Hilfe, ich habe die EU gehackt!

Foto: CC BY-SA 2.0 Flickr User hackNY.org. Bildname: Hackathon. Ausschnitt bearbeitet
Veröffentlicht am 15.07.2016

Moderne Politik braucht Nerds! Selbst in der als verschlossen und technikfeindlich geltenden EU-Hauptstadt Brüssel hat man verstanden, dass man mit offenen Daten Transparenz schaffen und dem Bürger die EU ein bisschen näher bringen kann. Diplohack heißt das neue Event-Format, bei dem Software-Entwickler, Diplomaten und EU-Beamte gemeinsam mit Journalisten und interessierten Bürgern „die EU hacken“. Mit offenen Daten aus den europäischen Datenportalen entwickelten die Teams am kürzlich in einem 24-stündigen „Hackathon“ Anwendungen wie Webtools oder Apps, die Entscheidungen der EU-Institutionen veranschaulichen oder Anregungen für EU-Politik geben sollen. Das niederländische Außenministerium förderte die Diplohacks im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft in der ersten Jahreshälfte 2016.

Datenwüste Europa

Eine Idee für den Hackathon zu entwickeln, ist allerdings keine leichte Aufgabe, denn die Europäische Union und ihre Mitgliedsstaaten veröffentlichen Daten zu so ziemlich jedem Thema – vom Wetter über das Abstimmungsverhalten der Mitgliedsstaaten im Europäischen Rat bis hin zu den Strömen der EU-Gelder. Diese Daten schlummern in verschiedensten Datenportalen: Das Offene Datenportal der Europäischen Union bietet Zugang zu den veröffentlichten Daten der EU-Organe. Darunter fällt auch der eurostat-Service der EU-Kommission, der europäische Statistiken veröffentlicht. Insgesamt zählt das Portal rund 8600 individuelle Datensätze. Das Europäische Datenportal hingegen vereint die Open-Data-Portale der Mitgliedsstaaten und fasst aktuell über 450.000 Datensätze, rund ein Viertel davon stammt aus dem tschechischen Katasteramt. Verwirrung entsteht nicht nur durch die ähnliche Namensgebung der Portale – die Natur der Daten zu verstehen, um deren potenziellen Nutzen zu erkennen, ist eine Herausforderung für sich. Wer die Arbeitsweise der EU kennt, ist dabei klar im Vorteil. Wer nicht durchblickt, kann sich beim „Speed Dating“ mit den Vertretern der Datenportale über die Datensätze informieren.

Foto: CC BY-SA 2.0 Flickr User hackNY.org. Bildname: Hackathon. Ausschnitt bearbeitet

Hacking-Marathon zwischen belgischen Waffeln und Red Bull

In 24 Stunden zum erfolgreichen Pitch des Projekts – das ist dann die Aufgabe der Teilnehmenden beim eigentlichen Hackathon. Die Teams aus EU-, Software- und Storytelling-Nerds müssen ihre Idee in die Praxis umsetzen und eine Anwendung entwickeln. Das kann je nach Umfang des Projekts die ganze Nacht dauern. Wer eine Auszeit benötigt, kann auf einem der 50 Feldbetten auf der Empore des Justus-Lipsius-Gebäudes, dem Sitz des Ministerrates der EU, ein paar Stunden schlafen. Ein bisschen wie Klassenfahrt ist das. Belgische Waffeln und Red Bull stehen zur Stärkung bereit.

Erfolgreiche Projekte des Diplohacks veranschaulichen europäische Entscheidungsprozesse oder der Öffentlichkeit wenig bekannte Vorgänge. Das Gewinnerprojekt hat Daten zum Abstimmungsverhalten der Mitgliedstaaten im Ministerrat mit einem Visualisierungstool verknüpft. Durch interaktive Informationsselektion lassen sich neben Kuriositäten – Deutschland stimmt montags immer mit „Nein“ – auch echte Trends und Zusammenhänge aus den Daten lesen. Ein anderes Team visualisierte, wo die Empfänger von EU-Strukturfonds für den Ausbau erneuerbarer Energien sitzen. Damit soll die europäische Energiewende – die vielleicht gar keine gesamteuropäische ist – veranschaulicht und die Verteilung der Gelder transparenter gemacht werden. Das Projekt „refEUgo“ will Neuankömmlingen in Europa zeigen, in welchem Land sie sich aufgrund ihrer individuellen Präferenzen wohlfühlen könnten und nutzt dafür Statistiken zu den doch sehr verschiedenen Mitgliedsstaaten der EU. Wer sehr viel Wert auf Sonnenschein legt, wird in Spanien vielleicht glücklicher als in den Nordländern, so die Logik. Hinter dem Tool, das wie ein Social-Media-Quiz präsentiert wird, arbeitet ein entsprechender Algorithmus, der die verschiedenen Präferenzen auswertet.

Niederlande bringen Diplomaten und Entwickler an einen Tisch

Dass Diplomatie und Web-Development sich wunderbar ergänzen, ist für Weijer Vermeer vom niederländischen Außenministerium die wichtigste Erkenntnis aus drei Jahren Diplohacks. Bei „normalen“ Hackathons kommen „Techies“ zusammen und brüten über Datensätzen, die sie nicht ausreichend verstehen und bewerten können. Der Diplohack hingegen bringt Menschen mit komplementären Fähigkeiten zusammen. Zusätzlich zu den Diplohacks, die global zu konkreten Themen wie Menschenrechten, Mobile Healthcare und Konflikten ausgerichtet werden, hat die niederländische Ratspräsidentschaft der EU einen Online-Wettbewerb ins Leben gerufen. Gewinner beider Formate kommen im Juni in Amsterdam bei einer sogenannten „Unconference“ zusammen und küren den Gewinner. Zur Agenda der Niederländer für die sechsmonatige Präsidentschaft des Rates gehörte, die EU transparenter, offener und bürgernäher zu machen. Die sogenannte „Black Box“ der EU-Entscheidungsmaschinerie sollte geöffnet und der Nutzen von offenen Verwaltungsdaten demonstriert werden. Die Erfahrung mit Hackathons zeigt zwar, dass die entwickelten Apps und Tools „im echten Leben“ selten Erfolg haben. Weijer Vermeer hofft jedoch, dass die vielen guten Ideen der Diplohacks, die mit professioneller Social-Media-Arbeit gepusht werden, die nötige öffentliche Aufmerksamkeit erregen und Investoren anlocken.

Schlagworte

Empfehlung der Redaktion