Autonomes Fahren: Wie das Auto zum Roboter wird

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Veröffentlicht am 16.07.2020

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Ein neues Gesetz soll das autonome Fahren im Autoland Deutschland ermöglichen. Es wäre weltweit das erste seiner Art. Noch fehlen allerdings die Fahrzeuge, mit denen das fahrerlose Fahren tatsächlich möglich wäre.

Autonomes Fahren steht kurz vor dem Durchbruch. Das glaubt zumindest Elon Musk. „Ich bin sehr zuversichtlich, dass Level 5 beziehungsweise die vollständige Autonomie erreicht wird und ich denke, dass dies sehr schnell geschehen wird“, sagte der Tesla-Gründer jüngst. Branchenkenner sind indes skeptisch. Sie rechnen damit, dass es noch dauern wird, bis eine KI vollständig das Steuer übernimmt.

Noch kämpfen die Hersteller mit technischen Hürden. Kein deutscher Autobauer hat bisher ein Fahrzeug mit einem serienreifen Level-3-System auf dem Markt. Trotzdem will die Bundesregierung noch in dieser Legislatur ein Gesetz auf den Weg bringen, das hochautomatisiertes Fahren (Level 4) erlaubt. So steht es im Koalitionsvertrag. Nachdem im April ein erster Entwurf durchsickerte, wurden am 9. Juni auf einer Webkonferenz des internationalen Netzwerks „The Autonomous“ Auszüge aus der aktuellen Version des Entwurfes vorgestellt, der unzählige Seiten mit Verordnungen und Anhängen umfasst. Läuft alles nach Plan, könnte in den kommenden Wochen die Verbändeanhörung starten, vermutet die Branche.

Rechtlicher Rahmen vor allem für Roboshuttle-Flotten

Damit nimmt die Bundesregierung nach der Verabschiedung eines Gesetzes zum pilotierten Fahren 2017 einen zweiten Anlauf, um im Autoland Deutschland die gesetzlichen Grundlagen für autonome Autos zu schaffen. Wer davon träumt, sich in seinem privaten Pkw voll automatisch durch die Straßen kutschieren zu lassen, wird allerdings enttäuscht. „Nicht der private Gebrauch autonomer Autos steht im Vordergrund dieser Gesetznovelle“, sagt Benedikt Wolfers, Mitgründer der Sozietät Posser Spieth Wolfers and Partner (PSWP), zum Tagesspiegel. Der Jurist beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Zulassungsverfahren für Level-3- und 4-Systeme und hat verschiedene regulatorische Projekte begleitet.

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Vielmehr werde vor allem ein Rechtsrahmen für gewerbliche Anwendungen geschaffen, wie sie bereits aus Pilotprojekten in Hamburg und Leipzig bekannt sind und die bisher nur auf Grundlage der Experimentierklausel genehmigt sind. Es geht also um sogenannte Peoplemover und Robo-Shuttles. Das zeigt sich unter anderem auch darin, dass die Fahrzeuge alle 90 Tage von einer Prüfanstalt begutachtet werden müssen. Das Ergebnis ist dem Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) zu übermitteln. Für Privatpersonen sind enge Prüfzyklen wenig attraktiv und praktikabel.

Kein Fahrer, nur eine Aufsicht

Wenn die Pläne aus dem Bundesverkehrsministerium (BMVI) in ihrer jetzigen Form in Kraft träten, müssten die Hersteller autonomer Fahrzeuge ihre Betriebserlaubnis künftig beim KBA beantragen. Dafür müssen sie die Fähigkeiten des Fahrzeuges garantieren, aber auch angeben, unter welchen Voraussetzungen es nicht fahren kann. Fahrten bei schwerem Regen oder Nebel und bei hoher Geschwindigkeit sind noch nicht möglich.

Der Entwurf sieht vor, dass autonome Fahrzeuge nur in festgelegten Betriebsbereichen eingesetzt werden. Die endgültige Erlaubnis für die konkrete Anwendung eines solchen Bereiches bedarf der Genehmigung des Landes, in dem das Gebiet liegt. Zentral ist, dass es künftig keinen Fahrer mehr gibt. „Streng genommen handelt es sich nicht um ein Auto, sondern um einen Roboter“, erklärt Wolfers. Nur unter dieser Voraussetzung ist es der Bundesregierung überhaupt möglich, eigene Regelungen zu erlassen, und nicht auf europäische oder internationale Vorgaben zu warten. Zulassung als auch Nutzung von Fahrzeugen im Verkehr unterliegen normalerweise der EU-Gesetzgebung – zumindest, solange das Recht einen Fahrer vorsieht.

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Foto: CC0 1.0, Pixabay / MartinHolzer / Ausschnitt bearbeitet

Ganz ohne menschliches Zutun sollen Level-4-Fahrzeuge laut dem Entwurf aus dem Hause von Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) künftig dann doch nicht auskommen. Vorgesehen ist eine „technische Aufsicht“. Sie sitzt nicht mit im Fahrzeug, sondern irgendwo in der Stadt. Meldet das Fahrzeug ein Problem, muss die Aufsicht in der Lage sein, das Fahrzeug zu deaktivieren. Das kann insbesondere dann nötig sein, wenn das Roboauto selbst nicht in der Lage ist, eine Entscheidung zu treffen, weil es eine zuvor programmierte Verkehrsregel brechen und beispielsweise die Fahrbahnmarkierung überfahren muss, um einem auf der Straße liegenden umgestürzten Baum auszuweichen. In solchen Fällen ist die Aufsicht verpflichtet, das Roboauto zu stoppen.

Beflügelt das Recht die Technologie?

Entscheidet die Aufsicht falsch, haftet der Halter des Robo-Fahrzeugs. Ihm fällt viel Verantwortung zu. Dabei kann es sich auch um eine Organisation oder Institution handeln wie einem Betreiber von Roboshuttle-Flotten. Das könnten Stadtwerke, ÖPNV-Anbieter, aber auch private Firmen wie die VW-Tochter Moia sein.

Mit dem Entwurf aus dem BMVI sind viele Hoffnungen verbunden. „Als erstes Land weltweit würde die Bundesrepublik damit einen regulären gesetzlichen Rahmen für fahrerlose Fahrzeuge schaffen“, sagt Georg Kopetz, Mitgründer und CEO von dem auf Sicherheits-Softwareplattformen spezialisierten Wiener Unternehmen TTTech Auto, dem Initiator des Autonomous-Netzwerks. Er könne sich vorstellen, dass auch Österreich die in Deutschland entwickelten Regelungen übernimmt – zumindest, solange Regelungen auf europäischer und internationaler Ebene fehlen.

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Foto: shutterstock / My Life Graphic

Es könnte also sein, dass es bald ein Regelwerk gibt, dass technische Finetuning der Fahrzeuge aber noch erfolgen und Geschäftsmodelle entwickelt werden müssen. „Sobald die Möglichkeit der Kommerzialisierung gegeben ist, werden wir neue Entwicklungen auf dem Markt sehen“, zeigt sich Kopetz zuversichtlich, dessen Unternehmen unter anderem mit Audi, BMW und Samsung zusammenarbeitet. Er erwartet, dass die Hersteller mit Aussicht auf einen klaren rechtlichen Rahmen die Investitionen in die Technologie erhöhen, und neue Geschäftsmodelle entwickelt werden. „Das gilt sowohl für Start-ups als auch für Technologieunternehmen sowie deutsche und ausländische Hersteller.“

Auch Elon Musk dürfte die Entwicklungen hierzulande verfolgen. Was passieren kann, wenn man behauptet, autonome Autos zu verkaufen, ohne dass diese überhaupt zugelassen sind, bekam er jüngst zu spüren. Die deutsche Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs hat eine Unterlassungsklage beim Landgericht München eingereicht. Der Vorwurf: Tesla habe „irreführende Werbung“ betrieben, indem der Autobauer behauptet habe, die Autopilot-Funktion des Model 3 biete „volles Potenzial für autonomes Fahren“. Tatsächlich handle es sich lediglich um Fahrassistenzsysteme. Das Urteil wird diese Woche erwartet.

Tagesspiegel Background

Der vorstehende Artikel erscheint im Rahmen einer Kooperation mit dem Tagesspiegel BACKGROUND Mobilität & Transport auf der Website des BASECAMP.

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