Gesichtserkennung: Warum so wütend?

Foto: CC-by 2.0 / Flickr user Southbank Centre / Pete Woodhead, Ausschnitt bearbeitet
Veröffentlicht am 25.08.2017

Wütend. So reagierten einige Kunden und Datenschützer auf Pilotprojekte der Supermarktkette Real und der Deutschen Post. Die Unternehmen hatten Infodisplays mit Gesichtserkennungs-Technik in ihren Filialen aufgestellt. Doch für die Reaktionen darauf brauchte es keine Gesichtsanalyse. Die Aufregung kam von selbst als die Aktionen publik wurden. Der gemeinnützige Verein Digitalcourage stellte Strafanzeige gegen die beiden Unternehmen. Real stellte schließlich Ende Juni das Projekt ein. Es wurden keine personenbezogenen Daten gesammelt, betonte die Metro-Tochter und begründete die Entscheidung mit fehlendem „Kundennutzen“. In Zukunft werde an „Transparenz und Akzeptanz bei Kunden und Öffentlichkeit“ gearbeitet, heißt es weiter in der Pressemitteilung.

Blickkontaktanalyse im Supermarkt

Hintergrund der Projekte ist die Erforschung Zielgruppen gerichteter Werbung – oder Targeting – auch in analogen Läden. Das Alter und Geschlecht kann die Technik via Kameras an den Bildschirmen analysieren. Außerdem erfassen Sensoren, wie lange Kunden den Blick auf die Werbedisplays richten. Die 20-30 jährige Frau in der Warteschlange im Supermarkt könnte dann zukünftig statt Rasierschaum Frauenzeitschriften zu sehen bekommen.

Die Deutsche Post und Real erklärten gegenüber Medien, die üblichen Hinweisschilder, der Laden sei Videoüberwacht schließen auch das Filmen zu Werbezwecken mit ein. Die Datenschutzbeauftragten von Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Bayern sehen das nicht so. Neben fehlenden Hinweisen kritisieren sie auch mangelnde Transparenz bei der Erfassung und Speicherung weiterer Daten sowie die Übermittlung von Bildmaterial.

Wie viele Unternehmen diese Technik einsetzen ist bislang nicht bekannt. Im März geriet
eine Casino-Kette in den Fokus, die Gesichtserkennung am Eingang von Spielhallen einsetzte, um eigenen Angaben zufolge Spielsüchtige auszuschließen. Außerdem gibt es mittlerweile einige Unternehmen, die die Technik entwickeln und anbieten, wie das Berliner Start-up IDA Indoor Advertising oder Pyramics, ebenfalls aus Berlin, das auch auf Gefühlsanalyse setzt. Denn neben Alter und Geschlecht ist es bereits möglich auch Gesichtsausdrücke auszuwerten, so können Werbetreiber feststellen bei welchen Sequenzen einer Werbung Kunden beispielsweise Wut oder Freude empfinden.

Sicherheitsbehörden wollen Gesichter erkennen

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Die Anwendungen von Gesichtserkennung zu Werbezwecken müssen nach Bundesdatenschutzgesetz anonyomisiert sein. Anders sieht es bei einem anderen Projekt aus, das am ersten August anlief. Im Auftrag des Innenministeriums testen Bundeskriminalamt und Bundespolizei am Berliner S-Bahnhof Südkreuz Gesichtserkennung um Verdächtigte oder Kriminelle zu identifizieren.

Vizepräsident Jürgen Pompus von dem Unternehmen Cognitec Systems, das die Technik Bereit stellt und auswertet, gibt an, dass Sonnenbrillen oder Mützen heute kein Problem für die Technik mehr darstellen. Getestet wird außerdem, ob auch Menschen im schnellem Tempo in der Menge erkannt werden können. 300 Freiwillige haben sich gemeldet, die den Bahnhof mehrmals überqueren. Sie tragen außerdem einen Transponder bei sich, der ebenfalls die Bewegung der Tester dokumentiert. So kann festgestellt werden, wie oft die Gesichtserkennung richtig liegt. Nach neusten Berichten von Digitalcourage handelt es sich dabei nicht wie wohl angekündigt um einen RFID- Chip, sondern um einen Beacon, der über Beschleunigung, Körperneigung und Körperwärme ein Bewegungsprofil erstellen kann. Das Bundesinnenministerium weist die Kritik zurück und bekräftigt diese Funktion sei nicht eingeschaltet. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) besuchte am Donnerstag den Bahnhof Südkreuz und sprach sich für einen flächendeckenden Einsatz der Technik aus.

Während Sicherheitsbehörden auf den Nutzen der Technik für die Prävention und Fahndung von Terrorverdächtigen bis Taschendieben verweist, beklagen Datenschützer die Verletzung des Rechts auf freie Bewegung und Schutz persönlicher Daten. Die Anwendung sei nicht konform mit der Europäischen Datenschutzgrundverordnung, die starke Einschränkung der Erfassung von biometrischen Daten vorschreibt. Die Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff findet zwar das Pilotprojekt akzeptabel, mahnt aber vor einem dauerhaften Einsatz der Technik. Der Deutsche Anwaltverein hält auch das Pilotprojekt für rechtswidrig, unter anderem führe es „zu einem nicht hinnehmbaren Gefühl des Überwachtwerdens und der Einschüchterung“.  Auch einige Netzpolitiker der Opposition äußerten sich kritisch. Ein Streit für die nächste Legislaturperiode ist hier also schon vorprogrammiert.

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