#BTW21: Digitale Bildungs- und Beteiligungsformate zur Bundestagswahl

Foto: Fotolia / Maksim Kabakou
Foto: Fotolia / Maksim Kabakou
Veröffentlicht am 23.07.2021

Auch ohne Corona haben sich die politische Beteiligung und der politische Dialog immer stärker in das Netz verlagert. Was gibt es für digitale Möglichkeiten, sich vor der Wahl auszutauschen und zu informieren? 

Der Wahlkampf ist normalerweise eine Zeit der Begegnung. Neben den Ständen und Veranstaltungen der Parteien sind kurz vor einer Bundestagswahl auch die Institutionen der politischen Bildung und die Zivilgesellschaft sehr aktiv und versuchen, in der Gunst der Stunde ein nachhaltiges Interesse für politische Debatten aufzubauen. Doch was passiert, wenn Workshops und Austauschformate vor Ort im Spätsommer aufgrund der Corona-Pandemie nur schwer umzusetzen sind? Im Vorfeld der Wahl stellen wir hier vier digitale Tools vor, die 2021 und auch darüber hinaus eine wichtige Rolle für den Austausch zwischen den Bürger:innen und der Politik spielen werden.

„Old but gold“: Der Wahl-O-Mat und abgeordnetenwatch.de

Der Klassiker der digitalen Bildungs- und Beteiligungsformate vor Wahlen ist der Wahl-O-Mat, der von der Bundeszentrale für politische Bildung seit der Bundestagswahl 2002 angeboten wird. Eine Redaktion – bestehend aus Jung- und Erstwähler:innen, Wissenschaftler:innen und Expert:innen aus der politischen Bildung – berät und erstellt Thesen, die den zur Wahl zugelassenen Parteien zugeschickt werden. Daraus werden 38 Thesen ausgewählt und im Wahl-O-Mat veröffentlicht. Bei der Nutzung des Tools können Bürger:innen den Thesen zustimmen, sie ablehnen, als neutral markieren oder überspringen. In der Auswertung wird angezeigt, welche Partei den eigenen Ansichten nahesteht und wie die Parteien ihre Antworten begründen. Eine Wahlempfehlung will der Wahl-O-Mat nach eigener Darstellung explizit nicht sein.

Im Jahr 2017 wurde der Wahl-O-Mat bis zum Wahltag 15,7 Millionen Mal genutzt. Der anhaltende Erfolg des Formats hat unter anderem dazu geführt, dass einige NGOs einen eigenen Digital-O-Mat zu netzpolitischen Themen aufgelegt haben. Für die anstehende Bundestagswahl gibt es aktuell zum Beispiel eine entsprechende digitalpolitische Entscheidungshilfe von Bitkom.

Logo: abgeordnetenwatch.de

Seit 2005 kann man zudem über die Plattform abgeordnetenwatch.de in Kontakt mit Politiker:innen treten und ihnen Fragen stellen. Vor der Wahl liegt der Fokus hier vor allem auf den Direktkandidat:innen, nach der Wahl können alle gewählten Abgeordneten befragt werden – nicht nur aus dem Bundestag, sondern auch aus den Landtagen und dem Europaparlament. Alle Fragen und Antworten werden von einem Moderationsteam gelesen und einzeln freigeschaltet, um Hate Speech oder Massenmails zu verhindern. Ergänzt wird die Online-Plattform durch eigene Recherche-Projekte zu den Themen Nebentätigkeiten, Parteispenden und Lobbyismus.

Betrieben wird das Portal vom gemeinnützigen Verein Parlamentwatch e.V., der seine Arbeit zum großen Teil aus Spenden und Fördermitgliedschaften finanziert. Zur Bundestagswahl 2017 wurden über 9.000 Fragen an Kandidierende gestellt; monatlich informieren sich etwa 200.000 Menschen auf abgeordnetenwatch.de.

Grafik: abgeordnetenwatch.de

„New kids on the block“: Diskutier Mit Mir und Plurapolit

Das Social Startup Diskutier Mit Mir verfolgt seit 2017 mit der gleichnamigen App einen anderen Ansatz: Hier werden Menschen, die politisch unterschiedlich denken, in geschützte, anonyme und schriftliche Eins-zu-Eins-Chats gebracht. Zuvor müssen bis zu fünf Fragen beantwortet werden, ein Algorithmus übernimmt dann das „Matching“ der User. Jedes Gespräch beginnt mit einem kontroversen Thema. Sollte der Austausch ins Stocken geraten, kann man sich weitere Themen vorschlagen lassen. Wer möchte, kann im Profil zusätzlich angeben, welcher Partei man nahe steht. Durch die Eins-zu-Eins-Situation, die Anonymität und die Möglichkeit, Chats mit einem Klick zu beenden, laufen Trolle ins Leere. So mussten vor der Bundestagswahl 2017 bei 20.000 Gesprächen nur drei Nutzer:innen gesperrt werden. In das Superwahljahr 2021 startete die App mit einem neuen Look und Zusatzfunktionen wie passwortgeschützten Community-Channels für andere Organisationen.

Logo: PluraPolit

Beim gemeinnützigen Unternehmen PluraPolit gibt es seit 2020 hingegen Politik auf die Ohren. Das Team stellt Fragen zu aktuellen politischen Themen, die von Politiker:innen aller Parteien sowie von Expert:innen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft mit kurzen Sprachnachrichten beantwortet werden. Die Nutzer erhalten dadurch einen Rundumblick auf kontroverse Themen und können ihre Meinung mit einer Kommentarfunktion selbst einbringen. Die Sprachnachrichten können direkt auf der Website oder – thematisch kuratiert – als Podcast-Folgen abgerufen werden.

Themen und Trends

Bei der Entwicklung neuer Angebote greifen die, häufig relativ jungen, Gründer:innen von Social Startups bekannte und gelernte Formate wie Thesen-Sets oder Frage-Antwort-Schemata auf und ergänzen sie mit aktuellen Trends der digitalen Kommunikation. So ist die App von Diskutier Mit Mir eine Reaktion auf die sogenannte Messengerisierung von privater und politischer Kommunikation beziehungsweise auf die allgemein gestiegene Beliebtheit von Messengern als soziale Netzwerke. Plurapolit geht noch einen Schritt weiter und bedient mit seinen Sprachnachrichten konsequent den Trend zu mehr Audio-Content und Podcasts bei jungen Zielgruppen.

Egal, ob etabliertes Tool oder Newcomer – eine Sache eint alle Angebote: Im Mittelpunkt stehen die wichtigen gesellschaftlichen Fragen unserer Zeit, ob nun Klimawandel, gesellschaftliche Polarisierung oder Digitalisierung. Es ist ein zentrales Anliegen der digitalen Bildungs- und Beteiligungsformate, den Diskurs zu gesellschaftlichen Fragen zu fördern. Die Formate legen hierbei Wert darauf, alle Parteien und Meinungen abzubilden und das eigene Vorgehen transparent zu machen.

Foto: Pixabay User TheAngryTeddy | CC0 1.0 | Ausschnitt bearbeitet

Hybride Formate als Bereicherung

Aber „wahre Begegnung kann es doch nur im echten Leben geben“, „die Trennung von digitalen und analogen Räumen ist künstlich“ oder „die Menschen haben genug von digitalen Tools“: Wer digitale Bildungs- und Beteiligungsformate anbietet, bekommt häufig verschiedene Einwände zu hören. 

Um solchen Vorbehalten zu begegnen, setzen viele Anbieter von digitalen Angeboten gerade jetzt auf hybride Formate: Schon lange gibt es für etablierte Tools wie den Wahl-O-Mat analoge Begleitmaterialien für den Schulunterricht und eigene Veranstaltungsformate. Auch hier nehmen Newcomer wie Diskutier Mit Mir Anleihen, zum Beispiel mit der hybriden Ausstellung Re: Present, die an 20 ländlich geprägten Stationen Halt macht. Das Besondere: Die Inhalte der Ausstellung, die zum Diskurs über Gerechtigkeit und Zukunft einladen sollen, werden konsequent in das Digitale gespiegelt.

Mit einem hybriden Vorgehen kann zudem einfacher auf sich schnell verändernde Rahmenbedingungen reagiert werden: Wenn persönliche Treffen wieder ohne Einschränkungen möglich sind, legt man einen größeren Schwerpunkt auf sie. Wenn es Beschränkungen im analogen Leben gibt, erhöht sich der digitale Anteil der Projekte. Denn eines ist klar: Begegnung, Diskussionsanregungen und Beteiligung sind elementar für die Willensbildung vor einer Bundestagswahl. Egal, ob analog, digital oder hybrid.

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