Europa Digital: Ziele, Pläne und Grundsätze für die digitale Dekade

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Veröffentlicht am 11.02.2022

Am 26. Januar hat die EU-Kommission ihre Grundsätze für die digitale Dekade vorgelegt. Was das bedeutet und wie die Europäische Union die Digitalisierung vorantreiben möchte, fassen wir hier kurz zusammen.

Die Europäische Union ist auf dem Feld der Digitalpolitik seit längerem sehr aktiv: Seien es Pläne zur Regulierung von digitalen Plattformen und Künstlicher Intelligenz oder zur Einführung einer digitalen Währung – stets gibt es etwas zu verkünden oder zwischen den EU-Akteuren auszuhandeln. Wo die Reise der Digitalisierung in Europa dabei langfristig hingehen soll, hat die EU-Kommission bereits vor fast einem Jahr deutlich gemacht, als sie im März 2021 den Beginn einer digitalen Dekade ausrief und dafür den digitalen Kompass präsentierte.

Die Ziele des digitalen Kompasses

Dieser umfasst vor allem übergeordnete Ziele, wie der digitale Wandel in Europa bis 2030 gestaltet werden soll. In vier Bereichen wurden dabei ehrgeizige Zielmarken definiert: 80 Prozent aller Erwachsenen in der EU sollen bis zum Ende des Jahrzehnts über grundlegende digitale Kompetenzen verfügen. Die digitale Infrastruktur soll sicher und nachhaltig ausgebaut werden, alle Haushalte sollen über Gigabit-Anbindung verfügen und überall mindestens 5G etabliert sein. Die Wirtschaft soll sich digital wandeln, so dass 75 Prozent der EU-Unternehmen Clouds, Künstliche Intelligenz oder Big Data nutzen. Und die öffentliche Verwaltung soll bis dahin soweit digitalisiert sein, dass 80 Prozent der EU-Bürger:innen dann eine elektronische ID nutzen und alle Zugang zu ihren Patientenakten haben.

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Wie man der Verwirklichung dieser ambitionierten Ziele für mehr als 400 Millionen Menschen näher kommen möchte, hat die EU-Kommission im September 2021 konkretisiert: Aufgrund der ungleichmäßigen digitalen Fortschritte in den EU-Mitgliedstaaten schlägt sie „einen jährlichen Mechanismus für die Zusammenarbeit“ vor, der auch als Governance-Rahmen bezeichnet wird. Dieser umfasst unter anderem ein System zur Überwachung der Fortschritte auf Basis des DESI-Index, jährliche Berichte der Kommission zum aktuellen Stand und zu empfohlenen Maßnahmen sowie Unterstützung für die Durchführung von Mehrländerprojekten. Letztere sollen auch durch eine neue rechtliche Struktur – das Konsortium für eine europäische digitale Infrastruktur (EDIC) – erleichtert werden.

Zunächst müssen allerdings zusammen mit den Mitgliedstaaten mehrjährige strategische Fahrpläne zur Erreichung der einzelnen Ziele festgelegt werden, aus denen dann jeweils nationale Digitalisierungsstrategien hervorgehen sollen. Dies wird sicherlich einige Zeit brauchen, bis daraus in den einzelnen Ländern weitere digitale Fortschritte folgen. Die Kommission gibt sich für die Überprüfung der verkündeten Ziele zumindest Zeit bis 2026, „um eine Bestandsaufnahme der technischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen“ vorzunehmen.

Digitale Rechte und Grundsätze als allgemeine Richtlinie

Zusätzlich zu den genannten Plänen und Zielen hat die EU-Kommission nun am 26. Januar den Entwurf für eine „Europäische Erklärung zu den digitalen Rechten und Grundsätzen für die digitale Dekade“ veröffentlicht. Diese Erklärung ist neben dem erwähnten Kompass die zweite Säule der digitalen Dekade und stellt gewissermaßen eine wertebasierte Richtlinie für alle künftigen politischen Maßnahmen und Gesetzesvorhaben dar. Die darin formulierten digitalen Rechte und Grundsätze ergänzen bestehende Rechte, wie die EU-Grundrechtecharta, und sollen somit die europäischen Werte auch im digitalen Raum widerspiegeln.

„Die im Rechtsrahmen der EU verankerten Rechte und Freiheiten sowie die in den Grundsätzen zum Ausdruck gebrachten europäischen Werte sollten online wie offline geachtet werden.“ (aus der Pressemitteilung der Kommission zur Europäischen Erklärung)

Das zentrale Ziel der Grundsätze ist es, dass alle Menschen in der EU den größtmöglichen Nutzen aus dem digitalen Wandel ziehen. Im Einzelnen beinhaltet die Erklärung sechs digitale Grundsätze und Rechte. Diese

  1. stellen die Menschen in den Mittelpunkt des digitalen Wandels,
  2. fördern Solidarität und Inklusion,
  3. stellen die Wahlfreiheit im Internet sicher,
  4. fördern die Teilhabe am digitalen öffentlichen Raum,
  5. erhöhen die Sicherheit, den Schutz und die Handlungskompetenz jedes Einzelnen,
  6. fördern die Nachhaltigkeit unserer digitalen Zukunft.
Grafik: © Europäische Union

Konkrete Verpflichtungen für die EU-Länder

Sollte die Erklärung in der jetzigen Form angenommen werden, verpflichten sich die EU-Staaten unter anderem dazu, „für eine hervorragende Netzanbindung für alle zu sorgen, unabhängig von ihrem Wohnort und ihrem Einkommen“. Ebenso soll allen Europäer:innen als Zugang zu öffentlichen Diensten „eine barrierefreie, sichere und vertrauenswürdige digitale Identität angeboten“ werden. Außerdem wird klar benannt, dass Unternehmen bzw. „Marktteilnehmer“, die innerhalb der EU digitale Dienste anbieten, eine soziale Verantwortung tragen – und deshalb „einen fairen und verhältnismäßigen Beitrag zu den Kosten öffentlicher Güter, Dienstleistungen und Infrastrukturen leisten“ sollen.

Die Umsetzung der Digitalgrundsätze möchte die Kommission ebenfalls jährlich in ihrem Bericht über den Stand der digitalen Dekade überprüfen und bewerten. Mithilfe einer Eurobarometer-Umfrage soll außerdem erhoben werden, wie die Bürger:innen die konkrete Umsetzung der Grundsätze in den verschiedenen Mitgliedstaaten wahrnehmen. Bevor all dies jedoch in Kraft tritt, muss der Kommissionsentwurf zunächst vom Europäischen Parlament und dem EU-Rat erörtert und gebilligt werden. Dies könnte bis zum Sommer 2022 geschehen.

Gemischte Reaktionen aus Deutschland

Das Echo auf den Entwurf fällt in der deutschen Politik derweil gemischt aus. Während der FDP-Bundestagsabgeordnete und Wirtschaftsinformatiker Mario Brandenburg die Digitalgrundsätze als „einen weiteren wichtigen Schritt hin zu einem digitalen Europa“ bezeichnet und die Bedeutung einer transparenten Datenverwendung und -verarbeitung hervorhebt, sieht die langjährige Europaabgeordnete der CSU Angelika Niebler auch ein zentrales Problem: Die vorgestellten digitalen Prinzipien und Rechte seien zwar grundsätzlich richtig, ein entscheidendes Hindernis der Digitalisierung stelle jedoch der zu langsame Ausbau der digitalen Infrastruktur dar. Ohne diese „werden die Bürgerinnen und Bürger ihre digitalen Rechte schlicht nicht nutzen können“, so Niebler.

Wesentlich deutlichere Kritik äußerte der Abgeordnete und Jurist Patrick Breyer, der für die Piratenpartei im Europäischen Parlament sitzt und der Kommission Heuchelei vorwarf:

„Man kann nicht einerseits das Recht auf vertrauliche Kommunikation predigen und gleichzeitig mit der Chatkontrolle die privaten Nachrichten aller EU-Bürger auf unseren Handys verdachtslos überwachen wollen.“

Auch andere Vorhaben der EU, wie die Vorratsdatenspeicherung oder das Nicht-Verbot von biometrischer Überwachung im öffentlichen Raum, könnten mit den geplanten Digitalgrundsätzen in Konflikt geraten. Angesichts dessen, darf man gespannt sein, inwiefern die Beratungen des Entwurfs im Parlament und im Rat die Erklärung noch verändern werden – und wie sich die formulierten Grundsätze insgesamt auf den europäischen Weg zur digitalen Dekade auswirken werden.

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