Kabinett: Eckpunkte für nationale KI-Strategie & Datenethikkommission

Foto: Public Domain Mark 1.0 Flickr User Many Wonderful Artitst. Bildname: artificial-intelligence-503593_1920. Ausschnitt bearbeitet.
Veröffentlicht am 25.07.2018
Foto: Public Domain Mark 1.0 Flickr User Many Wonderful Artitst. Bildname: artificial-intelligence-503593_1920. Ausschnitt bearbeitet.

Mit einer Woche Verspätung hat das Bundeskabinett am 18. Juli die Eckpunkte der
„Strategie Künstliche Intelligenz“ vorgestellt. Laut Kabinettzeitplanung sollte das Papier
eigentlich schon am 11. Juli beschlossen werden. Neu ist, dass jetzt neben dem
Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) und Bundesforschungsministerium (BMBF) auch
das Bundesarbeitsministerium (BMAS) federführend ist.

Nach Tagesspiegel-Informationen soll bis Ende September der Konsultationsprozess mit
Wirtschaft und Zivilgesellschaft abgeschlossen sein, aus dem konkrete Vorschläge und
Handlungsempfehlungen für die KI-Strategie hervorgehen sollen. Ergänzt werden soll
dieser bis Ende August durch jeweils eintägige Expertenworkshops, die von den einzelnen
Ressorts koordiniert werden. Angedacht ist beispielsweise ein Fachforum zur Mobilität, zu
Robotik, Gesundheit sowie zu Bildung und Forschung. Die Ergebnisse der Workshops
sollen von den Ressorts an die drei federführenden Ministerien berichtet werden. Im
Oktober soll die Strategie dann im Detail ausgearbeitet werden, Mitte November im
Rahmen der Klausurtagung des Kabinetts in Meseberg beraten und
danach auf dem Digitalgipfel am 3. und 4. Dezember in Nürnberg vorgestellt werden.

Die Eckpunkte: „AI made in Germany“

Mit gemeinwohlorientierter KI „Made in Germany“, die Bürger und besonders
Erwerbstätige unterstützen soll, möchte die Bundesregierung sich von anderen Nationen
wie den USA und China absetzen. Auch deswegen betont die Bundesregierung in ihrem
Aufschlag für eine nationale Strategie die notwendige Sicherstellung ethischer
Grundsätze. Sie möchte deshalb die Vorschläge der Datenethikkommission
„berücksichtigen“, die laut Zeitplan im Sommer 2019 vorgestellt werden sollen. Nicht
erwähnt wird in dem Papier hingegen die neu eingesetzte Enquete-Kommission
„Künstliche Intelligenz“ des Bundestages. Das kritisiert unter anderem Enquete-Mitglied
und Sprecherin für Arbeit 4.0 der Fraktion Die Linke Jessica Tatti. Grund dafür könnte aber
sein, dass der Bericht der Enquete-Kommission erst im Sommer 2020 vorliegen soll.
Darüber hinaus skizziert die Bundesregierung in ihrem Diskussionspapier für die KI Strategie prioritäre Handlungsfelder für die Förderung von KI in Deutschland. Bei der
Frage nach dem Transfer von KI-Forschung in die Wirtschaft setzt die Bundesregierung auf
einen „ökosystemaren Ansatz“. Einen solchen hatte die Stiftung Neue Verantwortung
(SNV) vor kurzem in einem Policy Paper vorgeschlagen. Auch soll ein
„kontinuierliches Technologie-Monitoring“ Transparenz in der KI-Landschaft schaffen und
somit den Transfer erleichtern. Außerdem müssen nach Ansicht der Bundesregierung
„Potenziale für Sprunginnovationen stärker genutzt werden“. Nach Aussage von
Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) im Spiegel Interview (30/2018) ist hierfür eine eigene
„Agentur für Sprunginnovationen“ geplant. Sie soll Bereiche identifizieren, „in denen […]
Sprunginnovationen notwendig sind und diese Probleme dann ausschreiben.“
Unternehmen sollen sich dann mit Lösungsvorschlägen um eine Förderung bewerben.
Über weitere Pläne der Bundesregierung in diesem Bereich informiert das BMBF aktuell in
der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen-Bundestagsfraktion.

Nicht verwunderlich ist – wohl auch wegen der letztendlich stärkeren Beteiligung des
BMAS an den Eckpunkten – ein weiterer Fokus auf Maßnahmen für den Arbeitsmarkt, der
durch stärkere Nutzung von Künstlicher Intelligenz vor einer Transformation steht.
Deutlich wird, dass die Bundesregierung den Strukturwandel vor allem in internationalen
Foren begleiten möchte. Die Bundesregierung folgt außerdem noch einer weiteren
Anregung der SNV: sie will KI-Kräfte ausbilden und gleichzeitig attraktivere Bedingungen
für Wissenschaftler aus dem In- und Ausland schaffen.

Rechtsrahmen

In den Eckpunkten ist auch die Weiterentwicklung des ordnungspolitischen Rahmens
bedacht, um Rechtssicherheit beim Einsatz von KI zu schaffen. Besonders bei der Nutzung
von Daten sieht die Bundesregierung Anpassungsbedarf und geht darauf ein, was sie sich
unter dem „neuen Datenrecht“ vorstellt, das zu Beginn der Legislaturperiode angekündigt
wurde. Das ist im Wesentlichen das, was ohnehin im Koalitionsvertrag
stand: ein Prüfauftrag, „ob und ggf. wie der Zugang zu und die Nutzung von Daten neu
geregelt werden sollte, insbesondere von sektorspezifischen Regelungen“. Dabei soll die
„Klärung der Rechtsbeziehung zwischen den Beteiligten“ im Fokus stehen. Zugang und
Nutzen von Daten würden außerdem in der Überarbeitung des Wettbewerbsrechts eine
„besondere Beachtung finden“, kündigt die Bundesregierung an.
Darüber hinaus müssten „Transparenz, Nachvollziehbarkeit und Überprüfbarkeit der KI-Systeme“ sichergestellt werden, wie auch in Bezug auf Algorithmen bereits im
Koalitionsvertrag verabredet wurde.

Um mehr Daten nutzbar zu machen sieht die Bundesregierung eine Ausweitung der Open-
Data-Strategie als notwendig an. Es sollen „öffentlich-private Datenpools“ entstehen und
„Datenpartnerschaften“ zwischen Unternehmen angeregt werden. Um große
Datenmengen abschöpfen zu können, verweist die Bundesregierung auf die
Notwendigkeit, im Rahmen der Urheberrechtsreform auf EU-Ebene Regelungen für Text
und Data Mining „als Grundlage für maschinelles Lernen“ zu treffen.

Deutsch-französisches KI-Zentrum

In einer Hinsicht, weicht die Bundesregierung aber von ursprünglichen Plänen ab. Wurde
im Koalitionsvertrag noch von einem deutsch-französischem KI-Zentrum gesprochen, ist
nun anstatt eines physischen Gebäudes von einem Netzwerk die Rede, das die
Zusammenarbeit der Forschungsinstitute intensiviert.

Finanzierung & Sofortmaßnahmen

Im Eckpunktepapier gänzlich unberücksichtigt bleibt bisher das Thema Finanzierung. Auch
der Bundeshaushalt 2018 sieht keine zusätzlichen Mittel für die KI-Strategie vor. Helge
Braun spricht im Spiegel von einer aktuellen Technologieförderung im dreistelligen
Millionenbereich, über deren Erhöhung aber nachgedacht wird. Im Raum steht ein
Volumen von zusätzlich 100 bis 300 Millionen Euro pro Jahr. Zum Vergleich: Frankreich
investiert zwei Milliarden Euro in die KI-Forschung.

Damit im Jahr 2018 aber dennoch mit der aktiven Umsetzung der KI-Strategie begonnen
werden kann, steht am Ende des Papiers eine Aufzählung von Sofortmaßnahmen. Hierin
findet sich die Gewinnung und der Halt von KI-Experten, die Vernetzung und der Ausbau
der Kompetenzzentren mit Frankreich, sowie der Infrastrukturausbau. Die Ministerien
werden diese Maßnahmen aber wohl aus ihren bisherigen Mitteln bestreiten müssen.

BMWi-Studie

Eine vom BMWi in Auftrag gegebene Studie, die in derselben Woche veröffentlicht wurde,
unterstreicht das Potenzial von Künstlicher Intelligenz – im produzierenden Gewerbe – in
Deutschland. Hierin wird die zusätzliche Bruttowertschöpfung des produzierenden
Gewerbes durch KI in den nächsten fünf Jahren auf rund 32 Milliarden Euro geschätzt. Das
entspricht einem Drittel des gesamten, für diesen Zeitraum prognostizierten Wachstums
dieses Bereichs. Ein besonders hohes Potenzial wird bei den KI-Anwendungen Predictive
Analytics, Intelligente Assistenzsysteme, Robotik, Intelligente Automatisierung sowie
Intelligente Sensorik gesehen.

Reaktion der Verbände

Die Richtung der KI-Strategie wird auf Verbandsseite durchweg begrüßt. Dennoch gibt es
auch mahnende Worte. So warnt Stephan Noller, Vizepräsident des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW), dass es nicht nur bei Lippenbekenntnissen bleiben darf.
Besonders eine zu hohe Hürde bei der Nutzung von Daten aufgrund eines restriktiven
Datenschutzes wird befürchtet. Sollte durch die aktuell diskutierte E-Privacy-Verordnung
eine Verschärfung des Schutzes von Personenbezogenen Daten erfolgen, könne man sich
eine KI-Strategie auch sparen, so der Verbandsvertreter. Ein Positionspapier der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, in dem die AG Bildung und Forschung ihre Anforderungen an eine nationale KI-Strategie beschreibt, warnt ebenfalls vor einer innovationshemmenden
Wirkung der geplanten Rechtsakte. In ihrer Entwurfs-Strategie nimmt die
Bundesregierung allerdings explizit Bezug auf die sich derzeit noch in den Verhandlungen
auf EU-Ebene befindliche Verordnung, die neben der Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) den bestehenden „verlässlichen Rechtsrahmen“ für
Innovationen wie KI abrunden soll.

Die Sorge um zu hohe Regulierungen hat auch Stephan Tromp, stellvertretender
Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland (HDE): „Eine Überregulierung
aus irrationalen Ängsten heraus würde den Handel im internationalen Wettbewerb weit
zurückwerfen. Ein digitales Antidiskriminierungsgesetz oder ein ‚Algorithmen-TÜV‘
würden Innovationen ausbremsen und Geschäftsgeheimnisse gefährden“, so Tromp in
Bezug auf die Pläne der Bundesregierung. Kein Unternehmen investiere in Innovationen,
wenn diese offengelegt werden müssten und anschließend von der Konkurrenz kopiert
werden könnten, warnt er.

Daten-Ethikkommission

Das Bundeskabinett hat am 18. Juli ebenfalls per Beschluss die vom Bundesinnen- (BMI)
und Bundesjustizministerium (BMJV) vorgeschlagene Mitgliederliste für die Daten-Ethikkommission bestätigt. Ein Großteil der Mitglieder sind Wissenschaftler. Zu den
Mitgliedern der Kommission aus dem Bereich Wissenschaft gehören:

  • die Theologie-Professorin Johanna Haberer (Universität Erlangen-Nürnberg),
  • der Passauer Internetrechtler Dirk Heckmann,
  • der Verwaltungswissenschaftler Mario Martini (Deutsche Universität für
    Verwaltungswissenschaften Speyer),
  • die Dortmunder Professorin für angewandte Softwaretechnik Sabine Sachweh,
  • der Kölner Medienrechtler Rolf Schwartmann,
  • die Hamburger Professorin für IT-Ethik Judith Simon,
  • Wolfgang Wahlster, Forschungsdirektor und Geschäftsführer am Deutschen
    Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI),
  • die Zivilrechtlerin Christiane Wendehorst (Universität Wien),
  • Thomas Wischmeyer, Professor für Öffentliches Recht und Recht der
    Digitalisierung an der Universität Bielefeld
  • sowie die Medizin-Ethikerin Christiane Woopen (Universität zu Köln).

Auch zwei Datenschützerinnen gehören dazu. Während die schleswig-holsteinische
Datenschutzbeauftragte Marit Hansen persönlich ernannt wird, wird die
Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI) als Institution
in die Datenethikkommission berufen. Im Herbst will die SPD-Bundestagsfraktion den
ehemaligen parlamentarischen Staatssekretär im Bundesjustizministerium Ulrich Kelber
(SPD) als Nachfolger für die amtierende BfDI Andrea Vosshoff (CDU) nominieren und vom
Bundestag wählen lassen. Ebenfalls als Institution wird der
Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) genannt. Seitens der EU-Kommission wird
Paul Nemitz von der DG JUST Mitglied. Zu den Vertretern der Wirtschaft gehören BDI-Präsident Dieter Kempf sowie die Datenunternehmerin Christin Schäfer aus Berlin.
Der Arbeitsauftrag an die Kommission wurde bereits zwischen den Ressorts abgestimmt
und bedarf keines Kabinettsbeschlusses. Nach Tagesspiegel-Informationen soll das erste
Treffen am 5. September stattfinden.

Der vorstehende Artikel erscheint im Rahmen einer Kooperation mit dem Tagesspiegel Politikmonitoring auf UdL Digital. Martin Müller und Lina Rusch sind Analysten für Netzpolitik. 

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