Digitalpolitischer Jahresausblick: Ein wegweisendes digitalpolitisches Jahr 2022?

Collage: unsplash User artturijalli und placeit
Collage: unsplash User artturijalli und placeit
Veröffentlicht am 04.01.2022

Mit der Bundestagswahl, ambitionierten Plänen der Ampelregierung und neuen Gesetzesvorhaben auf EU-Ebene hat das zweite Pandemiejahr 2021 viel Schwung in digitalpolitische Themen gebracht. Viele der damit verbundenen Diskussionen und Pläne sind noch nicht abgeschlossen und werfen ihre Schatten voraus auf 2022.

Im BASECAMP haben wir im vergangenen Jahr unter anderem ausführlich über das Superwahljahr, Fake News sowie neue digitalpolitische Gesichter informiert und diskutiert, wie unser Rückblick auf 2021 zeigt. Die Gelegenheit des Jahreswechsels möchten wir nutzen, um die zu erwartenden digitalpolitischen Ergebnisse, Entwicklungen und Wendungen der kommenden zwölf Monate zu beleuchten. Wird 2022 ein wegweisendes Jahr für die Digitalpolitik?

Digitalpolitik der Ampel: Neuordnung und ambitionierte Pläne

Foto: Unsplash User Jean-Louis Paulin und Pixabay User akitada31 | CC0 1.0 | Ausschnitt bearbeitet | Montage

Die neue Ampelkoalition hat die Modernisierung des Staates als ein Mittelpunkt ihres Handelns bestimmt und beschwört einen „umfassenden digitalen Aufbruch“. Dazu will sie neue Regeln festlegen, Fördertöpfe aufsetzen und hat die Behördenkompetenzen neu geordnet. So wird ein zentrales Digitalbudget eingeführt und alle Gesetze werden künftig einem Digitalisierungscheck unterzogen. Und in diesem Jahr will die Koalition auch den Aufbau eines öffentlichen Gesetzgebungsportals für mehr Transparenz anstoßen.

Allerdings ist das deutlichste Zeichen eines Aufbruchs womöglich die Neuordnung der digitalpolitischen Kompetenzen. Denn obwohl sich die FDP nicht mit ihrer Forderung nach einem Digitalministerium durchsetzen konnte, gab es bereits signifikante Verschiebungen:

Das Kanzleramt gibt seine Zuständigkeiten für die Steuerung der Digitalisierungsstrategie und den IT-Rat des Bundes zugunsten des Bundesinnenministeriums unter Ministerin Nancy Faeser (SPD) ab. Das Innenministerium wiederum gibt seine Zuständigkeit für sogenannte Smart City-Angelegenheiten an das neu geschaffene Bauministerium. Nicht zuletzt soll das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) zu einer unabhängigen und zentraleren Instanz werden. In diesem Jahr könnte sich zeigen, ob die Kompetenzverschiebungen erste Früchte tragen und Dynamik in den digitalen Aufbruch bringen können.

Absehbar ist, dass vor allem in Volker Wissings Bundesministerium für Digitales und Verkehr künftig die digitalpolitischen Fäden zusammenlaufen. Allein die Namensänderung (zuvor „Verkehr und digitale Infrastruktur“), die das „Digitale“ an den Anfang setzt, zeugt von der beabsichtigten Prioritätenverschiebung des Hauses. Vor allem übernimmt der Liberale die Zuständigkeit für Telekommunikation, die zuvor noch im Wirtschaftsministerium angesiedelt war. Das ist ein entscheidender Schritt, denn der Ausbau der digitalen Infrastruktur wird eine zentrale Aufgabe der neuen Bundesregierung sein. So will die Ampelkoalition Glasfaser und den neuesten Mobilfunkstandard flächendeckend in Stadt und Land bringen. 5G soll überall Standard werden. Ein teures, aber dringend notwendiges Unterfangen, dessen Erfolg unter anderem über die internationale Anschlussfähigkeit der deutschen Wirtschaft entscheiden wird.

Geplanter Abschluss des OZG: Die Digitalisierung der Behörden

2022 ist außerdem das Zieljahr des Onlinezugangsgesetzes (OZG): Bis zum Ende des Jahres sollen die deutschen Behörden insgesamt 575 Verwaltungsleistungen digital anbieten. Allerdings ist es zweifelhaft, ob dies tatsächlich gelingen wird. So befinden sich rund ein Viertel der angedachten OZG-Leistungen immer noch bloß in der Planungsphase.

Der eGovernment Monitor der Initiative D21 bescheinigt der Bundesrepublik außerdem, dass die Nutzung digitaler Behördenleistungen stagniert und auch die Stimmung ist getrübt: Nur 47 Prozent der Befragten zeigten sich 2021 zufrieden mit dem digitalen Angebot der Ämter, im Vorjahr waren es immerhin noch 62 Prozent. Dennoch hat das Gesetz für einen kleinen eGovernment-Boom gesorgt. Und ob es Bund und Länder schaffen, den Plänen ideal zu entsprechen oder nicht – 2022 wird es sicherlich einen Endspurt geben, um den Zielen zumindest so nah wie möglich zu kommen.

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Auch jenseits des OZG wird die Digitalisierung der Ämter in Bewegung bleiben. So plant die Ampelkoalition den Aufbau einer eigenen Cloud für die öffentliche Verwaltung. Außerdem strebt sie einen Pakt mit den Bundesländern an, um die Arbeit der Behörden digitaler und agiler zu gestalten. Neben der Behörden-Cloud wird das sicherlich auch durch andere interne digitalisierte Funktionen ermöglicht werden. Die Bundeswehr nutzt zum Beispiel bereits seit einigen Monaten einen eigenen Messenger für ihre Kommunikation und das Gleiche ist für weitere Behörden geplant. Und nicht zuletzt wird in der Privatwirtschaft an verschiedenen Varianten von App-Stores für Behörden gearbeitet. Hier darf 2022 auf Ergebnisse gehofft werden.

Umgang mit Radikalisierung auf Telegram und digitale Gewalt

Ende 2021 ist mit der Radikalisierung einiger Gruppen, die den Coronamaßnahmen kritisch gegenüberstehen oder Verschwörungserzählungen anhängen, auch die Diskussion um ein mögliches Telegram-Verbot beziehungsweise eine bessere Regulierung wieder aufgeflammt – insbesondere nach den Mordaufrufen gegen den sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU), die über den Messengerdienst verbreitet wurden.

Seit letzten Sommer ist das Justizministerium der Auffassung, dass Telegram ein soziales Medium ist und damit unter die Regulierungsvorgaben des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) fällt. Bisher hat man aber keine Handhabe gegen die Betreiber mit Sitz in Dubai gefunden. Der neue Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hat sich ebenso wie Kretschmer und Teile der SPD für ein härteres Vorgehen gegen Telegram ausgesprochen. Die Grünen plädieren hingegen für einen differenzierten Umgang.

„Wir als Staat, wir als Gesellschaft setzen die Regeln. Und wenn wir das nicht tun, sind wir selber schuld. Es gibt eine Entgrenzung, es gibt einen Missbrauch. Und den gilt es jetzt zu regulieren.“ (Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer im UdL Digital Talk zur Social Media Regulierung)

Diese Diskussion wird das politische Berlin ebenso wie die Länder also auch 2022 weiter beschäftigen. Das NetzDG soll ohnehin „grundlegend überarbeitet“ werden. Außerdem will die Koalition so bald wie möglich ein Gesetz gegen digitale Gewalt erlassen, um unter anderem rechtliche Hürden für Betroffene, z.B. Lücken bei Auskunftsrechten, abzuschaffen.

Digitale Dekade, DSA und KI: Digitalisierung als europäische Aufgabe

Im März 2021 hat die Europäische Kommission ihre Zielvorstellungen für ihr Digitalisierungsprogramm Digitale Dekade mit Zielen für 2030 präsentiert. Dabei sollen vier Kernpunkte angegangen werden:

  • Kompetenzen sollen aufgebaut werden, zum Beispiel digitale Grundkompetenzen für 80 Prozent der EU-Bevölkerung.
  • Die digitale Infrastruktur soll sicher und nachhaltig ausgebaut werden. Unter anderem soll mindestens der 5G-Standard überall etabliert werden.
  • Es soll ein digitaler Wandel in der Wirtschaft geschehen. So sollen unter anderem 75 Prozent der EU-Unternehmen Clouds, Künstliche Intelligenz oder Big Data nutzen.
  • Viertens sollen öffentliche Dienste digitalisiert werden und 80 Prozent der EU-Bürger:innen bis 2030 eine digitale ID nutzen.

Noch ist unklar, wann und in welcher Reihenfolge diese Ziele konkret angegangen werden, aber die Kommission plant, im Laufe des Jahres einen konkreteren Fahrplan im Dialog mit den Mitgliedstaaten zu erarbeiten.

Fortgeschrittener sind die Pläne für den Digital Services Act (DSA) der Europäischen Union. Das im Deutschen Digitale-Dienste-Gesetz genannte Vorhaben soll unter anderem einheitliche Regeln schaffen, nach denen Strafvollzugsbehörden in der EU bei illegalen Inhalten wie Urheberrechtsverstößen oder im Fall von strafbarer Hassrede auf Plattformen durchgreifen können. Bereits im Dezember 2020 legte die EU-Kommission einen Entwurf vor, im November 2021 folgte ein Gegenvorschlag des Europäischen Rats. Da dieser nur geringfügige Veränderungen beinhaltet, steht eine baldige Einigung im Raum.

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Foto: CC0 1.0, Pixabay User sujins. Bildname: künstliche-intelligenz | gespiegelt und zugeschnitten

Derzeit diskutiert die Kommission auch über die Regulierung Künstlicher Intelligenz (KI). Sie hatte im April einen Vorschlag gemacht, laut dem KI-Anwendungen in ein Stufensystem eingeteilt und in bestimmten Risikoklassen Auflagen erteilt würden. Die Kommission will einige Anwendungen sogar verbieten, was bei spezialisierten Unternehmen und Industrieverbänden auf Kritik stieß. Zivilgesellschaftliche Organisationen fordern hingegen noch strengere Regeln. Das Europäische Parlament und die Mitgliedstaaten beraten noch über Änderungen. Hier wird es 2022 Bewegung geben, wahrscheinlich sogar konkrete Beschlüsse.

Ein besonderes digitalpolitisches Jahr

Das neue Jahr wird also digitalpolitisch ein besonders spannendes. Viele richtungsweisende Projekte, Gesetzesvorhaben und strukturelle Veränderungen, die in den vergangenen Jahren und Monaten angestoßen wurden, werden 2022 in die Tat umgesetzt und (wahrscheinlich) Wirkung zeigen. Wird die Umgestaltung der Kompetenzen in den Bundesministerien neue Dynamik und Effizienz bringen? Werden die langsamen Mühlen der EU-Gesetzgebung effektive Regeln gegen illegales Online-Verhalten hervorbringen und KI regulieren ohne Innovationen abzuwürgen? Wie wird das Resümee zum Onlinezugangsgesetz ausfallen?

Im BASECAMP – digital und vor Ort – werden wir die digitalpolitischen Debatten und Ergebnisse wie immer kritisch, gründlich und mit spannenden Gästen diskutieren.

Mehr Informationen:

Flächendeckende Digitalisierung: UdL Digital Talk mit Michael Kretschmer und Lena-Sophie Müller
Desinformation und Psychologie: Interview mit Katharina Nocun
Neue Bundesregierung: Die Digitalisierung im Koalitionsvertrag

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