Mensch, Maschine!: Interview mit Carl Frey für unser Event mit WIRED

Foto: Carl Benedikt Frey
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Veröffentlicht am 11.10.2016

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Lesen, gesprochene Sätze verstehen und eigene Schlüsse aus Daten ziehen: Smarte Maschinen können immer mehr Dinge, die bisher nur Menschen beherrschten. Ist das eine Bedrohung oder eine Befreiung? Das untersuchen wir demnächst im Telefónica BASECAMP mit Carl Frey. Er ist Co-Direktor des Programme on Technology and Employment an der Oxford University und weltweit einer der wichtigsten Forscher zu diesem Thema. Zusammen mit weiteren spannenden Gästen gibt er am 25. Oktober einen Ausblick auf die Arbeitswelt der Zukunft

Bei unserer ersten gemeinsamen Veranstaltung mit dem deutschen WIRED-Magazin unter dem Titel future.work – Wie die künstliche Intelligenz unsere Arbeitswelt revolutioniert trifft Carl Frey auf Susanne Biundo-Stephan, Professorin für Künstliche Intelligenz an der Universität Ulm, Wolfgang Hildesheim, Director Watson Core Solutions Europe bei IBM, und Ulrich Irnich, Director Simplification & Transformation bei Telefónica Deutschland. Diese interessante Kombination lässt eine rege Diskussion erwarfcontten, die Einblicke in Theorie und Praxis gibt. Unser Moderator Lars Gaede konnte schon vorab ein spannendes Interview mit Carl Frey führen, das wir heute präsentieren.

Werden unsere Jobs bald alle von Maschinen übernommen, Herr Frey?

Carl Frey: Nein, natürlich nicht alle. Aber eine beträchtliche Zahl von Jobs wird zumindest technisch betrachtet sehr bald automatisierbar sein. In einer Studie zum US-Arbeitsmarkt etwa haben wir errechnet, dass 47 Prozent der US-Jobs innerhalb der nächsten zwei Jahrzehnte von Maschinen übernommen werden könnten.

Das ist fast die Hälfte! Welche Art von Tätigkeiten sind davon am stärksten betroffen?

Frey: Je stärker eine Tätigkeit nach Routinen und Regeln abläuft, desto leichter lässt sie sich in Computercode übersetzen – und damit auch von einer Maschine übernehmen. Betroffen sind also viele Jobs in der Fertigung, aber – und das ist das Neue – auch immer mehr Bürotätigkeiten. Kognitive Aufgaben. Das ändert sich gerade rasant.

Illustration Computer Tablet Fotolia
Foto: fotolia / ellagrin

Sind die Folgen dieser Automatisierung auf dem Arbeitsmarkt schon spürbar?

Frey: Regelbasierte, routinierte Jobs verschwinden im Grunde schon seit Jahrzehnten. Man kann beobachten, dass sich die Arbeitsmärkte im Großteil der entwickelten Welt immer stärker aushöhlen, weil insbesondere Jobs in der mittleren Einkommensklasse wegfallen. Es steigt dafür die Zahl der niedrig bezahlten Arbeiten, wie auch die Zahl der höherbezahlten Jobs.

Neu im Telefónica BASECAMP: future.work

Dieses Interview von Lars Gaede ist ein Teil unseres neuen Themenschwerpunkts future.work, der sich mit der Arbeit 4.0 befasst – und zu dem auch unsere Veranstaltung mit dem WIRED-Magazin am 25. Oktober gehört. Mehr Informationen darüber gibt es hier.

Es gibt viele Hinweise darauf, dass diese Entwicklung etwas mit neuen Technologien zu tun hat. Denn gerade die typischen Routine-Jobs der Mittelschicht werden eben nun zunehmend automatisiert. Gleichzeitig entstehen durch neue Technologien neue Jobs und Industrien, für die höherqualifizierte Leute gebraucht werden. Diese Besserverdiener nehmen gern ein Taxi, lassen sich die Einkäufe liefern, gehen oft zum Friseur. Dadurch entstehen dann auch neue Jobs im unteren Einkommensbereich.

Das Aufkommen smarter Maschinen, die lernen, denken und Schlüsse ziehen können, betrachten viele als einen großen technologischen Sprung. Bisher ging immer, wenn sich neue Technologien durchsetzten – wie Webmaschinen oder Industrieroboter – die Angst um, das könnte das Ende der menschlichen Arbeit bedeuten. Es trat nie ein. Wie ist es diesmal? Halten Sie die derzeitige Angst vor einer technologisch bedingten Massenarbeitslosigkeit für begründet oder für übertrieben?

Frey: Man darf nicht vergessen: Bei den vergangenen industriellen Revolutionen blieben schon sehr viele Leute auf der Strecke. Die Arbeitsbedingungen waren miserabel, Arbeitnehmer verdienten eher weniger als zuvor, es gab Kinderarbeit, die Gewinne und Produktivitätssteigerungen kamen absolut nicht den Arbeitern, sondern den Kapitalbesitzern zugute. Wenn wir den heutigen Übergang anschauen, dann ist er insgesamt sehr viel humaner. Problematisch ist aber, dass die neuen Jobs, die heute entstehen, sehr viel höhere Qualifikationen erfordern als jene in der Vergangenheit.

Carl Benedikt Frey
Foto: Carl Benedikt Frey

Während der ersten industriellen Revolution fand mehr eine Entqualifizierung von Arbeit statt. Das heißt: Gut qualifizierte Handwerker, die verschiedene komplexe Fertigkeiten beherrschten, wurden durch die Produktionsweisen in den Fabriken viel weniger gebraucht. Stattdessen brauchte man Leute, die bestimmte einfache Tätigkeiten gut ausüben können, wie am Fließband. Das Gute daran war, dass diese Art von Jobs beinahe jeder ausüben konnte.

Und wie ist es heute?

Frey: Die Jobs, die heute entstehen, erfordern nicht weniger Skills, sondern eher mehr. Es wird ein sehr hohes Maß an Qualifikationen benötigt und diese Arbeiten sind nicht leicht von jedem zu erlernen oder zu übernehmen. Dazu kommt, dass die neu entstehenden Industrien insgesamt weniger neue Jobs erzeugen als früher. Man muss sich nur das Silicon Valley anschauen: Dort beschäftigen die Top-3-Unternehmen heute zehnmal weniger Leute als die Top 3 vor 25 Jahren. Dennoch halte ich die Befürchtung, dass die Nachfrage nach Arbeit in der Zukunft extrem sinken wird, für zu groß. Das viel drängendere Problem ist ein anderes.

Welches denn?

Frey: Wir müssen dringend überlegen, wie die Renditen der Produktivitätssteigerungen und des Fortschritts besser verteilt werden können. Denn was wir heute sehen, läuft ganz ähnlich ab, wie damals bei der ersten industriellen Revoluton: Der größte Teil der Renditen landet nicht bei den Arbeitenden, sondern eher bei den Kapitalgebern und Besitzenden. Es könnte sich langfristig als wenig nachhaltig erweisen, wenn die meisten Leute sich fragen müssen: Wo ist unser Anteil am Fortschritt? Ist das noch fair? Wir müssen also darüber nachdenken, wie wir sicherstellen können, dass die Produktivitätssteigerungen insgesamt mehr Menschen zugute kommen.

Wie könnte man das schaffen? Gibt es etwas, das wir als Einzelne aber auch als Gesellschaft tun können, um dem technologischen Wandel gut zu begegnen?

Frey: In der Vergangenheit konnte man beobachten, wie die Menschen nach einer Phase des rapiden Wandels und des rapiden Fortschritts ihre Skills an die neuen Bedingungen und Technologien anpassten. So konnten sie bessere Jobs mit höheren Löhnen übernehmen. Es gibt aber keine Garantie, dass es auch dieses Mal ausreichend schnell und für jeden funktioniert.

Mensch Roboter Team
Foto: shutterstock/musicman

Ich denke, dass auch heute Bildung die wichtigste Komponente ist, damit sich der Arbeitsmarkt an neue technologische Trends anpassen kann. Darüber hinaus glaube ich, dass es gut wäre, den Anteil der Menschen zu erhöhen, die am Kapital teilhaben können. Man sollte also über Modelle wie das bedingungslose Grundeinkommen nachdenken. Es ist gut, dass damit jetzt in einigen Ländern experimentiert wird.

Vielleicht wäre es auch sinnvoll, sich auf Felder zu konzentrieren, die besonders schwer zu automatisieren sind. Welche wären das?

Frey: Es gibt drei Bereiche, in denen Menschen einen sehr großen Vorteil gegenüber Maschinen haben: Komplexe soziale Interaktionen sind für Maschinen sehr schwer zu meistern. Es mag Chatbots geben, die begrenzt überzeugend wie Menschen kommunizieren. Aber die Pflege anderer Menschen, Deals aushandeln und Teams managen, das sind Dinge, bei denen es fast unvorstellbar ist, dass es eine Maschine jemals so gut können wird. Auch Kreativität ist eine sehr menschliche Fähigkeit. Eine Maschine kann zwar auf der Basis von vorherigen Informationen bestimmte Muster erkennen und Dinge mit diesen Mustern nachbilden: eine Sinfonie schreiben oder sogar etwas Malen. Aber ob das wirklich etwas Neues ist? Darüber kann man streiten.

Und das dritte Feld, in dem wir Menschen den Maschinen uneinholbar voraus sind?

Frey: Das sind Aufgaben, bei denen man sich in sehr komplexen Umgebungen bewegt und viele verschiedene irreguläre Objekte erkennen oder handhaben muss. Denken Sie ein einmal an Ihr Zuhause: Es ist kaum vorstellbar, dass wir jemals einen Haushaltsroboter bauen werden, der all die verschiedenen Dinge unterscheiden und einordnen kann, die es in einem Haushalt gibt. Das ist extrem schwierig. Die Automatisierung des Hausputzes wird also zu den letzten Dingen gehören, die wir sehen werden. Leider!

Mehr Informationen:

Jetzt anmelden: future.work am  25. Oktober 2016 im Telefónica BASECAMP
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