Symbolpolitik oder Zukunftsfrage: Smartphone-Verbot in Schulen


Kaum ein anderes Thema entzweit Bildungspolitik, Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte und Eltern so sehr wie das Smartphone im Unterricht. Während einige Bundesländer Verbote verschärfen, warnen Expertinnen und Experten vor Symbolpolitik. Fakt ist: Smartphones können im Unterricht und auf dem Pausenhof stören – aber sie können zugleich, wenn sie richtig eingesetzt werden, Lernwerkzeug und eine soziale Brücke für die Schülerinnen und Schüler sein. Die entscheidende Frage lautet daher: Geht es bei der „Smartphone-Debatte“ wirklich um Ruhe im Klassenzimmer – oder um die Zukunft der digitalen Schul- und Unterrichtsentwicklung? Statt die Debatte als Entweder-oder zwischen Ruhe im Klassenzimmer und verlorenen Chancen der Digitalisierung zu führen: Wäre es nicht sinnvoller, über klare Leitplanken und den pädagogisch richtigen Einsatz zu sprechen?
Smartphones – ausschließlich störend?
Die JIM-Studie 2024 zeigt, dass mit 93 Prozent fast alle der 12- bis 19-Jährigen ein Smartphone besitzen. Bei den 6- bis 13-Jährigen ist es rund die Hälfte, wobei laut KIM-Studie 2024 über 75 Prozent ihr Gerät mit in die Schule bringen.

Klassischerweise wird das Smartphone im Unterricht mit Ablenkung in Verbindung gebracht. Und tatsächlich gaben beispielsweise in einer OECD-Studie aus dem Jahr 2024 59 Prozent an, dass sie zumindest in einigen Mathematikstunden durch andere Schüler abgelenkt wurden, die Handys, Tablets oder Laptops benutzten. Neben der Ablenkung gehen mit der Smartphone-Nutzung auch diverse Risiken einher, die in den letzten Jahren zunehmen – von Fake News bis hin zu beleidigenden Kommentaren. Schulen berichten immer häufiger von Phänomenen wie sexueller Belästigung, Cybermobbing und gruppendynamischen Konfrontationen in Chats. Hinzu kommt die Verbreitung von Desinformation: Ob über Verschwörungserzählungen, manipulierte Videos oder emotionalisierte Politikdebatten – Jugendliche sind einem stetigen Strom an oft ungeprüften Informationen und extremen politischen Ansichten ausgesetzt. Doch kann das pauschale Handyverbot in der Schule diese Phänomene aus dem Alltag der Schülerinnen und Schüler verbannen?
Ein Aspekt, der dazu noch immer wichtiger wird: Schulen sollen junge Menschen auf ein Leben in einer digitalen Gesellschaft vorbereiten, um auch mit den genannten Risiken entsprechend umgehen zu können. Medienkompetenz und der Umgang mit dem Smartphone als ständiger Begleiter können weniger als „Zusatzqualifikation“, sondern vielmehr als zentrale Schlüsselkompetenz in einer digitalisierten Welt angesehen werden. Als Werkzeuge eröffnen digitale Geräte im Bildungskontext wichtige Chancen: Die Jugend-Digital-Studie 2024 zeigt auf, dass Jugendliche zwischen 16 und 18 Jahren das Internet Jahr für Jahr grundsätzlich länger für Bildungszwecke nutzen – 2024 durchschnittlich 4,6 Stunden pro Tag. 74 Prozent der befragten Schülerinnen und Schüler einer Bitkom-Studie 2023 gaben an, durch den Einsatz digitaler Bildungsmedien im Unterricht motivierter zu sein. Und über zwei Drittel werden manchmal aufgefordert, das private Smartphone im Unterricht zu verwenden, zum Beispiel für Recherchen oder Online-Quizzes.
Damit wird das Smartphone zu einem Symbol eines Konflikts in Schulen: zwischen Ruhe und Konzentration auf der einen Seite – und digitaler Teilhabe und Zukunftsfähigkeit auf der anderen.
Föderaler Flickenteppich
Der Streit um das Smartphone weitet sich in Deutschland auf weit größere Themen aus: Bildungsgerechtigkeit, Digitalisierung und gesellschaftlicher Wertewandel. In der Parteienlandschaft ist das Smartphone-Verbot ein Symbolthema. CDU und CSU sprechen sich für strengere Regeln aus, SPD, Grüne, FDP und Linke setzen dagegen eher auf Investitionen in Ausstattung und Medienbildung.
Wie Schulen mit dem Smartphone umgehen, hängt dabei in Deutschland stark vom Standort ab. In Bayern schließt das bayerische Erziehungs- und Unterrichtsgesetz eine private Handynutzung an Grundschulen und Grundschulstufen an Förderschulen grundsätzlich aus, an weiterführenden Schulen entscheiden laut Kultusministerium die Schulen selbst. Die Regelungen für Grundschulen sollen nun jedoch bis einschließlich Klasse 7 ausgeweitet werden. Brandenburg, Bremen, Hessen, Schleswig-Holstein und Thüringen haben 2025 ihre Vorschriften verschärft und setzen verstärkt auf Verbote.
Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg geben klare Empfehlungen und verfolgen restriktive Modelle, die Ausnahmen zulassen. Niedersachsen dagegen setzt auf Eigenverantwortung der Schulen. Eine bundesweite Regelung ist nicht in Sicht. Die Kultusministerkonferenz hat ausdrücklich erklärt, keine einheitliche Linie festzulegen.
Dieser föderale Flickenteppich zeigt, wie kontrovers die Abwägung zwischen Schutz des Unterrichtsraums und digitaler Teilhabe junger Menschen ist.
Effekt von Smartphone-Verboten
Politisch wie pädagogisch wirken Verbote zunächst verlockend. Weniger Konflikte im Unterricht, weniger Ablenkung, konzentrierteres Arbeiten – das sind Argumente, die sofort einleuchten. Erste Studien, etwa aus Frankreich oder Großbritannien, bestätigen kurzfristig positive Effekte: Wo Smartphones aus dem Unterricht verbannt würden, verbessere sich die Leistung der Schülerinnen und Schüler in wichtigen Prüfungen. Und eine Studie der London School of Economics zeigt, dass Handyverbote schwächeren Schülerinnen und Schülern punktuell zugutekommen.

Doch der Blick auf die Forschung zeigt auch: Langfristig verpuffe der positive Effekt. Internationale Meta-Analysen (u. a. Campbell et al., 2024) wie auch das europäische SMART-Schools-Projekt (2025) weisen zudem nach, dass pauschale Verbote weder die Gesamt-Screentime reduzieren noch die psychische Gesundheit nachhaltig verbessern. Cybermobbing und exzessive Social-Media-Nutzung entstehen meist außerhalb der Schule – und lassen sich durch schulische Verbote kaum eindämmen.
Auch die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina fordert zwar schärfere Regeln für digitale Geräte an Schulen, betont aber, dass ein Verbot allein nicht ausreicht – vielmehr müsse Medienbildung systematisch und verbindlich in den Unterricht integriert werden.
Ungleichheit als blinder Fleck der Verbote
Besonders deutlich wird das Dilemma der Smartphone-Debatte, wenn man die Infrastruktur betrachtet. In einer Bitkom-Studie berichten 59 Prozent der Schülerinnen und Schüler, dass ihre Schulen über kein stabiles WLAN verfügen. Und wo digitale Endgeräte fehlen, sind private Smartphones oft der einzige Zugang zur digitalen Welt. Ein Verbot träfe deshalb vor allem Kinder aus weniger privilegierten Familien, die ohnehin mit schlechteren Startbedingungen ins Bildungssystem gehen. So warnt neben dem Bitkom auch der netzpolitische Thinktank D64 vor überhasteten Maßnahmen: Ein generelles Handyverbot könne auch die digitale Kluft zwischen Kindern aus einkommensstarken und einkommensschwächeren Haushalten vergrößern. Die Debatte betrifft dabei nicht nur den Gerätezugang, sondern auch Bildungsgerechtigkeit: Wo Schulen digitale Infrastruktur und Begleitung nicht sicherstellen, verlagert sich Verantwortung – und damit auch Kosten und Zeitaufwand – in die Familien, was bestehende Ungleichheiten vertieft.
Regeln statt Totalverbot
Viele Expertinnen und Experten plädieren für einen Mittelweg:. Dazu gehören handyfreie Zeiten oder Zonen, etwa in Pausen oder in der Mensa, ebenso wie das sogenannte „Off-&-Away“-Prinzip: Geräte bleiben während des Unterrichts in der Tasche – außer sie werden für bestimmte Aufgaben bewusst eingesetzt.
Entscheidend ist die Beteiligung der gesamten Schulgemeinschaft. Laut Bitkom haben bereits 94 Prozent der Schulen eigene Regeln eingeführt – meist im Dialog zwischen Lehrkräften, Schülerinnen und Schüler und Eltern. Dort, wo Regeln gemeinsam erarbeitet werden, sei die Akzeptanz höher und die Umsetzung konfliktärmer.

Mit Blick auf die Umsetzung stehen vor allem die Lehrkräfte im Fokus. Laut Lehrkräfte-Schulbarometer setzen fast zwei Drittel der Lehrkräfte zwar regelmäßig digitale Medien im Unterricht ein, sie fühlen sich aber nicht gut vorbereitet. Lehrkräfte brauchen klare Leitlinien, Fortbildungen und Rahmenbedingungen, um den Wunsch der Schülerinnen und Schüler nach mehr digitaler Bildung im Unterricht erfüllen zu können. Doch ohne systematische Fortbildungen und verlässliche digitale Infrastruktur – die häufig fehlt – drohen alle Verbots- oder Regelansätze zu scheitern.
Hier zeigt sich die eigentliche Zukunftsfrage: Medienkompetenz muss zur schulischen Querschnittsaufgabe werden. Dabei geht es nicht nur um ein separates Fach, sondern um Integration in alle Unterrichtsfächer – von kritischer Quellenanalyse in Geschichte, über den reflektierten Einsatz digitaler Tools in den Naturwissenschaften, die Vermittlung sicherer Nutzung in Politik, bis hin zu Programmierung und kreativer Medienproduktion in Informatik, Kunst oder Musik.
Von der Kontrolle zur Befähigung
Die Diskussion über das Smartphone-Verbot zeigt exemplarisch, wie schwer sich das deutsche Schulsystem mit der digitalen Transformation tut. Verbote schaffen kurzfristig Ruhe, lösen aber nicht die tiefer liegenden Herausforderungen wie beispielsweise Cybermobbing und Desinformation.
Dauerhaft tragfähig sind nur Ansätze, die digitale Infrastruktur zur Verfügung stellen, Lehrkräfte stärken und Medienkompetenz als verbindliche Grundfertigkeit in allen Fächern verankern. Damit geht es nicht nur um die Frage, ob Smartphones im Klassenzimmer stören – sondern um die zentrale Aufgabe, Kinder und Jugendliche auf eine Gesellschaft vorzubereiten, in der digitale Technologien selbstverständlich sind. Wer die Debatte jenseits von Verbot und Freibrief führt, öffnet den Blick auf pädagogische Leitplanken, Medienkompetenz und eine digitale Schulentwicklung, die Chancen nutzt, ohne Probleme zu ignorieren.
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