Flüchtlingsdebatte in 140 Zeichen


800.000 Flüchtlinge werden laut den aktuellen Schätzungen des Bundesinnenministeriums dieses Jahr nach Deutschland kommen. Viele Kommunen sind mit der unerwartet hohen Anzahl an Hilfesuchenden überfordert. Fast jeden Tag werden Anschläge auf geplante oder bereits bestehende Flüchtlingsunterkünfte verübt, Bundeskanzlerin Angela Merkel (öffnet in neuem Tab) wurde bei ihrem Besuch im Flüchtlingsheim Heidenau von Demonstranten als Volksverräterin beschimpft und Bundesjustizminister Heiko Maas (öffnet in neuem Tab) will mit Facebook über das Löschen von rassistischen Kommentaren in dem sozialen Netzwerk sprechen. – Das Thema Flüchtlinge dominiert die Nachrichtenlage des Spätsommers 2015. Und es polarisiert. Auch Politiker und politisch Interessierte auf Twitter.
Angespannte Atmosphäre
Für eine Welle der Empörung in der Community sorgte beispielsweise ein Tweet der CDU/CSU-Fraktion: „800 Tausend #Asylbewerber bis Jahresende. Eine Flut, die kaum zu bewältigen ist“, twitterte (öffnet in neuem Tab) die Abteilung Öffentlichkeitsarbeit der Christdemokraten im Bundestag. Nicht wenige empfanden die Wortwahl als unpassend. Auch vor dem Hintergrund, dass zwei Tage zuvor das Facebook-Team der Bundesregierung anlässlich zahlreicher Hasskommentare in einem langen Text (öffnet in neuem Tab) für Mäßigung in der Ausdrucksweise geworben hatte: „Vergessen wir nie, dass wir über Menschen sprechen. Menschen, die – so oder so – in einer für die meisten von uns unvorstellbar schwierigen Lebenssituation sind“, heiß es dort. Hinweise auf das ZDF-Politbarometer (öffnet in neuem Tab), wonach 60 Prozent der Deutschen der Ansicht sind, dass das Land viele Flüchtlinge verkraften kann, waren noch die nettesten Reaktionen auf den umstrittenen Tweet der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Besonders wütend war Sven Hätscher (öffnet in neuem Tab): „Asyl ist ein Grundrecht, keine Naturkatastrophe, ihr Arschgeigen!“ kommentierte (öffnet in neuem Tab) er.
Betroffenheit bei Bundespolitikern
In den veröffentlichten Äußerungen beim Microblogging-Dienst Twitter wird auch der unterschiedliche Umgang der Bundestagsabgeordneten der Großen Koalition mit dem Thema deutlich. Auffällig ist zum einen die Quantität: Während sich Christdemokraten trotz der Präsenz des Themas in den Medien nicht besonders häufig dazu äußern, dominiert es bei den Sozialdemokraten in den vergangenen Tagen klar die Agenda – was nicht nur an der stärkeren eigenen Betroffenheit durch die Bombendrohung in der SPD-Parteizentrale Anfang der Woche lag. Vorherrschende Themen in den Reihen der CDU-MdBs waren die Ablehnung des Winterabschiebestopps in Thüringen und Zustimmung für die Vorschläge des Thüringer SPD-Chefs Andreas Bausewein (öffnet in neuem Tab), der u.a. die Schulpflicht für Flüchtlingskinder in Frage stellte. Bei den SPD-Abgeordneten ist im Vergleich eine hohe Anzahl an emphatisch-betroffenen Tweets zu beobachten. „Was ich hier aus #Heidenau lesen muss ist wirklich kaum zu ertragen und eine Schande für Sachsen und Deutschland“, twitterte (öffnet in neuem Tab) der Hamburger SPD-Abgeordnete Niels Annen (öffnet in neuem Tab). Michael Roth (öffnet in neuem Tab), Staatsminister im Auswärtigen Amt, schrieb einen Tag später (öffnet in neuem Tab): „Manchmal will man in unserem Land kein Ausländer sein. Aber auch kein Deutscher. Schäme mich für diese Rassisten in #Heidenau.“ Seine MdB-Kollegin Bärbel Bas (öffnet in neuem Tab) wurde noch deutlicher: „Dieser braune Mob kotzt mich auch an. #Heidenau“, kommentierte (öffnet in neuem Tab) die Parlamentarische Geschäftsführerin einen ähnlich lautenden Tweet (öffnet in neuem Tab) der grünen Fraktionsvorsitzenden Katrin Göring-Eckardt (öffnet in neuem Tab). Aber auch einige Abgeordnete der CDU reagieren betroffen und wütend. „Bin zwar im Urlaub. Aber erschüttert durch #Heidenau, #Remchingen und nun mutmaßlich auch #Weissach. Und besorgt.“, twittert (öffnet in neuem Tab)e der Obmann der CDU/CSU-Fraktion im Ausschuss für Bildung und Forschung, Stefan Kaufmann (öffnet in neuem Tab), aus seinen Flitterwochen. Und sein MdB-Kollege Hartmut Koschyk (öffnet in neuem Tab), Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, antwortet (öffnet in neuem Tab)e einen Tag zuvor auf die Frage, wie er als Immigrantenkind zu dem „randalierenden Nazimob“ steht: „Meine Meinung ist glasklar: wider dem Nazimob!!!“
Blogger helfen Flüchtlingen
Während bei vielen Abgeordneten und Ministern derzeit Besuche in Flüchtlingsheimen und bei Willkommensfesten für Flüchtlinge auf der Tagesordnung stehen, gibt es auch in der Netz-Community viele, die nicht mehr „nur“ schreiben, sondern auch konkret helfen wollen. So haben zum Beispiel die vier Blogger Paul Huizing (öffnet in neuem Tab), Nico Lumma, Karla Paul und Stevan Paul die Hilfsaktion „Blogger für Flüchtlinge – Menschen für Menschen (öffnet in neuem Tab)“ ins Leben gerufen, die in kürzester Zeit unter dem Hashtag # bloggerfuerfluechtlinge bekannt wurde und ihr ursprüngliches Spendenziel von 4.000 Euro für Moabit hilft (öffnet in neuem Tab) bereits innerhalb von zwei Tagen erreichte. Die Aktion wird – inzwischen mit eigenem Twitteraccount (öffnet in neuem Tab) – fortgeführt und die Spenden an Hilfsprojekte für Flüchtlinge in ganz Deutschland weitergeleitet.