Social Media & die junge Generation: Interview mit Anna Albrecht (Tagesschau)

Pressefoto Anna Albrecht:NDR/Janis Röhlig
Pressefoto Anna Albrecht:NDR/Janis Röhlig
Veröffentlicht am 11.01.2024

Die Frage, wie junge Menschen für Politik und aktuelle Nachrichten erreicht werden können, treibt viele Akteure der politischen Kommunikation um. Klar ist, dass an den sozialen Medien hier mittlerweile kein Weg vorbeiführt. Für ihre Arbeit in diesem Bereich auf TikTok wurde vor kurzem die Social-Media-Redaktion der Tagesschau mit dem Digital Media Award Germany ausgezeichnet. Anna Albrecht aus dem Tagesschau-TikTok-Team war bereit, uns ein paar Fragen zum Thema zu beantworten ­– natürlich passend per Video-Interview.

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Eine etwas längere, schriftliche Version des Interviews möchten wir hier ebenfalls zur Verfügung stellen:

Ihr wurdet für eure Arbeit ausgezeichnet. Was bedeutet der Preis für dich ganz persönlich und welche Auswirkungen hat die Anerkennung auf die Wahrnehmung des Kanals?

So ein Preis bedeutet mir persönlich, aber natürlich auch dem Rest des Hauses total viel. Weil honoriert wird, dass wir junge Leute erreichen – auf einer Plattform mit Nachrichten, die vor allem für Entertainment, Spaß und Unterhaltung steht. Und das ist wirklich toll, dass wir da als eine Art einordnender Anker wahrgenommen werden zu Zeiten, in denen die Nachrichtenlandschaft – vor allem im Internet – alles andere als übersichtlich ist.

Mit eurem Account serviert ihr „News für den Pausenhof“. Wie passt die Tagesschau ihre Nachrichten an, um die Hauptzielgruppe der unter 18-Jährigen anzusprechen?

Passend zu diesen News für den Pausenhof liefern wir quasi auch das Pausenbrot servierfertig. Bei uns müssen die User nämlich nicht mehr lange überlegen: Was soll das eigentlich? Was hat das mit mir zu tun? Diesen Bezug stellen wir her.

Welche Herausforderungen gibt es bei der Kommunikation von komplexen Themen auf einer schnelllebigen, dynamischen Plattform wie TikTok?

Ja, das stimmt, das kriegen wir auch mit bei anderen Accounts, die möglichst schnell alle Nachrichten verbreiten wollen, um die ersten zu sein, die damit viral gehen. Da haben wir für uns gesagt: Dem entziehen wir uns, diesem Wettrennen, da möchten wir nicht mitmachen. Denn wir wollen und können natürlich auch nur die Videos dann posten, wenn wir die Fakten auch wirklich alle hart bekommen und belegen können. Das gilt für alle Tagesschau-Produkte, egal ob im linearen Fernsehen oder auf den Social-Media-Plattformen. Und da machen wir auch auf TikTok natürlich keine Ausnahme.

Screenshot TikTok @tagesschau

Nachrichten aus der Welt können zum Teil sehr brutal und emotional aufwühlend sein. Wie filtert ihr diese Themen bzw. wie setzt ihr schwierige Inhalte für die Zielgruppe um?

Bei besonders emotionalen Themen gucken wir darauf, dass wir ganz stark einordnen. Also dass wir ganz viel Kontext geben und mit Fakten die Emotionen auffangen. Wir machen auch Communityfragen, machen teilweise Stunden zu Mental Health. Wir haben da auch Exptert:innen an unserer Seite, wo man dann teilweise denkt: „Hm, ist soetwas wie Mental Health im Lockdown wirklich ein nachrichtliches Thema?“ Und da haben wir in Corona-Zeiten gesagt: „Ja doch, glauben wir schon, das kann etwas für die Nachrichten sein.“ Und das wurde auch sehr gut angenommen von der Community.

Und die Bildauswahl ist für uns besonders wichtig. Wir wissen, dass unsere User natürlich auch auf anderen Kanälen unterwegs sind und dort bestimmt auch viel krassere Bilder gesehen haben. Wir haben uns aber dafür entschieden, irgendwelche krass entstellten Leichen zum Beispiel nicht unbedingt zu zeigen. Vor allem, wenn sie die Nachricht inhaltlich gar nicht voranbringen, sondern eher ein paar voyeuristische Likes und Klicks gegeben hätten. Damit schützen wir natürlich auch unsere Community.

Gibt es Themen, die auf eurem Kanal gar nicht funktionieren?

Foto: Henrik Andree

Also das es so per se Themen gibt, die gar nicht funktionieren, das kann ich so noch nicht sagen. Es liegt ja auch manchmal daran, haben wir das Thema nicht gut genug erzählt – die Kappe können wir uns ja dann auch selber aufsetzen. Andererseits gibt es den Algorithmus, der steht zwischen uns und dem User. Und da weiß man bei dieser Blackbox eben auch ganz oft nicht, was da eigentlich passiert ist, warum ein Video auf einmal sehr gut läuft oder sehr sehr schlecht performt.

Das Gute für uns ist, wir müssen aber auch gar nicht diese viralen Klickzahlen unbedingt immer erreichen. Bei uns sind qualitative Ziele auch ganz weit vorne. Uns ist es wichtig, dass wir mit Nachrichten manchmal auch Leute erreichen, die wir mit anderen Tagesschauprodukten vielleicht so nicht erreicht hätten. Das sind dann vielleicht nicht immer die großen Massen, aber trotzdem haben wir damit etwas geschafft. Und wir behalten uns natürlich vor, wenn wir davon ausgehen als Nachrichtenanbieter, etwas hat einen Nachrichtwert, dann setzen wir dieses Thema und lassen uns von TikTok und den Trends dort nicht so beeinflussen.

Inwiefern thematisiert ihr auf TikTok selbstkritisch Aspekte der Plattform – wie Datenschutz, Desinformation oder Filter Bubble?

Also das mit der Selbstkritik finde ich insofern schwierig, als dass wir davon ja auch selber betroffen sind. Wir kreieren ja zum Beispiel keine Filter Bubbles, sind davon aber auch betroffen, weil die von den Plattformen kommen. Und sie sind damit auch ein guter Grund, Kritik an den Plattformen zu äußern. Da würde ich jetzt aber nicht nur über TikTok sprechen, sondern auch X und Meta, also z.B. Instagram und Facebook, mit ins Boot holen, weil die sind da alle mitgemeint.

Wir machen das Thema Medienkompetenz – kein schöner Begriff, aber umfasst das ganz gut – oft zum Teil unserer Berichterstattung. Das heißt, es sind für uns auch Nachrichten zu erzählen: was sind neue AGBs, welchen Klagen gibt es zum Beispiel jetzt von Ländern gegenüber den Plattformen. Weil wir wissen, es interessiert unsere User einfach, denn die Plattformen sind Teil von deren Leben.

Und es gibt uns natürlich die Chance, selber Recherchen anzufertigen. Beispielsweise haben wir auf TikTok aufgedeckt, dass dort Wortfilter angewandt wurden. Das konnten wir, weil wir eben unsere eigenen Videos dort als Menge nutzen konnten, um das selber zu erkennen und dann auch nach außen hin zu zeigen. Das war schon ganz wertvoll.

Durch Kommentare und Shares erhaltet ihr direktes Feedback zu eurem Content. Wie wichtig ist Interaktion zwischen Medien und ZuschauerInnen deiner Meinung nach?

Also generell ist bei uns auf allen Social-Formaten wichtig: Wir senden nicht nur, wir empfangen auch. Also dieser Hin- und Rückkanal besteht. Das sind viele tausend Kommentare, die am Tag bei uns eintrudeln und die werden alle gelesen und auch alle moderiert.

Das tolle ist, dass wir dort auch einen guten Seismografen haben: Welche Themen noch weiter interessieren, wo man vielleicht nochmal tiefer reingehen soll, was wurde vielleicht auch nicht verstanden oder wo gibt es noch Nachfragen. Auch das können wir dann wieder zu unserer Berichterstattung dazu nehmen.

Habt ihr bei der Contenterstellung auch schon einmal einen klassischen „Fail“ erlebt? Mikrofon aus, Ringlicht kaputt, Text-Blackout?

Credits: NDR/Ulla Brauer

Also so kleinere Pannen, davon kann ich mich selber nicht ausnehmen, da bin ich natürlich auch Verursacherin. Wir sind ja auch alles nur Menschen bei der Tagesschau. Ich stehe hier vor einem Green Screen und in der Vergangenheit habe ich gerne auch mal grüne Sachen angehabt oder ein grünes Haargummi gehabt. Da haben natürlich die Menschen in der Grafik regelrecht die Krise gekriegt. Weil das heißt ja „keen“ in der Fachsprache, das man jemanden ausschneidet und bei uns beispielsweise vor die „blaue Welt“ – so heißt unser Hintergrund – setzt. Und das geht natürlich nicht so gut, wenn man grün in grün ist.

Inhaltlich sind wir da ein bisschen besser abgesichert. Da gibt es sehr viele Abnahmeschleifen. Bis so ein Video wirklich auf dem Kanal landet, dreht es einige Runden. Da haben wir alle eine sehr dicke Schmerzresilienz mittlerweile und das ist auch gut so, da können wir alle Kritik ganz gut ab. Denn die Nachrichten sind sehr unübersichtlich, vor allem was die Kriegsberichterstattung angeht, und da dreht man lieber nochmal zwei, drei, vier Runden mehr als eine zu wenig.

Trotzdem: Wir sind alles Menschen bei der Tagesschau, Fehler passieren und deswegen war es uns auch wichtig, eine Fehlerkultur zu etablieren. Unter Umständen müssen wir ein Video mal runternehmen, unter Umständen posten wir es dann neu, weil z.B. die Bildquelle auch mal gefehlt hat. Das ist natürlich wichtig, dass man die dann nachträgt. Da kann man dann einen Vermerk in die Kommentare setzen der Transparenz halber.

Manchmal arbeiten wir Fehlern auch präventiv entgegen. Zum Beispiel werden Videos auf den Social-Plattformen ja oft achronologisch ausgespielt, also das heißt, manchmal sieht man ein Video erst bei sich im Feed, wenn es schon längst veraltet ist und wir auch schon ein neues zum Thema gepostet haben. Deshalb gucken wir, dass wir präsent einen Stand eingeblendet haben mit Datum und das wir gegebenfalls auch die Neuerungen nochmal in die Kommentare schreiben. Sodass die User gewarnt sind, dass das Video veraltet ist.

Mehr Informationen:

Social Media & die junge Generation: Interview mit Mirko Drotschmann
Kinder & Jugendliche im digitalen Raum: Interview mit Thomas Krüger (Deutsches Kinderhilfswerk)

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