zueinander finden. Kandidaten könnten von genau den Unternehmen angesprochen werden, die passen, statt mit generischen Headhunteranfragen auf Xing überschüttet zu werden.

Immer häufiger kommen dabei Chatbots zum Einsatz, die dem Interessenten im Netz die Standardfragen zu einem Job beantworten. Schreckt das mögliche Kandidaten nicht eher ab?
Nein! Das war ein Ergebnis meiner letzten Studien und hat mich selbst überrascht: Sowohl Kandidaten, als auch HRler wollen heute eindeutig mehr Robo-Recruiting. Mehr Automatisierung. Das gab es noch nie! In der HR gab es immer eine große Zurückhaltung, was solche Lösungen anging. Doch die Grundaussage, dass man vielleicht mit einem Chatbot, der Antworten auf Standardfragen gibt, die Kunden gut und sehr schnell bedienen kann, setzt sich durch. Die Rekrutierer sagen außerdem, das entlaste sie von Routinearbeiten. Sie werden die Galeerenarbeit los. Das gibt ihnen mehr Zeit, das zu tun, was wirklich wichtig ist.

Haben die Rekrutierer keine Angst davor, ersetzt zu werden?
In unseren Umfragen kam heraus: Nur 3,8 Prozent der Recruiter haben Angst, dass sie durch die Automatisierung ihren Job verlieren. Und tatsächlich wird der Job des HRlers nie wegfallen. Er wird sich nur brutal verändern.

Prof. Dr. Tim Weitzel
Prof. Dr. Tim Weitzel

Früher war das einmal eine einfache Sachbearbeitertätigkeit. Heute ist die HR eine hochkomplexe Aufgabe mit hohen Skills-Anforderungen in Kommunikation, Marketing, Analytics. Der Recruiter der Zukunft ist daher eher ein Team, das all diese Fähigkeiten vereint.

Warum sehen die Kandidaten die Automatisierung des Recruitings positiv?
Weil sie glauben, dass sie dann weniger diskriminiert werden. Der Gedanke ist: Wenn ich von einer Maschine wirklich nach meinen Fähigkeiten beurteilt werde, ist das besser, als wenn das ein subjektiverer Mensch tut . Gerade viele Frauen sehen das heute so. Auch das war vor nicht langer Zeit noch anders. Da sah man Robo-Recruituing kritischer.

Wie erklärt sich der Sinneswandel?
Ich glaube, das hat unter anderem etwas mit Tinder zu tun.

Mit Tinder?
Vor zehn Jahren war man noch verschämt, wenn man Online-Dating betrieben hat. Heute haben 75 Prozent der 50 Millionen amerikanischen Singles schon Online-Dating probiert. Jede dritte Ehe im letzten Jahr ist darüber zustande gekommen. Heute fragen sich Leute offener, warum soll ich in einem Teich angeln, wo nur zehn Fische drin sind, wenn ich den Pool an Kandidaten erhöhen kann?

Die Einstellung, dass man eben auch bei menschlich-sozial sensiblen Bereichen das Internet nutzen kann, ist ein ganz großer Durchbruch. Und den spürt man eben auch in der neuen Akzeptanz für Technologien beim Recruiting. Dazu kommt: Wir sind heute an die Geschwindigkeit von Whatsapp-Dialogen gewöhnt. 24 Stunden auf eine Antwortmail zu warten, das ist für viele nicht mehr zeitgemäß. Auch das schafft die Akzeptanz für schnellere, automatisierte Prozesse wie eben Chatbots, die einfache FAQs zu einem Job in Echtzeit beantworten können.

Zu der Anmeldung für unsere future.work-Veranstaltung mit dem WIRED-Magazin am 4. Oktober im Telefónica BASECAMP geht es hier.

Mehr Informationen:

Centre of Human Resources Information Systems: CHRIS
Website der Universität Bamberg: Prof. Dr. Tim Weitzel

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