Europäische Union: Empfehlungen für freien Wettbewerb im digitalen Zeitalter

Veröffentlicht am 10.04.2019

Ende vergangenen Jahres ernannte die EU-Kommissarin für Wettbewerb, Margrethe Vestager, drei Sonderberater, um sich den wettbewerbspolitischen Herausforderungen der Digitalisierung zu widmen. Anfang April legten diese nun ihren Bericht „Competition policy for the digital era“ vor. In diesem erläutern die drei Experten, wie sich Marktmechanismen im digitalen Zeitalter verändert haben und welche Ziele und Maßnahmen die europäische Wettbewerbspolitik entsprechend verfolgen sollte. Zudem erläutern sie, wie ihre Empfehlungen für die Bereiche Plattformen, Daten sowie Zusammenschlüsse und Übernahmen (mergers and acquisitions) im Einzelnen umgesetzt werden sollen.

Wettbewerb in Zeiten der Digitalisierung

Digitalpolitik-Default-Motiv-1500x984Die digitale Wirtschaft zeichnet sich laut den Sonderberatern durch „extreme“ Skalenerträge aus. Mit vergleichbar geringen „Produktionskosten“ können digitale Unternehmen ihre Dienstleistungen einer großen Kundschaft anbieten, was zu Wettbewerbsvorteilen für etablierte Anbieter führen kann. Besonders sei auch, dass der Erfolg digitaler Produkte oftmals externen Netzwerkeffekten („network externalities“) unterliegt. „The convenience of using a technology or a service increases with the number of users that adopt it,“ so die Experten in dem Bericht. Somit können etablierte Plattformen mit vielen Nutzern selbst dann ihre Marktmacht behaupten, wenn eine neue Plattform qualitativ bessere Leistungen oder günstigere Preise anbietet. Wie sehr dieser Etablierten-Vorteil („incumbency advantage“) wiegt, ist auch davon abhängig, ob Nutzer ihre Daten zu Konkurrenten mitnehmen können. Die immense Bedeutung des Zugangs zu Daten als Faktor im Wettbewerb ist dann auch ein weiteres Charakteristikum, das die Experten der digitalen Wirtschaft zuschreiben.

Anpassung des Wettbewerbsrechts

Die speziellen Voraussetzungen im digitalen Markt begünstigen sogenannte Verbundeffekte („economies of scope“). Durch diese Verbundeffekte und die daraus resultierenden Wettbewerbsvorteile könnten etablierte „digital players“ nur schwer von Nachzüglern verdrängt werden. Vor diesem Hintergrund erklärte die Sonderberaterin Heike Schweitzer, Juraprofessorin an der Humboldt-Universität Berlin, dem Tagesspiegel:

„Die europäischen Wettbewerbsregeln sind weiterhin gut, aber sie müssen mit Blick auf die besonderen Gegebenheiten der digitalen Wirtschaft ausgelegt werden“,

Zwei Konzepte, die angepasst werden sollen, sind der Standard des Verbraucherwohls („consumer welfare standard“) und Fehlerkosten („error costs“). Hier müsse es eine Art Beweislastumkehr geben. Etwaige Strategien dominanter Plattformen, Konkurrenzdruck zu mindern, sollen zukünftig verboten werden – selbst in Bereichen in denen der konkrete Schaden für den Verbraucher schwer zu messen ist. Um ein Verbot zu umgehen, sollen Plattformen klar belegen, dass ihre Strategien einen Gewinn für das Verbraucherwohl darstellen. Diese Beweislastumkehr wäre besonders wichtig für Fälle, in denen dominante Plattformen versuchen Nachbarmärkte zu erfassen und dadurch sogenannte digitale Ökosysteme („digital ecosystems“) entstehen können. Durch Lock-in-Effekte wird es für den Nutzer dann immer unattraktiver Konkurrenzprodukte zu nutzen.

Darüber hinaus betonte Schweitzer:

„Wir müssen differenzierter auf Marktabgrenzungen und Marktmacht schauen und Macht auf nachgelagerten Sekundärmärkten besser erfassen. Auch ein Anbieter mit einem Marktanteil von unter 40 Prozent kann ein Unternehmen sein, an dem andere Unternehmen, die ihre Produkte in den Markt bringen wollen, nicht vorbeikommen.“

Auch der Besitz von Daten, die neuen Teilnehmern am Markt verwehrt bleiben, ist laut dem Bericht Marktmacht.

Plattformen als Regulierer

Bei Plattformen wird im Bericht zwischen Wettbewerb für den Markt („competition for the market“) und Wettbewerb auf der Plattform („competition on the platform“) unterschieden. Mit Blick auf den Wettbewerb zwischen Plattformen heben die Sonderberater das Meistbegünstigungsprinzip („Most Favoured Nation (MFN)“) als Negativbeispiel hervor. Übertragen auf den digitalen Markt bedeutet das aus dem internationalen Handel stammende Prinzip, dass dominante Plattformen Anbietern verbieten, ihre Waren und Dienstleistungen günstiger auf anderen Plattformen anzubieten. Abhängig davon wie der Wettbewerb auf dem jeweiligen Markt aussieht, soll das Wettbewerbsrecht solche Vorschriften ganz oder teilweise verbieten. Um den Wettbewerb zu schützen, soll zudem „Multihoming“ und der Wechsel zwischen Plattformen ermöglicht werden. Dazu müsse die Übertragbarkeit von Nutzerdaten („data portability“) und die Interoperabilität zwischen Plattformen sichergestellt werden.

Auf ihren eigenen digitalen Marktplätzen nehmen die Plattformen – und das unterscheidet sie von herkömmlichen Unternehmen – aber auch die Rolle des Regulierers ein („platforms as regulators“), betonen die Berichtsautoren. Während unterschiedliche Regeln auf verschiedenen Plattformen per se kein Problem darstellen, haben dominante Plattformen aber einen großen Einfluss auf den Wettbewerb. Ihre Regeln dürften daher einem „freien“ und „unverzerrten“ Wettbewerb nicht im Wege stehen. Dies könne jedoch passieren, wenn beispielsweise Plätze auf Ergebnislisten an den Meistbietenden vergeben werden oder Plattformen eigene Produkte präferieren („self-preferencing“).

Zusammenschlüssen und Übernahmen

Die Übernahme von kleinen und mittleren Unternehmen kann auf unterschiedliche Weise einen Wettbewerbsvorteil für dominante Marktteilnehmer bringen. Nicht nur direkte Konkurrenten werden aufgekauft, sondern teilweise auch marktfremde Unternehmen, die sich durch die Entwicklung von bestimmten Produkten und Dienstleistungen perspektivisch zu Konkurrenten entwickeln könnten. Dadurch binden die dominanten Unternehmen nicht nur die Nutzer der akquirierten Unternehmen an sich, sondern festigen auch die „Loyalität“ bestehender Nutzer, weil eine Abwanderung weniger notwendig und unattraktiver wird. Die wettbewerbsrechtliche Kontrolle von Zusammenschlüssen und Übernahmen von Digitalunternehmen müsse daher verbessert werden. Wobei es die richtigen Fragen zu stellen gelte, so die Autoren des EU-Berichts. Wie zum Beispiel: Profitiert das übernehmende Unternehmen bereits von Einstiegshürden, die mit Netzwerkeffekten oder Datennutzung zusammenhängen und Vergrößert die Ausschaltung des übernommenen Konkurrenten die Marktmacht durch erhöhte Einstiegshürden für Dritte in diesem Geschäftsfeld deutlich? Der Test anhand dieser Fragen würde einen „erhöhten Grad an Kontrolle bei Übernahmen kleiner Start-ups durch dominante Plattformen und/oder Ökosysteme“ garantieren.

Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager will die „wichtigen Erkenntnisse zu den Veränderungen auf den Märkten“ und „wertvollen Anregungen, wie die Wettbewerbspolitik darauf reagieren kann“ nun genau analysieren und innerhalb der Kommission beraten.

Christian Krug schreibt unter anderem über Themen der Digital- und Netzpolitik. Seine Artikel erscheinen im Rahmen einer Kooperation mit dem Tagesspiegel Politikmonitoring auf UdL Digital.

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