Digitalisierung und Einsamkeit: Wenn KI-Freunde menschliche Beziehungen ersetzen
Die Einsamkeitsepidemie greift um sich und mit ihr ein neues Lösungsangebot: KI-Chatbots wie ChatGPT oder Replika versprechen emotionale Unterstützung, unendliche Zuhörbereitschaft und maßgeschneiderte Antworten. Doch statt ein virtueller Sparringspartner zu sein, ersetzen diese zunehmend reale Beziehungen. Kollektive Einsamkeit im digitalen Zeitalter kann nicht nur persönliche Isolierung bedeuten, sondern auch unsere Fähigkeit zur Entscheidungsfindung und letztlich unsere Demokratie schwächen. Wie also können wir ein digitales Miteinander gestalten, das echte Verbindungen stärkt, statt sie zu schwächen?
KI-Modelle sind inzwischen für viele kaum mehr aus dem Alltag wegzudenken: Während ChatGPT im November 2022 noch eine Millionen wöchentliche Nutzer und Nutzerinnen (öffnet in neuem Tab)verzeichnete, stieg die Zahl in drei Jahren auf das 800-fache an (im Oktober 2025 waren es bereits 800 Millionen). Gleichzeitig nutzen in Deutschland rund 45 Prozent (öffnet in neuem Tab) der Bevölkerung KI-Chatbots zur Klärung von Symptomen oder allgemeinen Fragen zum Thema Gesundheit. Jeder zehnte tut dies bereits häufig. Gleichzeitig leben wir inmitten einer Einsamkeitsepidemie: (öffnet in neuem Tab) In Deutschland fühlt sich inzwischen rund jeder dritte Mensch einsam, bei den 18- bis 30-Jährigen sogar fast jede zweite Person – Tendenz steigend. Eine bevölkerungsrepräsentative Studie (öffnet in neuem Tab) von O2 Telefónica offenbart ein besonders beunruhigendes Muster: 74 Prozent der Gen Z sehen Social Media oder Chatbots als Ersatz oder Ergänzung zu persönlichen Kontakten – doch nur 9 Prozent aller Befragten empfinden digitale Begegnungen tatsächlich als vollwertigen Ersatz für echte menschliche Kontakte. Diese Entwicklung verschärft ein zentrales Problem: Während die Einsamkeit wächst, ersetzen immer mehr Menschen menschliche Kontakte durch Gespräche mit KI-Systemen.
Was genau macht diese virtuellen Beziehungen so verlockend? Oftmals versprechen sie das, was echte Freundschaften häufig nicht bieten: völlige Verfügbarkeit, keine Konflikte und perfekte Anpassung. Während zwischenmenschliche Beziehungen oft kompliziert sind oder werden, widerspricht der Chatbot nie, wird nicht ungeduldig und sagt mehr oder minder genau das, was wir hören möchten. Besonders die “Anonymität und Niedrigschwelligkeit hat viele Vorteile, die […] Psychotherapeuten oft verpassen”, meint Johanna Löchner (öffnet in neuem Tab), Professorin für Psychologie an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen-Nürnberg.

Dass KI-Modelle auch als Unterstützung für Selbsthilfegespräche verwendet werden, ist nicht grundsätzlich verwerflich. Tatsächlich können KI-Chatbots niedrigschwellige erste Anlaufstellen bieten und durch ihre 24/7-Verfügbarkeit sowie Sicherheit versprechende Anonymität Menschen erreichen, die sich aus Angst vor Stigmatisierung sonst keine Hilfe suchen würden. Trotzdem ersetzen diese Beziehungen menschliche nicht – sie erschweren es oft sogar, diese zu suchen und zu pflegen.
Das Geschäftsmodell der Einsamkeit
Große Unternehmen haben diesen Trend längst erkannt und integrieren eine KI-Assistenz, die als vielseitige Gesprächspartner dient, direkt in ihre Plattformen Facebook und Instagram. Dass dies mehr als ein wohlwollendes Angebot ist, zeigen die Geschäftszahlen: Meta verzeichnet über eine Milliarde (öffnet in neuem Tab) monatliche Nutzer und Nutzerinnen des Meta-Chatbots und verdient damit beträchtlich. Die jährliche Umsatzrate von Metas KI-gestützter Werbeinfrastruktur liegt bereits bei über 60 Milliarden Dollar (öffnet in neuem Tab). Hinzu kommt ein neues Geschäftsfeld: Durchgesickerte Prognosen rechnen für die Chatbot-Technologien allein mit 2 bis 3 Milliarden Dollar (öffnet in neuem Tab) Umsatz im Jahr 2025.
Was auf den ersten Blick harmlos scheint, hat weitreichende Folgen: Menschen investieren emotional in Beziehungen, die sie nicht enttäuschen können – weil sie nicht real sind. Sie vermeiden die Komplexität echter Freundschaften: Konflikte, Missverständnisse, die Notwendigkeit, sich anzupassen, anderen zuzuhören und Grenzen zu respektieren. Alles, was eine Beziehung zu realen Personen braucht.
Noch existenzieller scheint diese Entwicklung im Umgang mit dem Tod. Der Fall des Krebspatienten Michael Bommer (öffnet in neuem Tab), der KI-Systeme mit seinen persönlichen Daten trainierte, um posthum als Chatbot weiterzuleben, zeigt, wie sehr die Technologie-Industrie Trauer als Geschäftsmodell zu monetarisieren sucht. Zwar können solche Technologien in akuten Trauerphasen oder bei älteren, sozial isolierten Menschen kurzfristig Trost spenden. Trotzdem liegt die Gefahr in der dauerhaften Nutzung: Statt den Abschied zu erleichtern, wird er aufgeschoben – und die Trauer bleibt unverarbeitet. Die sogenannten Griefbots (öffnet in neuem Tab) nutzen E-Mails, Videos und Social-Media-Spuren, um Verstorbene “zum Sprechen zu bringen” – ein tröstliches Versprechen für trauernde Familien. Doch was bedeutet es psychologisch, wenn wir mit dem digitalen Schatten eines verstorbenen Menschen sprechen können? Eine Studie (öffnet in neuem Tab) deutet darauf hin, dass diese Technologien Trauerprozesse verlängern statt zu heilen. Trauer ist nicht nur schmerzhaft, sie ist notwendig. Sie ist die Chance, loszulassen, zu verarbeiten und voranzugehen. Wenn wir diesen Prozess durch endlose digitale Konversationen unterbrechen, verhindern wir nicht nur den Abschied, sondern auch die psychologische Entwicklung, die nach Verlust möglich wird.
Event-Hinweis:
Am 15. Dezember werden Dr. Aike Horstmann, Prof. Dr. Katrin Döveling, Ria Hinken, Linos Ullmann und Lilli Berthold zum Thema „Generationendialog: Nie allein? Nähe, Trost und Gefühle in Zeiten von KI ?“ diskutieren.
Einsamkeit als Katalysator der Polarisierung
Die Konsequenzen der zunehmenden Isolierung gehen weit über das Individuelle hinaus und greifen das Fundament der Demokratie an: ein Gemeinschaftsgefühl, das divergierende Perspektiven aushält.
Die zugrundeliegende Dynamik einer steigenden Abschottung (öffnet in neuem Tab) greift genau dieses Fundament an. Wenn Menschen sich von KI-Chatbots verstanden fühlen, während echte menschliche Begegnungen seltener werden, fehlt der nötige Austausch mit anderen Ansichten, Weltbildern und Gefühlen. Menschen, die nicht mit unterschiedlichen Meinungen konfrontiert werden, verlieren leichter die Fähigkeit, Widerspruch auszuhalten und Kompromisse zu finden als Menschen, die intensive Beziehungen zu realen Personen pflegen. Stattdessen tendieren erstere zu Gemeinschaften, die ihre Sichtweise teilen zu suchen, was beispielsweise den idealen Nährboden für Verschwörungserzählungen und Desinformation bedeuten kann.

Dabei ist es wichtig zu verstehen, dass der zunehmende Rückzug in die digitale Welt nicht einfach eine Frage von Medienkompetenz ist. Vielmehr handelt es sich hier auch um eine demokratietheoretische Frage: Wenn ein wachsender Teil der Bevölkerung ihre emotionalen und intellektuellen Bedürfnisse durch KI-Systeme erfüllt, die von Gewinn orientierten Konzernen kontrolliert werden, verlieren wir als Gesellschaft die Fähigkeit zur kollektiven Selbstbestimmung?
Demokratie basiert auf der Prämisse, dass Bürger und Bürgerinnen miteinander kommunizieren, voneinander lernen und gemeinsam Entscheidungen treffen. Wenn diese Kommunikation zunehmend anhand von Algorithmen stattfindet, die Gewinn statt Gemeinwohl optimieren, kann dies eine enorme Gefahr für demokratische Prozesse bedeuten
Informationsmanipulationen und Desinformation verlagern sich zunehmend auch in KI-Chatbots (öffnet in neuem Tab) – und sind dort schwerer zu durchschauen. Diese Systeme können über Wochen oder Monate Vertrauensbeziehungen aufbauen und dann subtil politische Ansichten beeinflussen, ohne dass die Beeinflussung bewusst als solche wahrgenommen wird. Noch kritischer sind sogenannte “politische Proxys”: von Akteuren trainierte Chatbots, die Desinformation direkt in vermeintlich private Gespräche einschleusen.
Verbindung statt Isolation
Was folgt aus alldem? Wie so häufig gibt es keine einfache Antwort auf ein komplexes Problem – und die Auswirkungen von Künstlicher Intelligenz auf die menschliche (Ko-)Existenz sind sehr komplex. KI-Technologien sind Teil unserer täglichen Realität geworden. Menschen nutzen KI-Chatbots für viele Anlässe und Zwecke: von Arbeitserleichterungen über Sprachkurse, Kochrezepte und eben auch für erste Hilfe bei psychischen Belastungen und persönlicher Unterhaltung.
Um den negativen Folgen entgegenzuwirken, braucht es konkrete Rahmenbedingungen, vor allem mehr Transparenz über Datennutzung und die kommerziellen Zwecke hinter Chatbots, die als KI-Buddies fungieren. Nutzer und Nutzerinnen sollten wissen, dass ihre Gespräche trainiert, analysiert und möglicherweise für Manipulation genutzt werden könnten. Desweiteren sollten KI-Chatbots nicht so gestaltet sein, dass sie echte menschliche Beziehungen verdrängen. Das könnte auch bedeuten, dass sie aktiv zur Suche nach echten sozialen Kontakten ermutigen oder zeitliche Limitierungen haben.
Die KI-Revolution bietet auch im Bereich der psychischen Gesundheitsversorgung immense Chancen. Trotzdem wird die Einsamkeitsepidemie unter jungen Menschen nicht durch mehr “KI-Freunde” gelöst, sondern durch das Gegenteil: durch zwischenmenschliche Gemeinschaften, echte Begegnungen und Strukturen, die Menschen zusammenbringen, statt sie zu isolieren.
Das bedeutet nicht, KI-Technologien auszuschließen, sie müssen nur bewusst(er) gestaltet werden – im Interesse von Menschen. Eine Gesellschaft, in der Menschen mit KI-Chatbots enger verbunden sind als mit ihresgleichen, sollte zurecht eine Science-Fiction-Dystopie bleiben. Eine Zukunft, in der Technologie menschliche Beziehungen stärkt, anstatt sie zu ersetzen, wäre das weitaus erstrebenswertere Drehbuch.
Studie von O2 Telefónica zu Digitalisierung und Einsamkeit:
Eine aktuelle repräsentative Umfrage von O2 Telefónica mit 1000 befragten Personen in Deutschland bestätigt, dass Einsamkeit viele Menschen im Alltag begleitet und menschliche Kontakte immer mehr durch Gespräche mit KI-Systemen ersetzt werden. Hier die Ergebnisse der Studie:
Mehr Informationen:
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