Landwirtschaft 4.0: Bündnis fordert klare Regeln

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Veröffentlicht am 22.01.2020

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Digitale Technologien sind ein Bestandteil der modernen Landwirtschaft. Auf internationaler Ebene soll ein Digitalrat Regierungen beraten. Rund 70 Agrarminister aus aller Welt sprachen sich auf einer Konferenz in Berlin dafür aus. Ein Bündnis aus 22 umwelt- und entwicklungspolitischen Organisationen drängt hingegen auf verbindliche Regeln.

Für die Digitalisierung der Landwirtschaft fehlen verbindliche Regeln und Gesetze, kritisiert ein Bündnis aus umwelt- und entwicklungspolitischen Organisationen. Die Politik müsse dafür sorgen, dass Kleinbäuerinnen und -bauern bei der Digitalisierung beteiligt werden und mitentscheiden können, damit sie und nicht die Agrar- und Digitalindustrie vorrangig von neuen Technologien profitieren. Das Bündnis aus 22 Organisationen, darunter der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Brot für die Welt, Misereor, die Entwicklungsorganisation Inkota und die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), stellte dazu am 14. Januar ein Positionspapier „Landwirtschaft 4.0: Politische Leitplanken für eine sozial gerechte und ökologisch verträgliche digitale Landwirtschaft“ vor. Anlässlich der Konferenz Global Forum for Food and Agriculture (GFFA), die am Wochenende in Berlin stattfand, richten die Organisationen damit sieben Forderungen an die Politik. Höhepunkt des GFFA war das Treffen der Agrarminister*innen aus der ganzen Welt sowie hochrangiger Vertreterinnen und Vertreter von internationalen Organisationen am Samstag.

Bei ihrem Treffen haben 71 Agrarminister*innen die Einrichtung eines Internationalen Digitalrats für Ernährung und Landwirtschaft begrüßt. Der Prozess dazu war im vergangenen Jahr auf dem GFFA 2019 angestoßen worden. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) hat dazu ein Konzept erarbeitet: Der Digitalrat soll Regierungen beraten, den Austausch von Ideen und Erfahrungen vorantreiben und jedem helfen, die Möglichkeiten der Digitalisierung zu nutzen.

Datenaustausch fördern

In ihrem Abschlusskommuniqué bekräftigen die Regierungsvertreterinnen und -vertreter, den Zugang zu Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) erleichtern zu wollen und deren Einsatz zu fördern. Alle Akteure in den Ernährungssystemen sollen mit aktuellen und exakten Informationen versorgt werden. Außerdem wollen sie „Digital Data Governance Frameworks“ für den Austausch und die Wiederverwendung von Daten fördern. Digitale Technologie soll den Handel beleben und den Erzeugern den Zugang zu Risikomanagementmöglichkeiten erleichtern. Der Einsatz von Blockchain-Technologien soll in Erwägung gezogen werden, „um die Integrität und Rückverfolgbarkeit globaler Wertschöpfungsketten voranzutreiben“. Schwierigkeiten für kleine und mittlere Erzeuger und Familienbetriebe sollen besonders berücksichtigt werden.

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Auf Bundesebene hat das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) im vergangenen Jahr ein Kompetenznetzwerk „Digitalisierung in der Landwirtschaft“ gegründet. Das Netzwerk soll vor allem die verschiedenen Projekte nach vorne bringen, die digitale Anwendungen in der Praxis testen – die sogenannten Experimentierfelder. Beispiele dafür sind das Projekt Digimilch, das sich mit der Digitalisierung in der Milcherzeugung beschäftigt oder Landnetz, wobei es um ein flächendeckendes Kommunikations- und Cloudnetz für die Landwirtschaft 4.0 geht. Unter der Leitung der Digitalisierungsbeauftragten des BMEL, Engel Friederike Hessel, sollen in dem Netzwerk Experten aus der Wissenschaft, den Verbänden sowie die Sprecher der Experimentierfelder zweimal jährlich aufeinander treffen.

Zugang zum Internet für alle

Den Zugang zum Internet für alle zu verbessern, ist auch ein Anliegen des Bündnisses der 22 umwelt- und entwicklungspolitischen Organisationen. Die Forderungen gehen aber darüber hinaus. Inkota-Agrarreferentin Lena Luig kritisiert vor allem die Dominanz von Agrar- und Digitalkonzernen. „Die Unternehmen wollen anhand der Daten vor allem immer mehr Kontrolle über Betriebe, Bauern und Bäuerinnen sowie andere Arbeitende in der Landwirtschaft gewinnen und damit ihre Profite steigern.“ Die Bundesregierung müsse für klare Verhaltensregeln sorgen und den Aufbau konzernunabhängiger digitaler Plattformen fördern.

In seiner ersten Forderung spricht das Bündnis die Verfügbarkeit und den Zugang zum Internet an, der für alle Menschen als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge gegeben sein müsse. Nach wie vor trenne eine digitale Kluft die Bevölkerung in der Stadt und auf dem Land sowie auf globaler Ebene zwischen Nord (Europa/Nordamerika) und Süd (Afrika). Es bestehe die Gefahr, dass „vor allem im globalen Süden Digitalkonzerne wie Facebook und Google sich in dieses Vakuum ohne rechtlichen Rahmen begeben und Teilzugänge scheinbar kostenlos bereitstellen, während über die Nutzer*innen teils ohne deren Kenntnis Daten erfasst werden“. Ein Problem sei auch die Differenz in der Internetnutzung zwischen Männern und Frauen, der Gender Gap betrage weltweit 17 Prozent.

Abhängigkeiten nicht verstärken

Digitale Anwendungen müssten sich zweitens an den Bedürfnissen der (klein-) bäuerlichen Erzeuger*innen orientieren. Diese könnten sich teure Technologien kaum leisten, die hohe Ausgaben für Landtechnik, Farmmanagementsysteme und digitale Kenntnisse erfordern. Dadurch könnte sich „die Kluft zwischen ihnen und hochtechnisierten Großbetreiben“ vertiefen. Hoch komplexe Maschinen schaffen, so die Sorge, außerdem Abhängigkeiten etwa von Reparaturdienstleistungen. Das Bündnis will daher, dass immer die Frage nach dem konkreten Nutzen einer digitalen Anwendung für die Landwirte im Zentrum steht.

Eine dritte Forderung zielt auf die Datensouveränität ab. Es bestehe die Gefahr, dass Algorithmen Produktangebote, wie Pestizide und Düngemittel, auf Basis gesammelter Daten vorgeben, warnt das Bündnis. Der Datenschutz und die Regulierung des Erfassens von Daten hinke hinterher. So gebe es bisher keinen gesetzlichen Datenschutz für Betriebs- und Geschäftsdaten und auf EU-Ebene lediglich einen freiwilligen Verhaltenskodex zwischen Agrarindustrie und Bauernverbänden. Autoritäre Regierungen wie in China und Indien könnten die Bevölkerung durch die umfassende Datensammlung zunehmend kontrollieren. Hier fordern die Organisationen die Entwicklung eines Rechtsrahmens.

Wettbewerbsrecht verschärfen

Die Punkte vier und fünf beziehen sich auf die Monopolbildung bei den Konzernen und die Rechte der Beschäftigten. Für den Betrieb digitaler Plattformen würden sich Konzerne häufig zusammenschließen, beispielsweise Landmaschinenhersteller, Datenunternehmen und Saatgut-, Pestizid-, oder Tierarzneimittelhersteller. Dadurch konzentriere sich die Macht immer mehr bei einzelnen Agrar- und Landmaschinenkonzernen. Die Monopolbildung erschwere den Anbieterwechsel. Die Abhängigkeit der Bäuerinnen und Bauern von einzelnen Anbietern werde durch hohe Anschaffungskosten, mangelnde Datenkompatibilität und einen erschwerten Zugang zu Alternativen verstärkt.

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Das Bündnis fordert daher eine Verschärfung des Wettbewerbsrechts in Deutschland und der EU sowie eine strengere Prüfung von Fusionen „zwischen Unternehmen vor- und nachgelagerter Produktionsstufen (wie Saatgut, Pestizide und Datenanalyse)“. Außerdem müsse es Unternehmen untersagt werden, eigene Dienste zu begünstigen. Datenformate müssten interoperabel sein. Der Staat sollte den Aufbau von Rechenzentren oder Clouds für konzernunabhängige Plattformen finanzieren. Für Beschäftigte müssten Fortbildungsprogramme zur Verfügung gestellt werden. Rechte zum Schutz der Privatsphäre und des Beschäftigtendatenschutzes sowie die Mitbestimmung durch Betriebsräte und Gewerkschaften sollten gestärkt werden.

Umwelt schützen und Vielfalt fördern

Die letzten beiden Forderungen des Bündnisses kritisieren den Energie- und Rohstoffverbrauch durch die Digitalisierung. „Anders als oft behauptet, führt eine sogenannte Präzisionslandwirtschaft keineswegs automatisch zur Einsparung von Energie, Pestiziden und Düngemitteln“, sagt Christian Rehmer vom BUND. Vielmehr sei eine umfassende Agrarwende nötig. Positiv sehen die Organisationen hingegen den Austausch von bäuerlichem Wissen durch digitale Technologien. Ihre eigene Forderung nach „Internet für alle“ sehen sie dabei aber auch kritisch. Ihnen sei „der Zielkonflikt zwischen Ressourcenschutz und flächendeckendem Internetausbau“ bewusst. Soziale Gerechtigkeit und Umweltziele sollten daher „im Zentrum der politischen Debatte stehen“. Bäuerliches Wissen und nicht-digitale Systeme, wie bäuerliche, lokale Saatgutbanken müssten weiter gefördert werden. Mischanbau und Agroforstsysteme fänden derzeit bei der Entwicklung digitaler Technologien kaum Beachtung. Das Agrarmodell werde nicht in Frage gestellt. Das Bündnis fordert dagegen, sich am ganzheitlichen Konzept der Agrarökologie zu orientieren.

Tagesspiegel Politikmonitoring

Der vorstehende Artikel erscheint im Rahmen einer Kooperation mit dem Tagesspiegel Politikmonitoring auf der Website des BASECAMP.

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