Lars Klingbeil: Eine Datenethikkommission für Deutschland

03 MAR 2009, BERLIN/GERMANY: Kandidatenshooting mit Franz Muentefering und den Mitgliedern der SPD Landesgruppe Niedersachsen, Presselobby SPD Bundestagsfraktion, Deutscher Bundestag
Veröffentlicht am 06.06.2016

Lars Klingbeil ist seit 2009 netzpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. In der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“, die 2009 bis 2013 den Einfluss des Internets auf die Gesellschaft und Politik untersuchte und Handlungsempfehlungen für deutsche Digitalpolitik erarbeitet hat, leitete er die zuständige SPD-Arbeitsgruppe. Die Entwicklung einer sozialdemokratischen Antwort auf die Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung brachte er durch das von ihm federführend mitgestaltete SPD-Grundsatzprogramm #DigitalLeben voran. Den Digitalkurs seiner Partei wird er auch weiterhin prägen: Als einer von 14 Verantwortlichen soll er das Wahlprogramm der SPD für die kommende Bundestagswahl erarbeiten. Ein wichtiges Handlungsfeld ist für ihn die Datenethik. Die rasanten Entwicklungen in den Bereichen Big Data, Künstliche Intelligenz und autonome Systeme brauchen seiner Ansicht nach noch viel mehr Aufmerksamkeit des Gesetzgebers. Es gilt, wichtige ethische Fragen zu klären: Wer haftet bei einem Unfall, den ein selbstfahrendes Auto verursacht hat? Sollen Roboter eigenmächtig chirurgische Eingriffe am Menschen vornehmen dürfen? Wem gehören intime Gesundheitsdaten? Um diese Zukunftsfragen politisch zu gestalten, fordert Klingbeil nun eine Datenethik-Kommission für Deutschland. Über seine Vision für eine solche Institution sprach er mit uns im Interview.

Lars Klingbeil , Quelle: Lars Klingbeil
Klingbeil schlägt vor, dass eine Datenethikkommission die Diskussion zu Daten in der Gesellschaft neu verorten kann, Quelle: Lars Klingbeil

Mit dem Ausschuss Digitale Agenda im Bundestag und der Digitalen Agenda 2014 – 2017 der Bundesregierung ist die Digitalisierung auf der politischen Bundesebene präsenter als jemals zuvor. Trotzdem werden der Politik häufig Schwächen bei der Regulierung der Digitalisierung attestiert. Was genau ist Ihrer Ansicht nach das Problem?

Mit der Digitalen Agenda hat die Bundesregierung – unter Federführung der drei Kernressorts Wirtschaft, Inneres und Verkehr und digitale Infrastruktur – erstmals eine umfassende Digitalisierungsstrategie für Deutschland vorgelegt. Viele wichtige Maßnahmen wurden inzwischen auf den Weg gebracht oder bereits umgesetzt. Ich gebe aber zu, dass ich mir manches auch etwas schneller und weitergehender gewünscht hätte. Dabei ist es weniger die Frage, ob die Themen der Digitalisierung in einem oder in mehreren Häusern ressortieren, wichtiger ist der politische Stellenwert, den man diesen zukommen lässt – und hier müssen wir deutlich besser werden.

Sie haben sich vor kurzem für die Einrichtung einer Datenethikkommission ausgesprochen. Warum braucht Deutschland so eine Institution?

Der Umbruch zur digitalen Gesellschaft ist so fundamental und es stellen sich damit so große neue Fragestellungen in rechtlicher, aber auch in ethischer Hinsicht, die wir in einer solchen Kommission diskutieren sollten. Konkret geht es um Fragen durch Künstliche Intelligenz, Entscheidungen durch Algorithmen, Haftungsfragen, Innovationen und wirtschaftliche Potenziale und vieles mehr.

Wie könnte so eine Datenethikkommission konkret aussehen? Welche Stakeholder müssten repräsentiert sein und welche ethischen und rechtlichen Fragen sollten auf ihrer Agenda stehen?

Große gesellschaftliche Fragen werden oft in Regierungskommissionen beraten und der Bundestag hat mit der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ wichtige Vorarbeiten geleistet. Konkret stelle ich mir eine Datenethikkommission vor, die unter der Einbeziehung aller Akteure – Wirtschaft, Gewerkschaften, Wissenschaft, Zivilgesellschaft, Kirchen, etc. – einen Entwicklungsrahmen für Datenpolitik, den Umgang von Algorithmen und KI aufzeigt und konkrete Empfehlungen zu den rechtlichen und ethischen Fragen vorschlägt.

Einige Mitglieder des Ausschusses Digitale Agenda kritisieren, dass die Ergebnisse der Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft aus der vergangenen Legislaturperiode bei der Arbeit des Bundestagsausschusses Digitale Agenda jetzt zu wenig Verwendung finden. Wie könnte man den Ergebnissen einer Datenethikkommission zu mehr Beachtung innerhalb des Parlaments verhelfen?

Die Enquete-Kommission hat viele richtige und wichtige Vorschläge und Handlungsempfehlungen vorgelegt – und diese oftmals auch einstimmig beschlossen. Ich hätte mir auch gewünscht, dass ein paar mehr dieser Empfehlungen aufgegriffen werden. Es wurden natürlich auch viele aufgegriffen, manche warten aber noch auf ihre Umsetzung und sind noch immer relevant. Zwar hat die Internet-Enquete das Thema Digitalisierung ganz oben auf die Agenda des Parlamentes gesetzt. Eine Datenethikkommission mit allen relevanten Akteuren hätte aber die Chance, dass das Thema in der Gesellschaft insgesamt neu verortet werden könnte. Sie wäre aber kein Ersatz für einen parlamentarischen Hauptausschuss.

Wie weit sind andere Länder mit der Beantwortung von ethischen Fragen der Digitalisierung? Woran könnte sich Deutschland ein Beispiel nehmen?

Ich finde es nach wie vor wichtig, dass das Thema Digitalisierung mit dem Ausschuss Digitale Agenda eine entsprechende Verankerung im Parlament hat. Notwendig wäre aber eine weitere Aufwertung des Ausschusses, um dieser wichtigen Funktion gerecht werden zu können. Auch bin ich mir sicher, dass die Digitalisierung auch in der nächsten Legislaturperiode einen solchen Stellenwert einnehmen wird. Auch in anderen Ländern und auch im Europäischen Parlament gibt es Überlegungen, mit welchen Strukturen man dem Querschnittsthema Digitalisierung Rechnung tragen kann.

Schauen wir nach Brüssel: Schafft es die europäische Datenschutz-Grundverordnung, hinsichtlich des Umgangs mit Daten einen adäquaten Rechtsrahmen vorzugeben? Welche Schritte müssen Ihrer Ansicht nach darüber hinaus unternommen werden, um in der Gesellschaft ein Bewusstsein für die Chancen und Risiken der Datennutzung zu entwickeln?

Es ist ein großer Erfolg, ein europaweit hohes und einheitliches Datenschutzrecht zu verankern, dem nun endlich auch alle Anbieter, die in Europa ihre Dienste anbieten, unterliegen. Dies ist nicht zuletzt auch ein Beitrag zu einem fairen Wettbewerb zwischen europäischen und nicht-europäischen Unternehmen. Für die freiheitlich, rechtsstaatlich, sozial und demokratisch verfasste digitale Gesellschaft ist es existenziell, dass die Rechte auf Datensicherheit und Datenschutz nicht nur auf Anforderung beachtet und geschützt werden. Vielmehr müssen die erforderlichen rechtlichen und technischen Rahmenbedingungen geschaffen werden, um Einzelnen die effektive Geltendmachung der individuellen Rechte zu ermöglichen und deren Wahrnehmung zu stärken („empowerment“ und Datensouveränität). Wir wollen die Entwicklung technischer Lösungen, die die Wahrnehmung der Interessen und Rechte der Betroffenen vereinfachen, fördern. Datenschutz und Datensicherheit müssen von vornherein in die Prozesse, Abläufe und Technologien integriert werden („Privacy by design“ und „Privacy by default“). Dort wo Probleme auftauchen, müssen diese gelöst werden.

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