EU-Rechnungshof: Zweifel am deutschen Weg zum Breitbandausbau

Foto: CC BY-SA 2.0 Flickr User Mehr Demokratie. Bildname: EU-Parlament reformiert EU-Bürgerinitiative. Ausschnitt bearbeitet.
Veröffentlicht am 14.06.2018
Foto: CC BY-SA 2.0 Flickr User Mehr Demokratie. Bildname: EU-Parlament reformiert EU-Bürgerinitiative. Ausschnitt bearbeitet.

In Brüssel und Berlin gibt es Fortschritte bei der Neuausrich­tung des Breitbandausbaus. In der Nacht zum 6. Juni einig­ten sich Vertreter von Europäischem Parlament und Rat über den European Communication Code. Das Bundesverkehrs­ministerium (BMVI) hat die Bundesländer um Stellungnah­men zu Änderungen bei der Förderpraxis gebeten. Sie sollen schon ab Mitte Juli umgesetzt werden. Der Geschäftsführer des Breitbandbüros des Bundes, Tim Brauckmüller, stellte beim Sommerfest des Bundesverbandes Glasfaseranschluss (Buglas) am 5. Juni in Norderstedt die Elemente vor:

•  Upgrade-Funktion. Die Förderung für geplante FTTC-Vor­haben, also im wesentlichen Vectoring, kann auf FTTB (Fiber-to-the-building). „Wir werden unsere 50 Prozent dann bezahlen und viele Länder haben bereits signali­siert, dass sie die Eigenanteile der Kommunen überneh­men wollen“, sagte Brauckmüller.

•  Das Markterkundungsverfahren soll von vier Wochen auf acht Wochen verlängert werden, um den Unternehmen mehr Zeit für eine Reaktion zu geben.

•  Mehrere Unterlagen werden im Antragsverfahren nicht mehr benötigt, durch den Wegfall des Scoring und weil keine Wirtschaftlichkeitsuntersuchung mehr verlangt wird. „Die Idee ist, dass der Antrag komplett ohne Bera­ter gestellt werden kann. Die Beratungsförderung bleibt jedoch erhalten, um den Kommunen eine Hilfestellung für die Umsetzung der Projekte zur Verfügung zu stellen“, erklärte Brauckmüller.

•  Die Förderung von Gewerbegebieten erfolgt ohne Auf­greifschwelle.

•  Für Schulen und Krankenhäuser können auch Einzelanschlüsse beantragt werden.

Gefördert werden soll grundsätzlich nur noch Gigabit/s. Brauckmüller sagte zu Beginn seiner Rede den Satz „es wird definitiv kein Vectoring mehr gefördert“ – und bekam dafür Zwischenapplaus von den Teilnehmern der Buglas-Tagung. Damit gab er die offizielle Haltung der neuen Bundesregie­rung wieder. Zu der Streitfrage aus dem Bundestagswahlkampf, was denn eigentlich flächendeckender Breitbandaus­bau bedeutet, nahm er auch Stellung:

„Für mich sind 100 Prozent 100 Prozent und nicht 95 Prozent.“

Die jetzt angekündigten Änderungen am Bundesförderpro­gramm seinen nur ein erster Schritt, erklärte Brauckmüller, der auch Geschäftsführer des Beratungsunternehmens atene KOM ist. Ein kleinerer weiterer Schritt sei ein Konsultationsver­fahren für die GIS-Nebenbestimmung, der größere Schritt die Neufassung der NGN-Rahmenbedingungen. Sie soll im Sommer 2018 angegangen werden, es könnten zwischen 18 Monate und drei Jahre vergehen, bis sie in Kraft treten. Die NGN-Rahmenbedingungen müssen mit der Wettbewerbs- Generaldirektion in Brüssel abgestimmt werden.

Ziel der Neufassung ist es, auch sogenannte „graue Fle­cken“ wieder förderfähig werden zu lassen, also Gebiete, in denen schon Anschlüsse mit mindestens 30 Mbit/s verfügbar sind. Die Rolle der Kabelnetze sind dabei ein Thema, über das gerade nachgedacht wird: „Wir diskutieren im Moment darüber, was eigentlich mit den Koax-Netzen ist. Sollen wir die jetzt überbauen? Mit Förderung? Passiert im Markt in der Zwischenzeit so viel, dass das gar nicht notwendig ist? Einen Überbau wird man möglicherweise dort fordern, wo DOCSIS 3.1. nicht ausgebaut ist. Ich persönlicher gehe davon aus, dass jedenfalls dort, wo DOCSIS 3.1 bis in ein paar Jah­ren nicht ausgebaut ist, einen Glasfaserausbau geben wird“, sagte Brauckmüller.

EU-Rechnungshof kritisiert deutsche Vectoring-Strategie

Dass beträchtliche neue Anstrengungen nötig sind, damit Deutschland bei der Breitbandversorgung aufholt, bekam die Bundesregierung auch vom Europäischen Rechnungshof (ERH) bescheinigt. In einem Sonderbericht wurde der Stand des Breitbandausbaus in den EU-Mitgliedstaaten untersucht – und der deutsche Weg kritisiert. Ziel der gesamteuropäi­schen Breitbandstrategie von 2010 war es, dass alle Europäer bis 2020 mit Anschlüssen für mindestens 30 Mbit/s versorgt sind und dabei mindestens 50 Prozent aller europäischen Haushalte Breitbandverbindungen von über 100 Mbit/s auch tatsächlich nutzen. Mit seinen Ausbauplänen könne Deutsch­land das 2020-Ziel für die Grundabdeckung zwar noch errei­chen, das Nutzungsziel für 100 Mbit/s-Verträge wird Deutsch­land nach Schätzungen des ERH aber aus mehreren Gründen nicht erreichen. Wie in den meisten EU-Ländern findet der ERH außerdem die Anbindung von ländlichen Gebieten noch problematisch.

„Vectoring mag zwar ausreichen, um die Ziele der Strategie Europa 2020 zu erreichen, doch die Zielsetzungen der Gigabit-Gesellschaft für 2025, mit den geforderten Geschwindigkeiten von 1 Gbit/s werden mit dieser Technologie wahrscheinlich nicht zu verwirklichen sein“,

stellt der ERH in seinem Bericht fest. Die Regulierung der letzten Meile (virtuell entbündeltes lokales Zugangsprodukt – VULA) sei darüber hinaus proble­matisch. Die neue Bundesregierung hatte nach der Regie­rungsbildung im Frühjahr klargestellt, dass Vectoring nicht weiter gefördert werden soll. Neben der Vectoring-Förderung der letzten Legislaturperiode stellte der Rechnungshof aber noch andere Probleme fest, z.B. einen Mangel an Koordinierung bei der Nutzung der verschiedenen Finanzierungsquellen auf Bundes- und Länderebene.

Der Deutsche Landkreistag begrüßte die Einschätzung des ERH und wiederholte seine Forderungen vom April 2018, die Bundesförderung auf Glasfaser auszurichten und die Projektverantwortung auf kommunaler Ebene zu erhalten. Das BMVI erwägt wohl eine Zentralisierung.

Der vorstehende Artikel erscheint im Rahmen einer Kooperation mit dem Tagesspiegel Politikmonitoring auf UdL Digital. Sascha Klettke ist Chef vom Dienst und Analyst für Netzpolitik. Lina Rusch ist Analystin für Netzpolitik. 

UPDATE 19.06.2018: Nach aktuellen Informationen drohen jetzt neue Verzögerungen bei der Umsetzung der Breitbandförderung des Bundes mit neuen Bedingungen. Wie aus Kreisen des BMVI zu hören war, teilt das BMWi in entscheidenden Fragen nicht die eigene Auffassung zum EU-Beihilferecht. Somit ist derzeit ungeklärt, wie die Förderung von Gigabit-Anschlüssen für Gewerbegebiete, Schulen und Krankenhäuser ohne Berücksichtigung der Aufgreifschwelle umgesetzt werden kann.

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