Europawahl 2024: Digitalpolitik in den Wahlprogrammen

Credit: iStock/MARHARYTA MARKO
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Veröffentlicht am 19.04.2024

In wenigen Wochen steht die Wahl zum Europäischen Parlament an und mittlerweile haben alle großen deutschen Parteien ihre Programme dafür vorgelegt. Welche Rolle spielt die Digitalpolitik dabei und was sind die zentralen Forderungen von CDU/CSU, Grünen, SPD, AfD, FDP, Linkspartei und BSW?

Vom 6. bis 9. Juni sind mehr als 400 Millionen EU-Bürger:innen aufgerufen, ein neues Europäisches Parlament zu wählen. 96 der 720 Abgeordneten werden dann erneut aus Deutschland nach Straßburg ziehen. Um die deutschen Wähler:innen von den eigenen politischen Positionen zu überzeugen, haben die antretenden Parteien jeweils Wahlprogramme vorgelegt, die sich auch mehr oder weniger umfassend dem Thema Digitalisierung widmen.

CDU/CSU: Digitales für Wohlstand und Sicherheit

Bei der Union, die mit 29 Abgeordneten momentan die meisten aus Deutschland stellt, liegt der allgemeine Fokus des Wahlprogramms auf Stabilität, Sicherheit und dem Schutz Europas – und in diesem Sinne sollen auch digitale Technologien eingesetzt werden. So bildet das Programm aktuelle digitale Entwicklungen ab und formuliert politische Standpunkte dazu, vor allem im Bereich Künstlicher Intelligenz und generell zur Forschung. Zugleich wird häufig betont, dass Europa mithilfe digitaler Technologien wieder eine Vorreiterrolle einnehmen soll.

Als zentrale digitalpolitische Themen und Forderungen lassen sich dabei folgende Punkte identifizieren:

  • Forschung, Innovation und Infrastruktur: Neben der Vorreiterrolle der EU setzt die Partei auf Offenheit für neue Technologien und entsprechende Investitionen.
  • Technologische Souveränität: Abhängigkeiten sollen reduziert und Lieferketten diversifiziert werden.
  • Künstliche Intelligenz: Hier stehen die Förderung von Forschung und Anwendungsentwicklung, die Nutzung im Gesundheitsbereich und die Vermeidung von Überregulierung im Vordergrund.
  • Digitaler Binnenmarkt: Es wird das Ziel einer Digital- und Datenunion mit modernem Wettbewerbsrecht und hochklassiger digitaler Infrastruktur ausgegeben, um den Europäischen Binnenmarkt auch im Digitalen zu vollenden. Dazu gehöre eher wenig Regulierung und der flächendeckende Mobilfunkausbau des 5G/6G-Netzes.
  • Cybersicherheit und Datenschutz: Hier wird konkret eine Reform der DSGVO und ein einheitliches Datenschutzrecht gefordert, um das Teilen von Daten im europäischen Raum zu erleichtern. Eine generelle Chatkontrolle wird abgelehnt (aber Cybermobbing als Straftat angesehen) und mehr Zusammenarbeit im Kampf gegen hybride Bedrohungen und Desinformation gefordert.

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In der Summe wird deutlich, dass die Union sich nicht als Digitalpartei per se versteht, sondern in dem 27-seitigen Wahlprogramm digitale Themen oft nur kurz angeschnitten werden, wenn sie für andere christdemokratische Kernthemen wie Sicherheit oder Wettbewerbsfähigkeit relevant sind.

Grüne: Klimaneutralität und Datenschutz

Die zweitgrößte Gruppe an deutschen Europaabgeordneten konnten nach der letzten Wahl die Grünen stellen, die diesmal aber vermutlich mit weniger als 21 Mandaten rechnen müssen, wenn sie aktuelle Wahlprognosen bewahrheiten. Ihr aktuelles Wahlprogramm ist mit 114 Seiten das umfangreichste der betrachteten Parteien und geht sehr detailliert auf viele verschiedene Aspekte ein. Dies trifft auch für die digitalpolitischen Themen zu, die ausführlich besprochen werden, insbesondere im Kontext des übergeordneten Ziels der Klimaneutralität, für das (digitale) Technologien oft als Lösung gesehen werden.

Die zentralen digitalpolitischen Themen und Forderungen der Grünen:

  • Digitale Souveränität, Infrastruktur und Regulierung: Europäische Infrastruktur und Akteure sollen gestärkt (z.B. die Halbleiterproduktion und Satellitenkommunikation), digitale Angebote „made in Europe“ gefördert, eine transparente KI-Regulierung auf globaler Ebene und die Durchsetzung des AI-Act sichergestellt werden. Innovative Technologien sollen im Sinne der Interoperabilität standardisiert sein.
  • Nachhaltigkeit und Umweltschutz: Die Partei fordert einen Digital Sustainability Act für digitale Nachhaltigkeitsstandards (z.B. für KI oder Rechenzentren) sowie Carbon Capture Storage und weitere technologische Prozesse zur CO2-Senkung.
  • Datenschutz und -nutzung: Die aktuelle DSGVO soll konsequent durchgesetzt werden, zugleich soll es vereinfachte und praxistaugliche Regeln zur Datennutzung bei gleichbleibendem Datenschutzniveau geben.
  • Verbraucherschutz und Strafrecht: Hier stehen die Stärkung des Verbraucherschutzes und des Wettbewerbsrechts, eine konsequente Durchsetzung von DSA und DMA sowie Sanktionen gegen Propagandaplattformen im Vordergrund. Strafrechtlich relevantes Material im digitalen Raum soll automatisiert erfasst und die Aufnahme systematischer Desinformation als EU-Straftat geprüft werden.
  • Politische Bildung, Cybersicherheit und Desinformation: Es werden u.a. die Gründung einer Europäischen Zentrale für politische Bildung, regelmäßige Lagebilder zu Desinformation, die Umsetzung der EU-Richtlinien zu Cybersicherheit, die strenge Regulierung von Spyware sowie die Kennzeichnung von KI-generiertem Material und Social Bots gefordert. Zugleich spricht man sich gegen KI-Gesichtserkennung aus.

SPD: Digitalisierung für die Menschen

Die SPD landete bei der Wahl vor fünf Jahren auf dem dritten Platz und durfte 16 Abgeordnete nach Straßburg schicken. In ihrem Wahlprogramm mit 51 Seiten skizziert sie nun, wie die Digitalisierung für die Menschen“ – so der Titel des relevanten Unterkapitels – auf europäischer Ebene gestaltet werden soll. Sozialdemokratische Überzeugungen spiegeln sich dabei etwa in der Betonung des digitalen Zugangs für alle, in der „Auszahlung“ einer digitalen Dividende oder beim Einbezug der Arbeiter:innen in Digitalisierungsprozesse wider. Ähnlich wie die Grünen spricht sich das Programm der SPD zudem gegen Massenüberwachung und für die digitale europäische Souveränität aus.

Die zentralen digitalpolitischen Themen und Forderungen der SPD:

  • Digitale Infrastruktur und Souveränität: Förderung der europäischen Forschung und Innovationen (Quantencomputing, KI und Clean Tech), Unabhängigkeit von Anbietern und Herstellern aus dem EU-Ausland, offenes und freies Internet mit Netzneutralität.
  • Schutz und Governance im digitalen Raum: Als Prioritäten werden der Datenschutz und die Privatsphäre, Diskriminierungsschutz und die Wahrung der Meinungsfreiheit genannt. In diesem Sinn sollen auch der DSA und AI-Act umgesetzt werden. Bei der DSGVO werden eine Weiterentwicklung und Bürokratieabbau angestrebt.
  • Digitale Sicherheit und Kampf gegen Desinformation: Die Partei möchte klare Regeln für Plattformen, Sanktionen gegen Deepfakes sowie effektive Sicherheitsmaßnahmen gegen Massenüberwachung und unterstützt dezentral organisierte Handels- und Kommunikationsplattformen.
  • Finanzierung und Digitale Dividende: Es wird die Notwendigkeit betont, den Investitionsbedarf für den digitalen Umbau der europäischen Wirtschaft zu decken. Außerdem brauche es digitale Rechte im europäischen Handelsabkommen und eine Arbeitszeitverkürzung bei digitalen Produktivitätsgewinnen.

AfD: Gegen EU und Zuwanderung

Das 52-seitige Wahlprogramm der AfD, die momentan neun Abgeordnete im Europaparlament hat, ist hingegen dezidiert gegen die EU gerichtet und von nationalistischer Grundhaltung geprägt: Jegliche überstaatliche Regelung wird abgelehnt und alles soll auf nationaler Ebene entschieden werden. In diesem Sinne werden auch relevante digitalpolitische Aspekte betrachtet, z.B. wenn sich dadurch Zuwanderung vermeiden lässt.

Die zentralen digitalpolitischen Themen und Forderungen der AfD:

  • Freiheits- und Grundrechte: Die Digitalisierung dürfe die Freiheitsrechte nicht einschränken, weshalb das Recht auf Verschlüsselung und Netzneutralität betont wird. Zugleich wird ein Recht auf analoges Leben gefordert.
  • Datenschutz und -sicherheit: Die Partei ist gegen eine „Zensur“ durch Plattformanbieter und für die Abschaffung der DSGVO, die durch „bürgerfreundliche“ nationale Regelungen ersetzt werden soll.
  • Medienfreiheit/-regulierung: Unterstützung für Freiheit und Unabhängigkeit der sozialen Medien, Ablehnung von „Zensur“ durch DSA oder europaweite Medienregulierung.
  • Technologische Entwicklung und Zuwanderung: Mit Blick auf den Fachkräftemangel werden technische Lösungen (z.B. KI und Robotik) vor menschlicher Zuwanderung priorisiert.
  • Bildung: Hier wird Digitalisierung mit „Verstand und Augenmaß“ gefordert und ein komplett digitalisierter Unterricht aus „Sorge ums Kindeswohl“ abgelehnt.
  • Infrastruktur: Stärkung der verkehrlichen und digitalen Infrastruktur im ländlichen Raum, Stärkung der Autarkie der Mitgliedsstaaten in Schlüsselindustrien wie z.B. Digitalisierung

FDP: Digitalisierung im Sinne der Freiheit

Ebenfalls für „Freiheit“, aber in einer etwas anderen Deutung setzen sich die fünf Europaabgeordneten der FDP ein. In ihrem kurzen, 21-seitigen Wahlprogramm gibt die Partei den freien, selbstbestimmten Bürger, der vor staatlichen Eingriffen und Bürokratie geschützt wird, als oberstes Ziel aus. Zugleich formuliert sie Digitalisierung als eines ihrer Kernthemen, da diese einer starken Wirtschaft und der Freiheit der Bürger:innen dienen soll.

Die zentralen digitalpolitischen Themen und Forderungen der FDP:

  • Digitaler Binnenmarkt: Vollendung des digitalen Binnenmarkts und Einrichtung einer Europäischen Behörde zur Sicherstellung einer einheitlichen Rechtsauslegung in diesem Binnenmarkt.
  • Digitale Kommunikation: Einführung einer EU-weiten digitalen Identität, digitale Beteiligungsmöglichkeiten, Schutz von Kunst- und Meinungsfreiheit sowie Privatsphäre und Anonymität online, Ablehnung von Chatkontrolle und Vorratsdatenspeicherung, Entbürokratisierung der DSGVO.
  • Mobilfunk: Schaffung eines Europäischen Mobilfunkraums, Ausweitung der Roaming-Freiheit auf EU-Beitrittskandidaten.
  • Sicherheit: Es sollen gemeinsame Sicherheitsstandards für die digitale (kritische) Infrastruktur festgelegt werden.
  • Künstliche Intelligenz: EU soll zum „Hotspot für KI“ werden, der AI-Act praxisnah und zur Förderung von Innovationen sowie Schutz der Bürgerrechte umgesetzt werden.
  • Internationale Zusammenarbeit: Schaffung eines transatlantischen Wirtschaftsraums mit gemeinsamen Standards für Dekarbonisierung, Digitalisierung und Kreislaufwirtschaft.
  • Verwaltung und Wirtschaft: Stärkere Digitalisierung der Verwaltung, eine „konstruktive Begleitung” des digitalen Euros als Ergänzung zum Bargeld und mehr Attraktivität des EU-Marktes für Kryptowährungen.

Linke: Nachhaltigkeit, Datenschutz und soziale Gerechtigkeit

Genauso viele Abgeordnete wie die FDP durfte die Linke 2019 ins Europaparlament entsenden – allerdings fällt ihr aktuelles Wahlprogramm fast fünfmal so lang aus, wie das der liberalen Konkurrenz. Auf den 99 Seiten werden digitale Themen in diversen Kapiteln angeschnitten, wobei die Digitalisierung nicht als „klassisch linkes“ Thema ausgedeutet wird, sondern eher als Werkzeug und bereits fortgeschrittener Prozess, der jetzt für das Wohl der Gesellschaft genutzt werden soll. Der Fokus des Wahlprogramms liegt dabei auf den Themen soziale Gerechtigkeit, Antikapitalismus und Demokratie- bzw. Friedenssicherung.

Die zentralen digitalpolitischen Themen und Forderungen der Linkspartei:

  • Nachhaltigkeit: Reduktion des Energieverbrauchs bei digitalen Anwendungen, größere Langlebigkeit und Reparierbarkeit von Geräten, Nutzung ökologisch von weniger bedenklichen Rohstoffen, Verschärfung des Lieferkettengesetzes.
  • Datenschutz und -sicherheit: Schutz der Anonymität im Netz, Ablehnung von Massendatenspeicherung und staatlicher Datenausspähung, Einführung einer E-Privacy-Verordnung, Bekämpfung von Hasskriminalität und digitaler Gewalt, Sicherstellung von IT- und Datensicherheit.
  • Datenkommerzialisierung und -austausch: Die weitere Kommerzialisierung von Daten soll verhindert werden. Pauschalisierte Überwachungsmaßnahmen und der Datenaustausch (etwa mit den USA) werden abgelehnt.
  • Künstliche Intelligenz: Einsatzverbot von KI bei Grundrechtseingriffen – besonders in den Bereichen Migration, Asyl und Grenzkontrollen sowie bei der Gesichtserkennung und Verhaltensklassifikation). Für den Einsatz von KI in der Arbeitswelt soll es europaweite Regeln geben, ebenso mehr Forschung zu gesellschaftlich nützlichen KI-Anwendungen und zu KI-Risiken.
  • Digitale Gesellschaft: Forderung nach digitaler Teilhabe und einem Recht auf analoges Leben. Die Digitalisierung soll zur Lösung gesellschaftlicher Probleme beitragen.

BSW: Digitales zum Umbau der EU

Als neue Partei und Abspaltung von der Linken tritt das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) erstmals bei der Europawahl (und überhaupt bei einer Wahl) an. Da es laut aktuellen Umfragen um die fünf Mandate erhalten könnte, betrachten wir hier auch kurz dessen Wahlprogramm. Auf den 20 Seiten wird deutlich, dass die neue Partei sehr kritisch gegenüber der Europäischen Union in ihrer aktuellen Form ist und die Digitalisierung primär als gesamteuropäisches Projekt zum Umbau der EU betrachtet.

Gefordert werden insbesondere eine europäische Digitalstrategie und die Begrenzung der Macht großer Digitalkonzerne. Eine eigenständige europäische digitale Infrastruktur soll in diesem Sinn als Schutz vor Überwachung und Manipulation fungieren. Zugleich soll aber auch der Digital Services Act als „staatliche Umsetzung der Cancel Culture“ zurückgenommen werden, da er auch dazu diene, die Reichweite regierungskritischer Positionen zu reduzieren. Darüber hinaus wird die Förderung grüner und digitaler Technologien gefordert.

Event-Hinweis:

Am 29. April 2024 werden im BASECAMP bei der nächsten Data Debate die Europawahl-Kandidat:innen Katarina Barley (SPD), Svenja Hahn (FDP) und Sergey Lagodinsky (Bündnis 90/Die Grünen) gemeinsam mit Telefónica- Vorständin Valentina Daiber über den Stand der Digitalisierung in der EU diskutieren.

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