Job-Maschine oder Digitale Ausbeutung? Wie die Sharing Economy unsere Arbeitswelt herausfordert

Veröffentlicht am 03.03.2016

Sie gelten als die Stars des Silicon Valley, Millionen Menschen nutzen ihre Dienste: Der Zimmervermittler Airbnb oder der Taxidienst Uber setzen wie viele andere erfolgreiche Digitalunternehmen auf das Sharing Modell. Indem man sein Auto oder die Wohnung nebenbei mit anderen teilt, kann man etwas Geld dazuverdienen. Gleichzeitig werden Ressourcen gespart und Dinge besser genutzt. Doch was auf den ersten Blick wie ein Schritt in eine bessere Welt aussieht – „sharing is caring“ lautet das Motto der Branche – hat auch enorme Auswirkungen auf die Gesellschaft und das Arbeitsleben. Einer der bekanntesten Kritiker der Sharing Economy, der US-Buchautor Steven Hill, war zu Gast im Telefónica BASECAMP in Berlin. Sein Fazit: „Es liegt an uns als Gesellschaft, dass die Technologie einen positive Rolle spielt.“

Technologie muss der Gesellschaft nutzen

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Steven Hill (li.) mit dem Journalisten und WIRED-Autor Lars Gaede (re.)
In der Reihe Digital Masterminds, die diesmal in Kooperation mit der American Academy in Berlin stattfand, diskutierte Hill mit dem Journalisten und WIRED-Autor Lars Gaede über die immer schnellere Veränderung der Arbeitswelt durch neue Technologien. Dabei macht Hill gleich zu Beginn klar, dass er kein Gegner des technologischen Fortschritts ist. Die digitale Transformation und die daraus entstehenden neuen Geschäftsmodelle brächten viele Vorteile im Alltag der Menschen. Allerdings, so die deutliche Mahnung Hills, gehe mit den neuen Technologien oft auch eine „deutliche Verschlechterung der Arbeitsbedingungen“ einher. Hill spricht von einer „freelance society“ – einer Gesellschaft von Kleinstunternehmern und Scheinselbstständigen.

Viele Selbstständige verdienen weniger als den Mindestlohn

Beispiel Uber: Als weltgrößtes Taxi-Unternehmen hat Uber weder eigene Fahrer noch Autos. Die eigentliche Dienstleistung wird von formal selbstständigen Unternehmern erbracht, die von Uber nur vermittelt werden. Der Vorteil liege allein bei dem Unternehmen, das sich durch dieses Geschäftsmodell Sozialabgaben spart und die Löhne drücken kann, so Hill. Viele Uber-Fahrer würden deshalb „weniger als den Mindestlohn“ verdienen. Wenn es zu einem Unfall komme, schiebe das Unternehmen jegliche Verantwortung von sich. Dabei ist Uber nach Ansicht von Hill nur ein Beispiel von vielen. Der Trend, Mitarbeiter nur noch als „Contractor“ zu beschäftigen, ziehe sich durch die gesamte Wirtschaft und werde von den Digitalfirmen perfektioniert. In seinem neuen Buch, mit dem er eine Debatte in den USA angestoßen hat, kommt Hill zu einem klaren Urteil: „Raw Deal“ lautet der Titel – auf Deutsch etwa: „Über den Tisch gezogen“.

Was passiert, wenn Algorithmen Menschen ersetzen?

TelefonicaDigitalMasterminds-0203-6743-1280x720Kritisch sieht Hill auch die Entwicklungen in der Robotertechnologie und bei künstlicher Intelligenz. Das erklärte Ziel vieler Silicon Valley-Unternehmer sei, möglichst wenig Mitarbeiter zu beschäftigen. „Sie brüsten sich damit, Menschen durch Algorithmen zu ersetzen“, kritisiert Hill. Im Gegensatz zu früheren Technologiesprüngen, als beispielsweise Maschinen Einzug in die Landwirtschaft erhielten und Millionen Bauern überflüssig wurden, gibt es nach Ansicht von Hill für die Mittelschicht in den USA heute kaum noch Jobalternativen. Eine Entwicklung, die sich seiner Meinung nach weiter verschärfen wird. 1,6 Millionen Amerikaner arbeiten heute als Lastwagenfahrer, rechnet Hill vor. Was passiert mit den Menschen und ihren Arbeitsplätzen, wenn es künftig selbstfahrende LKWs gibt?

Vorbild Deutschland?

Trotz aller Mahnungen waren sich der Gast und Moderator Lars Gaede einig, dass nicht der technologische Fortschritt das Problem ist, sondern wie eine Gesellschaft damit umgeht. „Darf man eine Technologie verbieten, weil sie Arbeitsplätze zerstört“, stellte Hill als Frage in den Raum. Für ihn liegt die Lösung eher in einer staatlichen Steuerung im Sinne des Gemeinwohls. Als soziale Marktwirtschaft mit starken Gewerkschaften und einem dichten sozialen Netz könne Deutschland ein Vorbild für den fairen Einsatz neuer Technologien sein, erklärte Hill. Und auch jeder einzelne habe Verantwortung, ob oder wie er die Dienste der Sharing Economy nutzt: „Der erste Schritt ist, dass die Kunden aufgeklärt werden.“

Update: Zur Video-Zusammenfassung der Veranstaltung

Fotos:
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Fotos: Christian Klant

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