Jan-Hinrik Schmidt: Wikis, Weblogs und Wissenschaftskommunikation

Dr. Jan-Hinrik Schmidt, Foto: Hans-Bredow-Institut
Veröffentlicht am 09.08.2016

Dr. Jan-Hinrik Schmidt forscht am Hamburger Hans-Bredow-Institut zu digitalen interaktiven Medien und politischer Kommunikation. Dabei beschäftigen ihn Fragen nach den Auswirkungen von sozialen Netzwerken auf die Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft: Können Webanwendungen politische Partizipation fördern? Oder: Wie bestimmt Software unseren Alltag? Auch die Wissenschaft spürt den Einfluss der Sozialen Medien. Als Gastautor auf dem Scilogs-Blog „Wissenschaftskommunikation hoch 3“ schrieb Schmidt hierzu unlängst eine Reihe von Beiträgen. Auf seinem persönlichen Blog „Schmidt mit Dete“ und auf Twitter informiert der Kommunikationswissenschaftler außerdem zu seiner Forschungstätigkeit – bewusst auch für ein nicht-wissenschaftliches Publikum. Nicht jeder Wissenschaftler kommuniziert so selbstverständlich und transparent online. Über die Herausforderungen und Chancen, vor die Facebook, Twitter & Co. deutsche Wissenschaftler stellen, sprach er mit uns im Interview.

Dr. Jan-Hinrik Schmidt
Dr. Jan-Hinrik Schmidt, Foto: Hans-Bredow-Institut

Die sozialen Medien haben die Kommunikationsmöglichkeiten in unserer Gesellschaft revolutioniert. Welchen Einfluss haben Facebook, Twitter und Co. auf die Wissenschaftskommunikation?

Die sozialen Medien haben die Art und Weise wie Wissenschaftler kommunizieren in vielerlei Hinsicht verändert. Zum einen bieten Netzwerke wie Facebook oder Twitter Wissenschaftlern und Wissenschaftsorganisationen neue Kommunikationskanäle und damit die Möglichkeit, neue Zielgruppen über ihre Forschung zu informieren und sich mit ihnen auszutauschen. Zum anderen haben die Sozialen Medien weitere Hürden gesenkt: Ganz normale Bürger können sich einfach im Netz zu wissenschaftlichen Themen informieren und in den Sozialen Netzwerken dazu austauschen. Ihre Bedenken und Positionen werden dadurch sichtbar und fließen in den Diskurs ein. Soziale Medien haben also das Kommunikationspotenzial von zusätzlichen Akteuren, die an Forschung beteiligt werden können, erhöht. Nicht jeder wird dadurch zum Wissenschaftler, aber diejenigen, die sich einbringen möchten, bekommen die Gelegenheit dazu. Das ist wichtig, weil offene Wissenschaftskommunikation kein reiner Selbstzweck ist: Ein Großteil der wissenschaftlichen Forschung wird mit öffentlichen Geldern finanziert und man hat als individueller Wissenschaftler und als Forschungseinrichtung meines Erachtens eine Pflicht, seine Ergebnisse bestmöglich in die Öffentlichkeit zu tragen.

Wie können Wissenschaftler miteinander in Kontakt treten und Informationen teilen? Wie funktioniert Kollaboration in Forschungsteams? Auch bei diesen Fragen zum Kommunikationsfluss innerhalb der Wissenschaftscommunities spielen Soziale Medien eine immer wichtigere Rolle. Schon seit längerem nutzen Wissenschaftler Wikis und Weblogs, um sich mit Kollegen auszutauschen. Wikis sind softwarebasierte Wissenssammlungen, auf denen Texte und andere Inhalte zu bestimmten Themenbereichen bereitgestellt, gemeinsam bearbeitet und ergänzt werden können. Jeder kann ähnlich wie bei dem bekanntesten Wiki – Wikipedia – an den Inhalten mitschreiben. Auf Weblogs können Inhalte mit Forschungsbezug veröffentlicht und verlinkt werden, wie eine Art wissenschaftliches Tagebuch. Die Kommentarfunktion bietet anderen Akteuren die Möglichkeit, solche Inhalte zu kommentieren. Mittlerweile nutzen Wissenschaftler aber auch Netzwerkplattformen wie ResearchGate oder Academia, um sich untereinander zu vernetzen und auszutauschen – diese Plattformen sind quasi das „Facebook der Wissenschaft“.

Woran hapert es, dass (deutsche) Wissenschaftler bislang keinen so großen Zuspruch in den Sozialen Medien gefunden haben?

Die globale Wissenschaftssprache ist Englisch. Wer also auf Deutsch in den sozialen Netzwerken kommuniziert, hat per se eine eher begrenzte Reichweite. Aber die Nutzung von sozialen Medien für professionell-berufliche Zwecke ist durchaus voraussetzungsvoll, und viele deutsche Wissenschaftler stehen noch ganz am Anfang dieser Entwicklung. Zunächst einmal muss man die nötigen Ressourcen für die Präsentation seiner Forschungsaktivitäten und -ergebnisse im Social Web haben, also zwischen Forschungsanträgen und Lehrveranstaltungen genügend Zeit finden, um das berufliche Facebook- oder Twitter-Profil zu pflegen oder ein Weblog mit Inhalten zu füllen. Dann muss man sich kompetent und sicher im Umgang mit diesen Medien fühlen, auch das ist ein Prozess. Jungen Wissenschaftlern fällt dies in der Regel leichter, weil sie auch privat aktiv in den Sozialen Medien sind. Letztendlich ist die Social-Media-Arbeit aber eine Art Kosten-Nutzen-Rechnung: Man muss sich klar darüber werden, welchen Nutzen man aus dieser Aktivität zieht und abwägen, ob es sich lohnt, die Kraft zu investieren. Dann muss man es schaffen, diese Abläufe erfolgreich in den Forschungsalltag zu integrieren. Viele Forschungseinrichtungen organisieren und bündeln Social-Media-Kompetenzen bereits und Social-Media-Redaktionen fungieren häufig als eine Art Pressestelle für die gesamte Organisation. Diese Institutionalisierung der Wissenschaftskommunikation im Netz nimmt definitiv zu.

Wer sich als Wissenschaftler oder Wissenschaftsorganisation öffnet und über die Sozialen Medien kommuniziert, setzt sich aber auch einem höheren Druck aus. Im Dialog mit der Öffentlichkeit muss man sich gelegentlich erklären und manchmal sogar rechtfertigen, auch weil das Gegenüber vielleicht weniger von dem Forschungsbereich versteht als die Kollegen aus der Wissenschaft. Wer zu gesellschaftlich sensiblen oder umstrittenen Themen forscht, kann unter Umständen auch die negativen Seiten der Sozialen Medien kennen lernen, zum Beispiel in Form eines Shitstorms. Das bedeutet, dass wissenschaftliche Ergebnisse und Aussagen aus dem Kontext gerissen werden und sich viral verbreiten. Der Wissenschaftler oder die Forschungseinrichtung erfährt dann über die Sozialen Medien negative Publicity statt gewinnbringenden Dialog – ob gerechtfertigt oder nicht. Unabhängig davon, wie wahrscheinlich so etwas im persönlichen Einzelfall ist – die Furcht vor solch unkontrollierbarer Kommunikation kann Grund dafür sein, warum viele Wissenschaftler noch zögern, in den sozialen Medien zu kommunizieren.

Elise Andrew‘s Wissenschaftsblog „IFLS“ hat bei Facebook inzwischen über 24 Millionen Likes. Lässt sich mit den Sozialen Medien ein neues, junges Publikum für die Wissenschaft begeistern?

Die Möglichkeit, mit einem jungen, wissenschaftsferneren Publikum in Kontakt zu treten besteht definitiv in den Sozialen Medien. Aber man muss sie auch zu nutzen wissen. Bloß weil man als Wissenschaftler ein Twitter- oder Facebook-Profil einrichtet, erreicht man nicht gleich automatisch das gewünschte Publikum. Das ist nicht anders als bei Politikern oder Unternehmen. Auch als Wissenschaftler muss man die – oft ungeschriebenen – Regeln der Sozialen Medien kennen und befolgen, um optimalen Nutzen aus ihnen zu ziehen. Man muss zum Beispiel seine Sprache für einen Blog-Eintrag oder einen Facebook-Posting anpassen, oder Tricks und Kniffe kennen, um Feedback zu erhalten oder sogar virale Verbreitung zu erfahren. Denn die Fangemeinde wird in den Sozialen Medien selbst zum Multiplikator – wer 24 Millionen Fans bei Facebook hat, erreicht auch deren Freunde bei Facebook. Und nicht zuletzt gibt es tolle Möglichkeiten, Forschungsergebnisse multimedial und interaktiv aufzubereiten. All das sind große Vorteile gegenüber klassischen journalistischen Kommunikationsformaten, wie zum Beispiel den Wissenschaftsmagazinen in Print oder Fernsehen.

Das Projekt „Kommunikation zwischen Wissenschaft, Öffentlichkeit und Medien“ der acatech – Akademie für Technik – untersucht auch, ob die Sozialen Medien die Erstellung wissenschaftlicher Inhalte verändert haben. Wie nehmen Sie das persönlich wahr?

Dadurch, dass die Sozialen Netzwerke die Kommunikation zwischen Wissenschaftlern verändern, ändert sich auch der Forschungsprozess allgemein. Wissenschaftler koordinieren sich im Netz untereinander und pflegen so ihre Kontakte mit Kollegen. In den Sozialen Medien wird man auf wichtige Ereignisse wie neue Ausschreibungen und Konferenzen aufmerksam gemacht. Für mich persönlich ist die wissenschaftliche Arbeit ohne die Sozialen Medien gar nicht mehr denkbar. Aber die Frage berührt auch den Kern des wissenschaftlichen Arbeitens: Wenn man Wissenstransfer und Kommunikation als eigentliches Ziel seiner Arbeit betrachtet – und das tue ich –, dann lohnt es sich, die Potenziale von Sozialen Medien zu nutzen. Wenn man sich als Kommunikationswissenschaftler allerdings darauf beschränken möchte, Umfragen durchzuführen und die Ergebnisse in einer Fachzeitschrift zu publizieren, braucht man Twitter natürlich nicht.

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