Volker Tripp (Digitale Gesellschaft) zur Digitalen Agenda

Veröffentlicht am 10.10.2014

In Kooperation mit dem Berliner Informationsdienst haben wir vor kurzem auf UdL Digital eine neue Reihe zur Digitalen Agenda gestartet. Ziel ist es, die verschiedenen Positionen, Meinungen und Thesen zu den Inhalten der am 20. August im Bundeskabinett beschlossenen Digitalen Agenda transparent zu machen und die offene Diskussion zu ermöglichen.

Nach den Vertretern der Parteien kommt nun die Zivilgesellschaft zu Wort. Den Auftakt macht Volker Tripp, der als politischer Referent bei der Digitalen Gesellschaft tätig ist. Die Idee des Vereins ist, eine kampagnenorientierte Initiative für eine bürgerrechts- und verbraucherfreundliche Netzpolitik zu schaffen.

Welcher der sieben Maßnahmenbereiche der Digitalen Agenda ist aus Ihrer Sicht der wichtigste?
Der digitale Wandel berührt und transformiert sämtliche Bereiche der Gesellschaft. Daher wäre es falsch, ein einzelnes Segment als besonders bedeutsam hervorzuheben. Wichtig ist vielmehr ein abgestimmtes Konzept, in dem die unterschiedlichen Maßnahmen ineinander greifen und synergetisch wirken. Genau das fehlt jedoch in der Digitalen Agenda.

Wo sehen Sie die größten Schwierigkeiten in der Umsetzung der Digitalen Agenda?
Die Agenda ist eine bürokratische Kopfgeburt und bietet nur wenig konkrete Lösungsvorschläge und Konzepte. Diese sollen durch Multistakeholderprozesse erst noch gefunden werden. Richtigerweise hätten Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Wirtschaft und Parlament bereits in der Entwurfsphase beteiligt werden müssen, um eine möglichst reibungslose und konstruktive Umsetzung zu gewährleisten.

Woran messen Sie den Erfolg der gesamten Digitalen Agenda?
Die Digitale Agenda leidet im Hinblick sowohl auf ihre Erstellung als auch auf ihren Inhalt an so fundamentalen Fehlern, dass der größte Gewinn für eine digitale Gesellschaft in Deutschland darin bestünde, die Agenda zu verwerfen und unter Beteiligung aller wesentlichen Akteure in der Netzpolitik von Grund auf neu zu erarbeiten.

Welche Maßnahme fehlt Ihnen in der Digitalen Agenda?
Konkrete Maßnahmenkataloge fehlen an vielen Stellen der Agenda. Ebenso auffällig wie bedenklich ist jedoch vor allem, dass die geheimdienstliche Massenüberwachung mit keinem Wort angesprochen wird. Im Gegenteil ist sogar geplant, das Bundesamt für Verfassungsschutz aufzurüsten und seine „technische Analysefähigkeit“ zu verbessern. Die Ankündigung lässt darauf schließen, dass der Einsatz des sich dort bereits im Testbetrieb befindlichen NSA-Spähwerkzeugs XKeyScore in Deutschland legalisiert werden soll.

Was ist aus Ihrer Sicht das Ziel der Digitalen Agenda?
Das Ziel ist eher politikstrategischer als inhaltlicher Natur. Die Bundesregierung hat offenbar bemerkt, dass sie an netzpolitischen Themen nicht länger vorbeikommt und möchte nun den Eindruck vermitteln, dass sie mit einen durchdachten Fahrplan in die digitale Gesellschaft aufwartet. Tatsächlich mangelt es hinter den Kulissen noch immer konkreten Ideen für die Umsetzung und einer sinnvollen Koordination der unterschiedlichen Ressorts.

Welche Maßnahmen der Digitalen Agenda sind Ihrer Meinung nach zu unkonkret formuliert?
Konkrete Roadmaps und Operationalisierungen fehlen an zahlreichen Stellen der Agenda. Exemplarisch wird dies etwa im Bereich der Netzneutralität deutlich. So verspricht die Bundesregierung zwar, die Gewährleistung der Netzneutralität als Ziel gesetzlich zu verankern und sich auch auf europäischer Ebene dafür einzusetzen. Zugleich verschweigt sie aber, was genau sie unter Gewährleistung der Netzneutralität versteht und mit welchem Zeitplan und Maßnahmenkatalog sie dieses Ziel erreichen möchte. Ebenso wenig finden sich Ausführungen zu der Frage, wie eine Gewährleistung der Netzneutralität mit einem marktgetriebenen Breitbandausbau versöhnt werden soll.

Wie schätzen Sie den Stellenwert der Zivilgesellschaft in der Digitalen Agenda ein?
Die Zivilgesellschaft findet in der Agenda recht häufig Erwähnung, insbesondere im Zusammenhang mit Multistakeholderforen und Gesprächsrunden. Dass diese Einbindung nicht bereits in der Entwurfsphase der Agenda erfolgt ist, nährt die Vermutung, dass es der Bundesregierung vor allem darum geht, sich selbst als modern und dialogoffen zu präsentieren.

Welchen Stellenwert räumt die Digitale Agenda den digitalen Bürgerrechten ein?
Während Breitbandausbau, digitale Wirtschaft und IT-Sicherheit den größten Raum in der Agenda einnehmen, spielen digitale Bürgerrechte eher eine untergeordnete Rolle. Konzepte zum Schutz der Privatsphäre, der Telekommunikationsfreiheit und des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung vor geheimdienstlicher Massenüberwachung etwa sucht man vergebens. Die Bundesregierung ist erkennbar bestrebt, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit von diesen Fragen abzulenken und Deutschland mit rosigen Worten als künftiges digitales Wunderland zu portraitieren.

Wie beurteilen Sie den Anspruch der Digitalen Agenda, „Deutschlands Rolle als innovative und leistungsstarke Volkswirtschaft in der Europäischen Union und der Welt auszubauen“?
Die Formulierung ist typisch für den Sprachgebrauch der Agenda, der inhaltliche Schwächen mit wohlklingenden Leerformeln zu kaschieren versucht. Bisher hat Deutschland es nicht einmal geschafft, eine Rechtslage herzustellen, die es privaten Funknetzbetreibern ermöglicht, ihr WLAN für Dritte zu öffnen, ohne sich der Gefahr von Abmahnungen und Schadensersatzforderungen auszusetzen. In anderen europäischen Ländern ist das längst eine Selbstverständlichkeit.

Alle Interviews zur Digitalen Agenda im Überblick gibt es hier.

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