EU-Ratspräsidentschaft: Dänemarks EU-Agenda für die nächsten sechs Monate


Ab dem 1. Juli übernimmt Dänemark für sechs Monate die EU-Ratspräsidentschaft – als zweites Land im aktuellen Trio mit Polen und Zypern. Nach der stark sicherheitspolitisch geprägten polnischen Präsidentschaft richtet sich der Blick nun auf Kopenhagen: Welche Digitalthemen will Dänemark setzen, welche Prozesse voranbringen?
Dänemark gehört zu den führenden Digitalnationen Europas und hat eine der modernsten Verwaltungsdigitalisierungen umgesetzt. Gleichzeitig prägen geopolitische Spannungen, etwa rund um Grönland, das starke Interesse des Landes an Verteidigungsthemen. Beide politischen Prägungen spiegeln sich auch in den Prioritäten der nun beginnenden sechs-monatigen Ratspräsidentschaft wieder:
Der Blick in den digitalisierten Norden
Dänemark gilt nicht nur als eines der glücklichsten Länder der Welt, sondern auch als digitaler Vorreiter. Kaum ein anderes EU-Land hat seine Verwaltung so umfassend digitalisiert. Der elektronische Ausweis ist seit 2010 Standard, Behördengänge finden fast ausschließlich online statt. Auch politische Teilhabe wird in Dänemark digital ermöglicht. Bürger:innen können online Anregungen bei Abgeordneten einreichen, wie sich der Alltag vor Ort verbessern ließe. Flankiert wird das System durch konsequente Investitionen in Cybersicherheit. Dänemark wird deshalb immer wieder als Modell für eine moderne, leistungsfähige Verwaltung genannt.
Dabei arbeitet Dänemark auch an der Verringerung seiner digitalen Abhängigkeit: Das Digitalministerium hat angekündigt, künftig schrittweise von Microsoft auf Open-Source-Software umzustellen. Bereits im Juli soll der Wechsel beginnen – ein deutliches Signal für mehr digitale Souveränität und technologische Eigenständigkeit. Seit den Spannungen mit der Trump-Regierung rund um Grönland ist das Bewusstsein in Dänemark für die Notwendigkeit digitaler Souveränität noch mal gestiegen. Auch von der nun beginnenden Ratspräsidentschaft wird daher erwartet, dass die Regierung von Mette Frederiksen diesen Schwerpunkt für die europäische Ebene setzen wird. In dieser Rolle bekommt das jeweilige Mitgliedsland zwar keine direkten Entscheidungsbefugnisse, kann aber besonders gut Themen setzen und Prioritäten mitbestimmen.
Ein umfassenden Impuls zur Stärkung der digitalen Souveränität kam zuletzt auch Ende Mai von zahlreichen europäischen Digitalexpert:innen, darunter Kai Zenner, Büroleiter des Europaabgeordneten Axel Voss. In ihrem Policy Paper „The European Way: A Blueprint for Reclaiming Our Digital Future“ fordern sie eine kohärente, wertebasierte Digitalstrategie, die Innovation, Wettbewerbsfähigkeit und demokratische Prinzipien vereint. Sechs konkrete Reformpakete sollen Europas digitale Souveränität entlang der gesamten Wertschöpfungskette stärken – von der Infrastruktur über den Binnenmarkt bis hin zur Qualifizierung digitaler Kompetenzen. Dabei verfüge die EU über alle nötigen Voraussetzungen, um digital souverän zu sein – es fehle vor allem an Koordination und Mut zu Reformen.
6 Monate dänische Ratspräsidentschaft
Der geforderte Mut zur Reform spiegelt sich im Ende Juni veröffentlichten knapp 50 Seiten starken Programm der dänischen Ratspräsidentschaft nur bedingt wider. Im Programm spielt digitale Souveränität zwar eine Rolle, wird jedoch von den Prioritäten Verteidigung und Wettbewerbsfähigkeit überlagert. Dabei ist aber klar, dass diese zwei Felder in der aktuellen geopolitischen Lage auch digital aufgeladen sind:
Wettbewerbsfähigkeit & Souveränität
Das Programm der Dänen betont die Notwendigkeit gemeinsamer und nationaler Maßnahmen, um Europas Wettbewerbsfähigkeit angesichts der wachsenden globalen Konkurrenz gezielt zu fördern. Dänemark strebt an, die “International Digital Strategy” der EU weiter voranzutreiben. Ziel dieser Strategie ist es, die Führungsrolle Europas in zentralen (digitalen) Zukunftsfeldern wie Künstlicher Intelligenz und Quantentechnologie zu stärken. Gleichzeitig setzt Dänemark auf Reformen, die bessere Rahmenbedingungen für Innovation, Investitionen und Unternehmenswachstum schaffen, etwa durch den Ausbau digitaler Kompetenzen, neue Technologien, moderne Produktionsbedingungen und gute Arbeitsplätze. Als ein Baustein dieser Agenda soll unter der dänischen Präsidentschaft auch die sogenannte European Business Wallet vorangebracht werden. Ein Vorschlag, der den Datenaustausch zwischen Unternehmen und Behörden vereinfachen soll. Darüber hinaus will Dänemark die Telekommunikationsinfrastruktur robuster und widerstandsfähiger gestalten. Damit das digitale Potenzial Europas vollständig erschlossen werden kann, ist jedoch eine Weiterentwicklung des europäischen Binnenmarkts unerlässlich.
Keine Überraschung bei Cybersecruity

Die dänische Ratspräsidentschaft plant, die jüngst beschlossenen Regelwerke zur Cybersicherheit konsequent umzusetzen und effizient zu gestalten. Dazu zählen unter anderem der Cyber Resilience Act (CRA), der Cyber Solidarity Act (CYSOL) sowie die überarbeitete NIS-2-Richtlinie. Zudem strebt Dänemark eine engere Verzahnung ziviler und militärischer Akteure im Bereich Cybersicherheit an – insbesondere im Hinblick auf das geplante EU-Koordinationszentrum für Cyberverteidigung (EUCDCC).
Damit einher geht auch der starke Fokus Dänemarks auf Verteidigung. An erster Stelle im Programm steht das Ziel, dass die EU bis 2030 in der Lage sein muss, sich selbst zu verteidigen und Verantwortung für ihre eigene sowie die euroatlantische Sicherheit zu übernehmen. Im Verteidigungsbereich setzt sich die Präsidentschaft insbesondere dafür ein, spürbare Fortschritte zu erzielen, etwa durch den Abschluss der Verhandlungen über das Europäische Programm für die Verteidigungsindustrie. Um die EU zudem besser gegen hybride Bedrohungen zu schützen, setzt die Ratspräsidentschaft auf eine intensivere Nutzung von “Hybrid-Toolbox” und auf geographisch ausgerichtete hybride Sanktionsregime. Auch die Bekämpfung hybrider Bedrohungen aus Russland soll weiter vorangetrieben werden, unter anderem durch die stärkere Einsatzfähigkeit der “Hybrid Rapid Response Teams”.
Neuer Anlauf für die Chatkontrolle
Eine wachsende Bedrohung sieht Dänemark im digitalen Raum insbesondere bei Kindern und Jugendlichen und fordert deshalb klare und harmonisierte Gesetze. Im Programm der Ratspräsidentschaft verweist die dänische Regierung auf die wachsende Bedrohung durch sexuellen Missbrauch. Nachdem Polen Ende Mai die Verhandlungen zur sogenannten Chatkontrolle abgebrochen hat, holt Dänemark das Thema nun direkt zurück auf die EU-Agenda. Dänemark gilt als klarer Befürworter der Chatkontrolle. Es überrascht daher kaum, dass mit der Übernahme der Ratspräsidentschaft neuer politischer Druck auf das Thema ausgeübt wird.
Tipp der Redaktion:
Fazit
Damit setzt das dänische Programm zwar durchaus einige digitalpolitische Schwerpunkte und Positionen, diese bewegen sich aber weitgehend im Rahmen bestehender Strategien und knüpfen durchaus an die polnische Präsidentschaft an. Mutige Reformen oder neue Impulse für eine europäische Digitalstrategie sind bisher nicht zu erkennen. Dabei besteht gerade jetzt großer Bedarf an einem ambitionierteren Vorgehen.
Dennoch bleibt die Umsetzung dieser Vorhaben im Rat immer eine Frage des Auslotens und Verhandelns zwischen den Mitgliedstaaten. Gerade bei grundlegenden Themen wie digitaler Souveränität oder Wettbewerbsfähigkeit wird Dänemark zwar Impulse setzen, muss aber im weiteren Verlauf die unterschiedlichen Interessen und Positionen der EU-Staaten zusammenbringen und Kompromisse erarbeiten.
Gerade dafür hat Ministerpräsidentin Mette Frederiksen die richtigen Voraussetzungen: Mit mittlerweile sechs Jahren im Amt ist die Sozialdemokratin nicht nur eine der erfahrensten Regierungschef:innen des Kontinents und gut vernetzt, sondern mit ihrer eher zentristischen Politik auch anknüpfungsfähig ins konservative Lager – ein Fähigkeit die im aktuellen politischen Kräfteverhältnis der EU nicht zu unterschätzen ist.
Dänemark könnte so eine konstruktive Rolle in der Moderation der Mitgliedstaaten einnehmen – und damit auch in digitalpolitischen Fragen Fortschritte ermöglichen, wo die Einigung bisher schwerfiel.
Mehr Informationen:
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