Vorratsdatenspeicherung: Das sagt die Politik zum EuGH-Urteil

Foto: Pixabay User geralt | zugeschnitten
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Veröffentlicht am 03.10.2022

Nach dem Urteil des EuGH zur Rechtswidrigkeit der deutschen Vorratsdatenspeicherung ist noch unklar, wie es mit dem netzpolitischen Dauerthema hierzulande weitergeht. Die Stimmung in den Parteien fällt unterschiedlich aus – und bei der Folgeregelung deuten sich Konflikte in der Ampelkoalition an.

Der Versuch der deutschen Politik, eine rechtssichere Regelung zur Vorratsdatenspeicherung zu finden, gleicht mittlerweile einer unendlichen Geschichte: Seit ihrer Einführung auf Basis einer EU-Richtlinie im Jahr 2008 wurden die Vorschriften zur Vorratsdatenspeicherung bereits 2010 vom Bundesverfassungsgericht und 2014 sogar die zugrundeliegende EU-Richtlinie vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) einkassiert. Ein daraufhin neu konzipiertes Gesetz aus dem Jahr 2015 wurde zwei Jahre später durch die Bundesnetzagentur faktisch ausgesetzt – wegen eines Beschlusses des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen. Mit dem aktuellen Urteil des EuGH vom 20. September 2022 kommt nun ein weiteres Kapitel zu der Geschichte hinzu.

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs

Der EuGH hat entschieden, dass die im deutschen Telekommunikationsgesetz verankerte Regelung zur anlasslosen Speicherung von IP-Adressen, Standort- und Verbindungsdaten aller Nutzer:innen europarechtswidrig ist. Dies kommt für viele Beobachter:innen nicht überraschend, da das Gericht bereits ähnliche Regelungen von anderen europäischen Ländern gekippt hat, zuletzt etwa von Irland.

„Der Gerichtshof bestätigt, dass das Unionsrecht einer allgemeinen und unterschiedslosen Vorratsspeicherung (…) entgegensteht, es sei denn, es liegt eine ernste Bedrohung für die nationale Sicherheit vor.“ (Pressemitteilung des Europäischen Gerichtshofs)

EuGH Europäischer Gerichtshof
Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg. | Foto: CC0 1.0 | Pixabay User LVER | Ausschnitt angepasst

Der EuGH benennt zugleich Voraussetzungen, unter denen eine Vorratsdatenspeicherung doch zulässig sein kann: So können die Betreiber elektronischer Kommunikationsdienste zur allgemeinen Datenspeicherung verpflichtet werden, „wenn sich der betreffende Mitgliedstaat einer als real und aktuell oder vorhersehbar einzustufenden ernsten Bedrohung für die nationale Sicherheit gegenübersieht“. Dies erfordere aber unabhängige Kontrollen durch ein Gericht oder durch eine sonstige unabhängige Stelle sowie eine Begrenzung der Datenspeicherung auf das absolut Notwendige. Unter den gleichen Bedingungen sei eine Vorratsdatenspeicherung zudem „zur Bekämpfung schwerer Kriminalität und zur Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit auf der Grundlage objektiver und nicht diskriminierender Kriterien“ möglich. Verbindungsdaten der Kommunikation dürfen künftig also nur anlassbezogen und gezielt gespeichert werden.

Was sagen die Parteien dazu?

Während das Gerichtsurteil in der Zivilgesellschaft weitgehend Zustimmung hervorrief, fielen die Reaktionen in der deutschen Politik unterschiedlich aus. Bei FDP, Grünen und Linkspartei wurde die Entscheidung begrüßt. So sprach Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) auf Twitter von einem guten Tag für die Bürgerrechte und kündigte an, die anlasslose Vorratsdatenspeicherung zügig gesetzlich zu streichen.

Klicken, um den Tweet direkt bei Twitter anzusehen.

Für die Grünen erklärten Konstantin von Notz, stellvertretender Fraktionsvorsitzender, und Helge Limburg, Sprecher für Rechtspolitik, dass die Vorratsdatenspeicherung „auf die Müllhalde der Geschichte“ gehöre und die Ampelkoalition sich darauf verständigt habe, „die Bevölkerung zukünftig nicht mehr anlasslos zu überwachen, sondern stattdessen Gefahren zielgerichtet abzuwehren“. Martina Renner, die innenpolitische Sprecherin der Linkspartei, schrieb auf Twitter: „Die anlasslose Vorratsdatenspeicherung ist und bleibt verfassungswidrig“, während Anke Domscheit-Berg vor Schlupflöcher warnte, mit denen die Bundesregierung doch noch anlasslos Daten speichern könnte.

Unklarheit bei der SPD

Weniger eindeutig positioniert sich nämlich die SPD, in der das Urteil bei einigen zwar ebenfalls positiv aufgenommen wurde, z.B. durch die Parteivorsitzende Saskia Esken oder den Bundesdatenschutzbeauftragten Ulrich Kelber. Allerdings gibt es mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser eine relevante Akteurin in der Regierungspartei, die vor allem die eröffneten Spielräume des EuGH-Richterspruchs nutzen möchte, um „das was zulässig ist, auch umzusetzen“. Und auch der digitalpolitische Sprecher der Sozialdemokraten Jens Zimmermann blieb in seiner Reaktion eher vage.

Unterstützung bekommt Faeser dabei von den Innenministern der Länder sowie aus der Union, die eine rasche Nachfolgelösung für die gekippte Vorratsdatenspeicherung anmahnt und aktuell für eine Speicherung von IP-Adressen für sechs Monate plädiert. So fordert der rechtspolitische Sprecher von CDU/CSU Günter Krings:

„Der Europäische Gerichtshof lässt dem Gesetzgeber noch die Möglichkeit, die sogenannten IP-Adressen zur Bekämpfung schwerer Kriminalität – wie Kindesmissbrauch – speichern zu lassen. Die Bundesregierung muss nun unverzüglich eine entsprechende gesetzliche Grundlage schaffen.“

Wie geht’s nach dem Urteil weiter?

Foto: CC0 1.0, Pixabay User herbinisaac | Ausschnitt angepasst

Diese Parteienkonstellation deckt sich weitgehend mit den Ergebnissen der Bundestagsabstimmung von 2015, mit der die nun obsolet gewordene Vorratsdatenspeicherung wiedereingeführt wurde (allerdings ohne die FDP, die damals nicht im Parlament vertreten war). Umso spannender werden nun die anstehenden Debatten innerhalb der Ampelregierung, die durch das Gerichtsurteil zu einer Gesetzesänderung gezwungen ist. Der Koalitionsvertrag bietet hier für alle Beteiligten durchaus einen gewissen Interpretationsspielraum. Demnach sollen „Daten rechtssicher anlassbezogen und durch richterlichen Beschluss gespeichert werden können“.

Darin wird in dem Zusammenhang auch das Instrument der Login-Falle erwähnt, die „grundrechtsschonend und freiheitsorientiert“ die Identifizierung von Täterinnen und Tätern ermöglichen soll. Als eine weitere Alternative zur anlasslosen Vorratsdatenspeicherung wird derzeit das Quick-Freeze-Verfahren diskutiert, das besonders von der FDP favorisiert wird. Bei diesem Instrument dürften Daten nur bei konkretem Verdacht und auf richterliche Anordnung gesichert werden. Gegenüber der Praxistauglichkeit gibt es aber Bedenken im SPD-geführten Innenministerium. (Die Vor- und Nachteile beider Instrumente hat Netzpolitik.org beleuchtet.)

Worauf sich SPD, Grüne und FDP letztlich einigen werden, ist derzeit noch nicht absehbar. Die nötige Nachfolgeregelung für die Vorratsdatenspeicherung bietet auf jeden Fall weiteren Gesprächsstoff innerhalb der – an Konflikten und Aufgaben sowieso nicht armen – Regierungskoalition.

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