Digitale Energiewende: Interview mit Prof. Volker Quaschning

Pressefoto Prof. Dr. Volker Quaschning: volker-quaschning.de / Cornelia Quaschning
Pressefoto Prof. Dr. Volker Quaschning: volker-quaschning.de / Cornelia Quaschning
Veröffentlicht am 02.08.2023

Mit der Digitalisierung des Energiesektors sind große Hoffnungen für die Energiewende verbunden, weshalb die Bundesregierung entsprechende gesetzliche Vorhaben verfolgt. Welche Rolle smarte Messsysteme für die Energiewende spielen können, was die Politik noch an Regeln setzen sollte und warum man die Bürger:innen auch auf den sozialen Netzwerken mit dem Thema konfrontieren sollte, haben wir mit Prof. Volker Quaschning besprochen, der als Experte zu regenerativen Energiesystemen forscht und berät.

Herr Quaschning, die Politik hat vor kurzem ein „Gesetz zum Neustart der Digitalisierung der Energiewende“ verabschiedet, das den sogenannten Rollout intelligenter Strommessgeräte stärker voranbringen soll. Wie realistisch ist die flächendeckende Installation der Smart Meter in den nächsten Jahren?

Aufgrund der vielen Millionen Stromanschlüsse hierzulande ist die Frage vor allem technischer Natur. Wir brauchen allein die entsprechende Zahl an Geräten. Dafür werden Chips benötigt, die knapp sind. Die Smart Meter müssen also erstmal hergestellt und dann eingebaut werden können. Zum Austausch der Stromzähler muss man schließlich überall Elektriker hinschicken. Das in wenigen Jahren umzusetzen, ist sicherlich eine Herausforderung, die sich bei den vielen Millionen Haushalten realistisch betrachtet hinziehen wird.

Der große Aufwand sollte aus Ihrer Sicht aber trotzdem betrieben werden?

Ja, das geht schon in die richtige Richtung, denn wir kommen mit der Energiewende jetzt in eine spannende Phase. Bislang war die Energiewende gewissermaßen eine Art Lockerungsübung. Wir haben momentan einen Anteil von 20 Prozent Erneuerbaren am Gesamtenergieaufkommen, müssen da aber in kürzester Zeit auf 100 Prozent kommen. Das heißt, wir müssen das momentane Aufkommen an Solar- und Windenergie nochmal verfünffachen. Und dann kommen wir sehr schnell in die Bereiche, wo es einerseits zeitweise viel zu viel Strom gibt und anderseits Zeiten, in den wir zu wenig haben.

Dieses Problem kann man versuchen, auf klassische Weise in den Griff zu kriegen: mit teuren Backups und zum Teil dem Verlust von überschüssigem Strom. Oder man versucht, das System intelligenter zu machen. Zum Beispiel durch Preissignale an die Endkund:innen, etwa das Elektroauto dann zu laden, wenn tagsüber sehr viel günstiger Solarstrom vorhanden ist, während es nachts wesentlich teurer wird. Damit kann man entsprechende Lastverlagerungen anreizen. Dafür braucht es aber die technischen Voraussetzungen in Form intelligenter Messgeräte. Sie können uns helfen, die Energiewende leichter und einfacher zu machen.

Also kann Smart Metering schon einen gewissen Impact haben und dazu beitragen, Energie effizienter und kostengünstiger zu nutzen sowie das Stromnetz zu entlasten? 

Definitiv. Wir können überschüssigen Strom halt entweder wegschmeißen oder für die Zeiten speichern, in denen eine Versorgungslücke besteht. Der Bau von Speichern ist allerdings sehr teuer. Im Gegensatz dazu das Laden eines Elektroautos oder das Betreiben einer Wärmepumpe mittels smarter Messgeräte auf günstige Tageszeiten zu verschieben, kostet nicht viel. Hier kann man über eine Verhaltensänderung einfach einen Teil der Speicher vermeiden und das würde das Gesamtsystem viel billiger machen. Aber dafür brauchen wir diese Intelligenz im System.

Hinzu kommt: Wir haben jetzt schon eine Million Elektroautos – die haben eine Speicherkapazität, die ist größer als die aller Pumpspeicherkraftwerke in Deutschland. Diese Kapazität steht derzeit noch ungenutzt rum. Das liegt auch daran, dass die Autos noch nicht bidirektional laden können, also aus der Batterie ins Stromnetz einspeisen können. Wenn man das technisch ermöglicht hat, müssen die Autos aber auch wissen, wann sie das machen sollen. Deshalb brauchen wir beides: die Technik zum Laden und die Intelligenz zum Steuern. 

Was sagen Sie zu den Bedenken von Wirtschaftsverbänden und Unternehmen, die in vielen Maßnahmen der Energiewende ein Risiko für das Wirtschaftswachstum sehen?

Ich denke, da sperren sich einige eher gegen Veränderungen. Bislang wurden häufig billige „dreckige“ Technologien eingesetzt, statt mehr in erneuerbare Energien zu investieren. Warum sind wir anfangs so schlecht durch die Energiekrise gekommen? Weil wir noch viel zu wenig erneuerbare Energien hatten. Unternehmen, die vergangenes Jahr bereits einen großen Anteil an Solar- und Windenergie im System sowie einen Speicher hatten, konnten sich recht entspannt zurücklehnen. Die anderen hat der Staat gerettet und durch die diversen Preisbremsen wurde es für Deutschland trotzdem teuer. 

Dahinter steht eine Mentalität – bei Unternehmen wie Bürger:innen –, dass man versucht, die Vorteile eines dreckigen, billigen Systems zu nutzen. Und wenn es mal schlecht läuft, hofft man auf den starken Staat, der tief in die Geldbörse greift, um die Folgen dieser Fehlentscheidung aufzufangen.

Doch warum hat man nicht früher noch stärker auf erneuerbare Energien gesetzt? Dies liegt an den Investitionsentscheidungen der Unternehmen, die eine Amortisationszeit von acht bis zehn Jahren für neue Energiekonzepte oft nicht mittragen, sondern in kürzerer Zeit mehr Geld verdienen möchten. Dabei wird die Risikoresilienz jedoch nicht mit eingepreist. 

Inwiefern sollte die Politik hier einen höheren CO2-Preis als Instrument in Betracht ziehen?

Foto: Pixabay User geralt | CC0 1.0 | Ausschnitt bearbeitet

Wenn die Unternehmen solche Fehlentscheidungen hinsichtlich der vorhandenen Risiken bei der Nutzung fossiler Energien treffen, muss man diese Risiken entweder mit einem entsprechenden Preis versehen, damit die Unternehmen sie in ihre Kalkulation einbeziehen. Oder man sendet klare Botschaften, dass die Unternehmen die Risiken selber tragen und beim nächsten Mal nicht gerettet werden, wenn es schief geht. Oder man schreibt die Entscheidungen gesetzlich vor. Und der Wirtschaftsstandort Deutschland wird unter solchen klaren Vorgaben nicht leiden – ganz im Gegenteil. 

Angesichts der Zeit, die uns hinsichtlich des Klimawandels noch bleibt, können wir den Leuten nicht mehr nur gut zureden, sondern da müssen die Entscheidungen jetzt kommen. Denn in spätestens 20 Jahren müssen wir komplett klimaneutral sein. Das heißt, kein Unternehmen darf mehr Kohle, Erdgas oder Erdöl verbrennen. Das muss der Standard sein. Und wenn ich das allein finanziell anreizen will, müssten wir über Preise jenseits von 200 Euro pro CO2-Tonne reden. Doch das traut sich die Politik nicht.

In welchen Bereichen sehen Sie darüber hinaus Potenziale und politischen Handlungsbedarf im Sinne der Energiewende, z.B. beim Energieeffizienzgesetz?

Es gibt Regeln, die eigentlich No-regret-Maßnahmen sind, bei denen man auf jeden Fall etwas richtig macht. Wir wissen zum Beispiel, dass wir sehr viel Solar- und Windenergie brauchen und dass sich Solarenergie auch rechnet. Deshalb wären etwa Baupflichten für Solaranlagen im Industriebereich bei Umbauten sinnvoll. Ebenso das viel diskutierte Verbot neuer Verbrennerautos oder Gasheizungen, weil wir diese Systeme nicht in der verbleibenden Zeit zu einem vernünftigen Preis klimaneutral bekommen. Theoretisch gibt es einen Weg mit Wasserstoff, aber der ist unbezahlbar.

Beim Energieeffizienzgesetz geht es im Wesentlichen darum, überhaupt darüber nachzudenken, wo man etwas einsparen kann. Das ist auch wichtig. Wir haben ja in der Energiekrise gesehen, dass die Unternehmen durchaus 10 bis 15 Prozent an Gas eingespart haben – da sind also Effizienzpotenziale vorhanden, ohne dass die Wirtschaft drastisch eingebrochen ist. Hier gesetzlich ein bisschen Druck auszuüben, diese Potenziale auch dauerhaft zu erschließen und damit die Energiewende leichter zu machen, ist aus meiner Sicht durchaus sinnvoll.

Da Sie in den sozialen Medien sehr aktiv sind: Kann Social Media einen positiven Einfluss auf das Bewusstsein für mehr Klimaschutz haben? 

Foto: CC0 1.0, Pixabay User kaboompics| Auschnitt angepasst

Die Diskussion ist bekanntermaßen sehr polarisiert. Wir haben in Deutschland die Herausforderung, dass wir sehr viel in kurzer Zeit verändern müssen: weg vom Verbrenner, weg von der Gasheizung, weniger Fleischkonsum etc. Das sind natürlich Punkte, die die Lebensstile der Menschen betreffen. Hinzu kommt oft die negative Botschaft: So wie wir es bis jetzt gemacht haben, ist es schlecht. Also wir leiden unter der Klimakrise, sind aber zugleich Opfer und Täter. Diesen Spiegel möchten sich viele jedoch nicht vorhalten lassen, reagieren aggressiv und möchten am liebsten ihre Ruhe vor dem Thema.

Das können wir uns als Gesellschaft auf Dauer aber nicht leisten und deswegen müssen wir auch in den sozialen Medien darüber diskutieren – aber ohne diese Kampagnen wie zum „Heiz-Hammer“. Die Medien und politischen Parteien sollten zudem nicht nur darüber diskutieren, was sie nicht haben wollen, sondern darüber, wie wir die Klimaschutzziele tatsächlich erreichen können. Ich glaube, wir brauchen dazu in Deutschland einen anderen Kommunikationsstil. Sonst kriegen wir die Probleme nicht gemeinsam gelöst.

Was halten Sie in der Hinsicht von den Aktionen der Letzten Generation?

Anfangs war ich sehr skeptisch, war dann aber verwundert, wie über die  Aktionen für mehr Klimaschutz diskutiert wurde. Man könnte als Gesellschaft eigentlich sehr entspannt darauf reagieren: 52 statt 51 Staus in Berlin an einem Tag, was soll’s? Aber die massiven Reaktionen zeigen, dass die Aktionen durchaus einen wunden Punkt treffen. Klar, ich darf mich nicht auf die Straße kleben. Zugleich müssen wir aber auch Klimaschutzziele und ein Klimaschutzgesetz einhalten, was nicht passiert. Zumindest wird wegen der Letzten Generation über das Thema diskutiert, wenn auch nicht so, wie wir es eigentlich bräuchten – nämlich darüber, wie wir die Klimaziele einhalten können.

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