Energiekrise: Wie stark leidet die deutsche Digitalbranche?

Foto: Montage Placeit und Pixabay User michaljamro, CC0 1.0 | Farbe + Ausschnitt editiert
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Veröffentlicht am 04.11.2022

Als das dritte Entlastungspaket der Bunderegierung vorgestellt wurde, schlug der Digitalverband Bitkom Alarm: Deutschland drohe als Standort für die Digitalwirtschaft zurückzufallen. Gründe seien die Energiekrise und mangelnde Wirtschaftshilfe. Wie hart treffen die explodierenden Preise für Strom und Gas die Branche tatsächlich?

Während die drohende Krise der Chemie-Industrie im Spätsommer breite Diskussionen und Ängste in der Öffentlichkeit auslöste, schien eine andere Branche trotz der Hilferufe ihrer Verbände aus dem Fokus geraten zu sein: Die ebenso von bezahlbarer Energie abhängige deutsche Digitalwirtschaft. Rund 1,25 Millionen Menschen sind in ihr beschäftigt, womit sie immerhin 400.000 Arbeitsplätze mehr umfasst als die traditionelle deutsche Automobilindustrie.

Vom Fachkräftemangel zur Energiekrise

Im Frühjahr bereitete der Branche vor allem der Fachkräftemangel noch Sorgen. Etwa 100.000 Stellen konnten laut Bitkom-Chef Achim Berg nicht adäquat besetzt werden. Hinzu kamen Lieferengpässe bei wichtigen Komponenten wie Halbleitern. Doch mit der schwelenden Energiekrise steht die Digitalbranche nun vor noch größeren Problemen.

Rund 45 Prozent der IT-Entscheider:innen in Deutschland sehen die digitale Geschäftstätigkeit ihres Unternehmens aufgrund der gestiegenen Strompreise in Gefahr, so eine Civey-Umfrage für den eco Verband. Dabei spielen vor allem sogenannte Colocation-Rechenzentren eine zentrale Rolle.

Colocation-Rechenzentren stellen die Infrastruktur und Server für IT-Anwendungen von Unternehmen bereit. Auch ohne Energiekrise ist der Stromverbrauch dieser Zentren bei vielen Digitalunternehmen für einen Großteil der Betriebskosten verantwortlich. Der Strombedarf deutscher Rechenzentren wird auf 16 Milliarden Kilowatt pro Jahr geschätzt. Und das bei steigendem Bedarf: Bis 2030 wird ein jährlicher Zuwachs von 3,5 bis 5 Prozent erwartet.

Sorgenkind Rechenzentren

Im Fall der Colocation-Rechenzentren werden explodierende Stromkosten direkt an die Kundschaft weitergegeben. So droht gleich ein doppelter Domino-Effekt: Unternehmen könnten von den plötzlich steigenden Kostenerhöhungen ihrer IT-Dienstleister überrascht werden. Und die IT-Dienstleister laufen Gefahr, wegen nicht zahlender Kunden auf den hohen Kosten sitzen zu bleiben und selbst in Zahlungsschwierigkeiten zu geraten.

„Die im europäischen Vergleich sehr hohen Stromkosten sind seit Jahren ein entscheidender Standortnachteil für deutsche Rechenzentren. Durch die stark gestiegenen Energiepreise nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine spitzt sich die Situation für die Digitalwirtschaft insgesamt zu.“ (Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder)

Sollten im Winter nicht nur die Kosten in die Höhe schießen, sondern auch Stromengpässe auftreten, könnte es für viele Rechenzentren eng werden. Zwar beugen die meisten Betreiber mit einer dieselbetriebenen Notstromversorgung vor, aber auch diese würde in den meisten Fällen nach wenigen Tagen aufgebraucht sein.

Wo die Bundesregierung gefordert ist

Foto: CC0 1.0, Pixabay User bsdrouin | Ausschnitt angepasst

Der Bitkom fordert deshalb, dass bei einer möglichen priorisierten Stromversorgung auch die Rechenzentren breit berücksichtigt werden. Nach den derzeitigen Regelungen würde das aber lediglich jene betreffen, die eine jährliche Anschlussleistung von 3,5 Megawatt vorweisen. „Allerdings gibt es auch kleinere Rechenzentren, die systemrelevante IT betreiben“, so Bitkom-Geschäftsführer Bernhard Rohleder. Sie könnten durch die Maschen der aktuellen Notversorgungspläne fallen.

Die Meinung in der Branche ist deutlich: Tatsächlich wünschen sich 86 Prozent der IT-Fachleute, dass die Bundesregierung digitale Infrastruktur in ihre Notfallpläne einbindet. Die Verbände eco und Bitkom schließen sich dem an. „Datacenter und Cloudangebote sind systemrelevant für zahlreiche Anwenderbranchen, darunter E-Health, Automotive, Luft- und Raumfahrt, Banking oder Logistik“, meint Béla Waldhauser, Sprecher der unter dem Dach des eco Verbands gegründeten Allianz zur Stärkung digitaler Infrastrukturen.

Die Lösungen innerhalb der Branche

Dabei kommen einige Lösungsansätze der Energiekrise auch aus der Digitalbranche selbst. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) sieht die Digitalisierung als wichtigen Ermöglichungsfaktor für Energieeinsparungen. So könne zum Beispiel Künstliche Intelligenz die Auslastung von Maschinen erheblich steigern und dadurch energieintensive Leerläufe und Wartezeiten vermeiden.

Für das energiepolitische Potenzial der Digitalbranche können zudem die Rechenzentren zentral sein. Ihre Abwärme gilt seit langem als ungenutztes Potenzial. Während diese derzeit noch meist ungenutzt entweicht, könnten allein durch sie rund 350.000 Wohnungen dauerhaft mit Warmwasser und Heizungswärme versorgt werden, so Berechnungen von Bitkom. Allerdings fehlen derzeit noch die dafür nötigen Wärmenetze.

Bitkom fordert deshalb, den netzdienlichen Einsatz von Wärmepumpen von den Netzentgelten zu befreien. Insgesamt müssten Politik, Verwaltung und Wirtschaft die Digitalbranche systematischer in Lösungen einbinden, fordert der Verband.

Streit um das neue Energieeffizienzgesetz

Und das scheint wirklich nötig zu sein: So sieht das geplante Energieeffizienzgesetz des Bundeswirtschaftsministeriums eine Verpflichtung für Rechenzentren vor, dass sie mindestens 30 Prozent ihrer Abwärme zur Energieversorgung abgeben müssen. Alexander Rabe, Geschäftsführer von eco und Mitinitiator der Allianz zur Stärkung digitaler Infrastrukturen kritisiert die Pläne deutlich:

„Der aktuelle Gesetzentwurf ist nicht zu Ende gedacht. Es mangelt nicht an der Bereitschaft von Rechenzentrenbetreibern, Abwärme abzugeben, sondern an fehlenden politischen Rahmenbedingungen, einen Markt der Abnehmer zu etablieren.“

Man müsse, zum Beispiel, städtische Energieversorgungsunternehmen zu einer Abnahme verpflichten und den Zugang zu den Wärmenetzen verbessern, so Rabe.

„Was soll es bringen, wenn Rechenzentrenbetreiber ihre Datacenter kostenintensiv perfekt auf Abwärmegewinnung umrüsten, und dann niemand da ist, um die gewonnene Abwärme auch abzunehmen und dem Markt zur Verfügung zu stellen?“

Die German Datacenter Association weist deshalb darauf hin, dass ein gemeinsamer Ansatz von Rechenzentren, IT-Branche, Energieversorgern und der Politik nötig ist, um das Potenzial der Abwärmenutzung zu heben und den Energiemarkt dadurch sogar zu entlasten.

Wie geht es der Branche?

Bei aller Sorge bleibt die Stimmung in der Digitalwirtschaft derzeit trotzdem überraschend robust, wie der Bitkom-Ifo-Digitalindex herausgefunden hat. Im Oktober lag die Einschätzung der aktuellen Geschäftslagen mit 34,9 Punkten etwas über der im September. Allerdings sind die Geschäftserwartungen für die kommenden Monate seit Anfang des Jahres weiter massiv gesunken. Das Geschäftsklima der Digitalbranche bleibt in der Summe somit stabil und leicht im positiven Bereich.

Ob das auch im anstehenden Winter noch so sein wird, hängt sicherlich entscheidend davon ab, inwiefern die befürchteten Szenarien der weiter steigenden Energiepreise und Stromengpässe tatsächlich eintreten – oder durch gesamtgesellschaftliche Maßnahmen und Einsparungen abgewendet werden können. Die Digitalbranche wird hoffentlich ihren Beitrag dazu leisten.

 

Mehr Informationen:

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