Startup-Illusion von Steven Hill: Mittelstand ist keine Krankheit

Veröffentlicht am 28.04.2017

Er hat es wieder getan. Steven Hill ist einer der schärfsten Kritiker der modernen Internet-Wirtschaft und hat ein neues Buch geschrieben. Nachdem sein Raw Deal, was auf Deutsch “Über den Tisch gezogen” bedeutet, im vergangenen Jahr schon ein weltweiter Erfolg war, stellt er am 11. Mai im Telefónica BASECAMP den Nachfolger vor: Die Startup-Illusion. Darin will er zeigen, „wie die Internet-Ökonomie unseren Sozialstaat ruiniert“. Und er beginnt damit in Berlin.

Willkommen am Flughafen Tegel“, sind die ersten Worte in seinem neuen Buch. Steven Hill beschreibt, wie schon ein kurzer Rundgang durch Terminal A zeigt, was in Deutschland seiner Meinung nach schief läuft:  Von Plakatwänden oder Bildschirmen und von den Titelblättern der Zeitschriften schallt dem kalifornischen Autor und Politikexperten dieselbe Forderung entgegen: „Deutschland muss mehr so werden wie das Silicon Valley.“ Und das findet er krank. Die Bundesrepublik „leidet am Startup-Fieber“, diagnostiziert der Experte, der seit Jahrzehnten im Silicon Valley lebt.

Steven Hill beim Digital Masterminds im Telefónica BASECAMP.
Steven Hill beim Digital Masterminds im Telefónica BASECAMP (Foto: Christian Klant)

Die Deutschen fragen sich verzweifelt, warum sie kein Facebook hervorbringen können und auch kein Google oder Apple. Sie fühlen sich „schwerfällig und langweilig“ und hoffen deshalb auf Bücher mit Versprechen wie Lean Startup, Silicon Germany oder Das 4-Stunden-Startup: Wie Sie Ihre Träume verwirklichen, ohne zu kündigen aus dem Flughafen-Shop. Daraus wollen die geplagten Exportweltmeister lernen, wie sie Heilung finden durch Disruption. Das sei momentan eines der Lieblingsworte des Silicon Valley, schreibt Steven Hill. Es steht für die Rosskur ganzer Wirtschaftsbereiche, bei der bisherige Marktteilnehmer danach tot sind oder bis zur Unkenntlichkeit verändert, weil neue Technologien sich wie Viren verbreiten.

Eingebildete Kranke: Wer muss hier eigentlich zum Arzt?

Doch die Krankheit ist nur eingebildet und der Patient ist kerngesund, glaubt Steven Hill in seiner Ode an die deutsche Wirtschaft. „Der Mittelstand ist ein Wirtschaftsmotor, der für die Art von Innovation steht, die beeindruckender ist als sämtliche Entwicklungen all der Facebooks, Googles, Amazons, Ubers und Apples zusammen“, schreibt er beispielsweise in Kapitel 5. Danach zählt er genüsslich auf, wie selbst komplett unbekannte Unternehmen aus Deutschland ganze Weltmärkte dominieren und vor allem viel mehr Jobs generieren als die Startup-Prominenz des Silicon Valley, das seine Mortalitätsrate einfach ignoriert wie Raucher die hässlichen Bildchen auf den Zigarettenschachteln.

Die Startup-Illusion auf der Website des Droemer-Knaur-Verlages.
Die Startup-Illusion auf der Website des Droemer-Knaur-Verlages.

Dass sieben von zehn Startups scheitern, ist eine ziemlich unsinnige Vergeudung von Investmentressourcen und kommt einem Hightech-Glücksspiel gleich“, lautet die Diagnose von Steven Hill. Deutschland solle nicht versuchen, das Silicon-Valley-Modell zu kopieren oder zu klonen. Stattdessen müsse es seinen eigenen digitalen Weg suchen, der Startups durchaus einschließt, aber vor allem auf dem gründet, „was Deutschland am besten kann: Planung, Umsetzung und ein hohes Maß an Präzision – alles Qualitäten, die perfekt zu den technischen Kompetenzen des Landes passen.“ An solchen Textstellen klingt er wie ein echter Fanboi.

Steven Hill: Am 11. Mai wieder im Telefónica BASECAMP.
Steven Hill: Am 11. Mai wieder im Telefónica BASECAMP (Foto: Christian Klant)

Als Gegensatz dazu zählt er die Schattenseiten des Technik-Traums aus Amerika auf: Die „vermeintliche Jobmaschine“ aus dem Internet schaffe vor allem prekäre Arbeitsverhältnisse. Junge und gut ausgebildete Startup-Mitarbeiter müssten sich als „digitalen Tagelöhner“ durchschlagen, die weder geregelte Arbeitszeiten noch Kündigungsschutz oder Urlaubsanspruch kennen.

Uber, Airbnb und andere Stars der Sharing Economy würden unsere Gesellschaft schleichend verändern und die soziale Gerechtigkeit stehe zur Disposition. Soziale Marktwirtschaft, Tarifpartnerschaft und ein hohes Maß an sozialer Sicherheit hätten Deutschland stark gemacht – und nun gehe es darum, diese Errungenschaften zu schützen.

Solche Argumente hört man selten in den aktuellen Diskussionen über die Digitalisierung. Steven Hill bürstet gegen den Strich und bringt neue Sichtweisen in die Debatte ein. Wer darüber mehr erfahren und den Autor live erleben möchte, der kommt am besten am 11. Mai ins Telefónica BASECAMP.

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