Data Debates #13: Die digitale Zivilgesellschaft als neue Form politischer Beteiligung?

Foto: Henrik Andree
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Veröffentlicht am 17.06.2019

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Sind digitale Bürgerbewegungen eine neue Kraft in Deutschland? Schafft das Netz eine neue politische Diskussionskultur? Und braucht es dafür neue Regeln? Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, lud der Tagesspiegel vergangene Woche ins Telefónica BASECAMP ein. Neben Renate Künast von den Grünen gehörten Staatssekretärin Sawsan Chebli, die Netz-Aktivisten Ali Can und Johannes Filter sowie Dr. Tobias Schmid, Direktor der Landesanstalt für Medien NRW, zur Expertenrunde.

Die vom Tagesspiegel in Kooperation mit Telefónica Deutschland durchgeführten Data Debates sind mittlerweile schon fast eine Institution im BASECAMP – in der 13. Ausgabe der Veranstaltungsreihe drehte sich diesmal alles um das Thema Digitale Zivilgesellschaft – Vom Klicktivismus zum Aktivismus? Der Austausch der digitalen Zivilgesellschaft und der Politik sei unabdingbar erklärte Iris Rothbauer, Head of Public Relations bei Telefónica Deutschland, in ihren einleitenden Worten. Das habe das im Zuge der Europawahlen veröffentlichte Rezo-Video verdeutlicht. Mit einer aus dieser Debatte resultierenden Frage eröffnete dann auch Stephan-Andreas Casdorff, Herausgeber des Tagesspiegels, die Podiumsdiskussion: „Gefährdet die Regulierung die Meinungsvielfalt im Netz?“

Verantwortung: Selbstregulierung der Plattformen oder staatliche Vorgaben?

Tobias Schmid erklärte, für ihn stelle Regulierung und Freiheit nicht zwingend ein Gegensatzpaar dar. Schließlich brauche es Regeln, um eine demokratische Mediengesellschaft zu gewährleisten. „Das betrifft auch Plattformen, die diesen Dialog ermöglichen“, erklärte er. Hier sollte es die Möglichkeit geben, ein paar Regeln zu überwachen. Die Frage, inwieweit digitale Marktplätze für den Content verantwortlich gemacht werden sollten, sei eine notwendige Grundsatzdiskussion, stimmte Renate Künast zu. Leider seien Betreiber derzeit nur verpflichtet, reaktiv auf Hinweise und Beschwerden zu reagieren.

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Ein Umstand, den auch Sawsan Chebli stark kritisierte. Der Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement und Internationales schlägt im Netz immer wieder Hass entgegen. Das wolle sie nicht einfach so hinnehmen, erklärte sie. Deshalb stelle sie 20 bis 30 Strafanzeigen pro Woche, um gegen die schlimmsten Beleidigungen und Drohungen vorzugehen. Ihren Facebook-Account habe sie deaktiviert, denn der Betreiber habe sich „so verhalten, als ob das Internet ein rechtsfreier Raum wäre“ und sei zahlreichen Löschanforderungen nicht nachgekommen. Das habe dazu geführt, dass ihre Facebook-Seite zu einem „Tummelplatz für Rechtsextremisten, Islamgegner und Anti-Semiten“ geworden sei.

Iris Rothbauer begrüßt Gäste und Publikum zu den Data Debates #13 | Foto: Henrik Andree

Meinungsfreiheit ist der Sauerstoff einer freien Gesellschaft“, unterstrich Schmid. Hier müsse jeder Mitstreiter „erstaunlich viel ertragen“. Aber es gebe Grenzen, wenn jemand etwa die Integrität einer anderen Person angreife oder zu Rassenhass aufrufe. Allerdings seien Community-Regeln zur Regulierung nicht ausreichend, da sie in der Regel keine Verbindlichkeit hätten. „Wir stecken im Netz, was den sozialen Umgang miteinander betrifft noch in den Kinderschuhen“, erklärte Ali Can, Gründer des #MeTwo und der „Hotline für Besorgte Bürger“. Er zweifle aber an der Sinnhaftigkeit, die eigentlich staatliche Verantwortlichkeit der Regulierung den Konzernen zu überlassen. Dem pflichtete Open-Data-Aktivist Johannes Filter von der Open Knowledge Foundation bei: Plattformen wie Twitter gehörten zum öffentlichen Raum und müssten durch den Staat reguliert werden.

Anonymität: Wie formieren sich digitale Bewegungen?

Die von Casdorff gestellte Frage, ob es also eine neue Art von Netiquette für einen Austausch, der nicht in der Anonymität stattfinde, brauche, verneinte Künast entschieden. „Anonymität muss analog wie digital gegeben bleiben“, sagte sie. Möglichkeiten zur Meinungsäußerung unter Pseudonym seien gerade für Aktivisten „teils bitter nötig“. Andererseits lasse sich anonym aber „nur schwer eine Bewegung organisieren“. Wer nur auf Klickaktivismus setze und den Hintern nicht „vom Sofa aus der Komfortzone herausbewegt“, werde keine echte Wucht entfalten. Sie selbst blocke Leute auf Twitter, die „mit drei Followern“ rumpöbelten, so die Bundestagsabgeordnete. Chebli sah das ähnlich: eine erfolgreiche Zivilgesellschaft funktioniere nur durch echte Menschen und Geschichten.

Renate Künast, MdB, Bündnis 90/Die Grünen | Foto: Henrik Andree

Johannes Filter hingegen stellte die Unterscheidung zwischen digitaler und analoger Bürgerbewegung in Frage. Für ihn gehöre beides zusammen und sei „die heutige Norm“. Digitale Plattformen seien in Punkto Bürgerbeteiligung auch nur ein Anfang. Daneben gebe es auch andere, ganz analoge Instrumente wie Volksentscheide. Eine digitale Bürgerbewegung gebe es ohne analogen Teil nicht, stimmte Can zu. Das Netz führe jedoch zu einer Verdichtung und einer beschleunigten Veränderung. Es sei auch nicht möglich, normale Umgangsformen gesetzlich vorzuschreiben sagte Schmid: „Es wird keine verbindliche Netiquette geben“. Der Staat könne aber gewährleisten, dass jeder an Online-Diskursen teilnehmen dürfe und gegen ungerechtfertigtes Blocken vorgehen.

Moderator Stephan-Andreas Casdorff, Ali Can, Renate Künast, Johannes Filter, Sawsan Chebli und Dr. Tobias Schmid | Foto: Henrik Andree

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