Diskussionskultur auf Twitter: Politik zwischen Schlagabtausch und Ausstieg

Veröffentlicht am 17.03.2023

Twitter ist berüchtigt für stark polarisierende Diskurse, die oft radikale Positionen provozieren. Auch und gerade in der Politik spielt das eine Rolle: Häufig stehen Politiker:innen selbst im Zentrum der Aufmerksamkeit. Wie gestalten sich solche Online-Debatten unter begrenzter Zeichenzahl und wie wirkt sich das auf die politische Kultur aus?

Twitter im politischen Betrieb

Tatsächlich nutzen nur ca. vier Prozent der deutschen Bevölkerung Twitter regelmäßig. Politiker:innen sind darunter aber überdurchschnittlich oft vertreten: Eine pollytix-Studie hat ergeben, dass rund 80% der aktuellen Bundestagsabgeordneten einen Twitter-Account besitzen und diesen mehr oder weniger aktiv bespielen. Die Gründe dafür sind vielfältig: Politiker:innen profitieren laut Politikberater Martin Fuchs auf mehrere Weisen von der besonderen Diskussionskultur auf Twitter. Eigene Positionen und Ideen können dort niedrigschwellig getestet und verbreitet werden – und das mit weniger Aufwand als bei einer Pressemitteilung, aber oft mit höherer Resonanz. So kann die eigene politische Kommunikation ungefiltert und in Echtzeit stattfinden – ohne Umweg über die klassischen Medien. Tatsächlich verhilft das neue journalistische Genre der Twitter-Berichterstattung zu zusätzlicher Reichweite, indem einschlägige Geschehnisse und Debatten in den traditionellen Medien aufgegriffen werden. So wird auf Twitter nicht unmittelbar die breite gesellschaftliche Masse erreicht, die Mulitplikator:innen aus Medien, Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft sorgen jedoch für eine weite Verbreitung über den Kurznachrichtendienst hinaus.

So entstehen teils einflussreiche Wechselwirkungen zwischen Politik und Gesellschaft: Ein prominentes Beispiel ist SPD-Gesundheitsminister Karl Lauterbach, der durch seine kritischen Tweets während der Covid-19-Pandemie ein breites Publikum gewann und bei der Ernennung als Gesundheitsminister auch von der davon herrührenden öffentlichen Wahrnehmung profitieren konnte. Gerade am Beispiel Lauterbach zeigt sich jedoch auch, dass Polit-Twitter kein harmonischer Raum ist: Unter Lauterbachs Tweets finden sich häufig Hassrede und Trolling, und dabei ist er bei weitem keine Ausnahme. Wie gehen Politiker:innen mit diesem Diskussionsklima um und wie positionieren sie sich selbst?

Diskussionskultur auf Twitter: Drükos und Desinformation

Dass Diskussionen auf Social Media häufig unfair geführt und zu Zwecken der Diskreditierung gezielt skandalisiert werden oder in beleidigende Richtung eskalieren, ist kein Geheimnis. Fast zwei Drittel aller Social Media-Nutzer:innen sind dort bereits Hassrede, Desinformation oder verwandten Phänomenen begegnet. Auf Twitter wird zusätzlich die Tradition der “Drükos” (Drüber-Kommentare) kritisiert: Hier werden die Tweets anderer zitiert, d.h. nicht als Antwort unter einen bestehenden Tweet, sondern als eigenen Beitrag, der das Original referenziert. So werde der originale Tweet vorgeführt und die eigene Followerschaft auf den ursprünglichen Autor aufgehetzt, sagt die Autorin Franziska Reiter in ihrem “Social Media-Knigge”. Eine faire Diskussion mit offenem Meinungsaustausch sei so nicht möglich und auch gar nicht angestrebt. Ziel sei es vielmehr, sich mit eigenen Meinungen zu profilieren und moralische Überlegenheit auszudrücken.

Politiker:innen sehen sich als Personen des öffentlichen Lebens überdurchschnittlich oft Hassrede und offensiver Kritik ausgesetzt. Hier sind die Reaktionen jedoch für die Allgemeinheit interessanter: Wer in der Politik aktiv ist oder ein politisches Amt trägt, dem werden andere Ansprüche entgegengebracht als Privatpersonen, die Twitter lediglich für persönliche Themen nutzen. Daher wäre eigentlich zu erwarten, dass Politiker:innen zwar eigene Positionen vertreten, sich dabei aber bemüht professionell und neutral geben. Gleichwohl finden sich jedoch nicht wenige Politiker:innen, die durchaus aktiv in Diskussionen einsteigen, sich klar positionieren und insbesondere bei der Verteidigung ihrer Meinungen direkt und teils grenzüberschreitend argumentieren.

Politiker-Streits auf Twitter

Ein aktuelles Beispiel für hitzige politische Diskussionskultur auf Twitter offenbart sich in den Koalitionsverhandlungen in Berlin. So äußerte sich Grünen-Politikerin Renate Künast, die selbst häufig mit grenzüberschreitenden Angriffen zu kämpfen hat,  zur Koalitionsentscheidung der SPD mit: “Niederträchtig” sei deren Sondierungspapier, “hochzerstritten” die Partei selbst. eine Kommunikation, die durchaus stilbildend auf Twitter war.

Screenshot: Twitter @RenateKuenast

Auch SPD-Politiker Michael Roth sorgte kürzlich für Twitter-Schlagzeilen. Nach einer kontroversen Aktion der “Letzten Generation” verglich er in einem – mittlerweile gelöschten – Tweet deren Vorgehen mit dem der Taliban und wurde dafür heftig kritisiert. Auch Roth verteidigte seine Position, und ähnlich wie im Fall von Künast entstand keine konstruktive Diskussion; die Fronten verhärteten sich. So unterschiedlich beide Fälle gelagert sind, die Dynamik der diskursiven Abwärtsspirale ähnelt sich. Auch Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) twittert regelmäßig und nutzt die Plattform oft, um auf Vorwürfe anderer zu reagieren. Nachdem ihre spitze Kritik an CDU-Chef Friedrich Merz Reaktionen hervorrief, die Strack-Zimmermann inhaltliche und strategische Fehler attestierten, konterte die Politikerin auf der Plattform.

Screenshot: Twitter @MAStrackZi

Diese Beispiele decken nur einen Teil der Bandbreite politischer Akteure ab, die sich aktiv an Twitter-Diskussionen beteiligen. Es wird jedoch klar: Auch Politiker:innen sind mit ihren offiziellen Accounts oft in Diskussionen involviert, die hitzig und unreflektiert geführt werden. Charakteristisch ist ein kurzer Schlagabtausch, der zu weiterer Polarisierung führt. Was man im Eifer des Gefechts gerne vergisst: Die Twitterschaft und prominente Akteure im Besonderen sind kein Abbild der Realität und spiegeln nicht zuverlässig das allgemeine Meinungsbild in Deutschland wider. Daher kann es schnell passieren, dass durch häufige Twitternutzung ein verzerrter Eindruck davon entsteht, was die deutschen Wähler:innen gerade tatsächlich beschäftigt – denn nicht jede Twitter-Diskussion bewegt auch die breite Öffentlichkeit und nicht jeder gesellschaftliche Diskurs schafft es prominent auf Twitter. Um die eigene Wahrnehmung zu schützen, entscheiden sich immer mehr Politiker:innen gegen die Twitter-”Blase”.

Twitter-Aussteiger:innen von Habeck bis Spahn

Einer der ersten Politiker:innen, die den Twitter-Ausstieg wagten, war Grünen-Politiker Robert Habeck. Bereits 2019 verließ er die Plattform, u.a. aufgrund der “spaltenden und polarisierenden” Diskussionen. Seit dem umstrittenen Twitterkauf von Elon Musk folgen Habeck immer mehr Politiker:innen in ein twitterfreies Leben. Saskia Esken resümiert die die Gründe für ihr Twitter-Aus in einem ausführlichen Zeit-Kommentar:

“Der fröhliche Diskurs mit den vielen offenen, neugierigen und respektvollen Twitter-Freundinnen und -Freunden, den ich dort einmal pflegen konnte, ist leider begraben unter einer dicken Schicht von Clickbait-getriebener Empörung, oft misogynem Hass und von Fake-Accounts und Fake News.”

Eine ähnliche Begründung nannte Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn, der Twitter bereits einen Monat zuvor aufgrund der “aggressiven Diskussionskultur” verließ. Auch Eskens Parteikollege und SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert legte kurz darauf sein Profil auf der Plattform still und nannte als Grund die verzerrte Wahrnehmung der Wirklichkeit, die durch Twitter-Diskussionen und die dort vertretenen Personen entstehe.

Twitter als politisches Instrument ist also ein zweischneidiges Schwert. Einerseits erlaubt es wie kaum eine andere Plattform Bürgernähe und niedrigschwelligen Austausch, was von vielen Politiker:innen zur Meinungsbildung und Verbreitung eigener Positionen genutzt wird. Andererseits hat sich über die Jahre eine in Teilen toxische Diskussionskultur entwickelt, und unreflektierte Twitternutzung birgt die Gefahr von Fehlwahrnehmungen und Filterblasen. Ob nun ein kompletter Social-Media-Ausstieg, der Umzug zu einer anderen Plattform wie Mastodon, das in der Folge der Twitterübernahme von Elon Musk im starken Fokus stand, oder eine selbstreflektierte Twitter-Nutzung die beste Lösung ist, lässt sich nicht allgemeingültig beantworten – ein weiteres Thema, über das sich eine weitere polarisierte Twitter-Diskussion führen ließe.

Schlagworte

Empfehlung der Redaktion