Europa Digital: Interview mit Ska Keller

Pressefoto: European Green Party
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Veröffentlicht am 14.05.2019

Sie spricht sechs Sprachen und wurde bereits mit 27 Jahren ins Europäische Parlament gewählt. Ska Keller ist Ko-Fraktionschefin der Grünen im EU-Parlament in Brüssel und war schon in der letzten Europawahl 2014 Spitzenkandidatin der europäischen Grünen. Dieses Jahr führt sie gemeinsam mit dem EU-Abgeordneten Sven Giegold die deutschen Grünen in den Europawahlkampf.

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Unter dem Wahlkampf-Slogan „Europas Versprechen erneuern“ legt Bündnis 90/Die Grünen den Schwerpunkt auf das Zusammenwachsen der EU – speziell in Sicherheits- und Umweltthemen. Neben der Einführung von Steuern auf Einweg-Plastik und auf CO2-Ausstoß, fordert die Partei auch eine europäische Digitalsteuer. Keller selbst setzt sich als EU-Abgeordnete für die europäische Migrations- und Handelspolitik ein und plädiert darauf, dass sich die „Ungleichheiten zwischen den Ländern des Globalen Nordens und Südens nicht noch weiter verstärken“.

Was sich Keller für die nächste Legislaturperiode in der Digitalpolitik auf die Fahne geschrieben hat, wie sie „geschickte Politik“ zum Durchbrechen der Monopolbildung digitaler Konzerne nutzen will und was die EU tun muss, um sich im Innovationswettbewerb zu behaupten, hat sie im Interview mit UdL Digital verraten.

Die EU hat sich auf den Weg zu einem Digitalen Binnenmarkt gemacht, was sind aus ihrer Sicht die nächsten großen Schritte in dieser Entwicklung?

Die EU muss ihre Digitalstrategie stark ausbauen, um global mithalten zu können. Unsere Innovationskraft ist auch direkt von der Qualität unserer digitalen Infrastruktur abhängig. Allerdings dürfen dabei keinesfalls die Grundrechte unter den Tisch fallen. Zunächst bauen wir auf die baldige Vollendung des Datenschutz-Pakets mit der e-Privacy-Verordnung. Der nächste große Meilenstein wird dann sicherlich die Reform der e-Commerce-Richtlinie. Hier wird sich zeigen, wie die EU der stetig wachsenden Macht der großen Digitalkonzerne entgegentritt, ohne kleine Plattformen zu gefährden und die Meinungsfreiheit oder andere Grundrechte einzuschränken.

Was kann die EU tun, um europäische Unternehmen zu unterstützen, sich bei Zukunftstechnologien wie der Künstlichen Intelligenz und dem Autonomen Fahren im Innovationswettbewerb mit Asien und Nordamerika zu behaupten?

  • Die EU-Industriepolitik muss die digitale Innovation mit der Ökoeffizienzrevolution und der sozialen Verantwortung verbinden und so ein klares Leitbild entwickeln.
  • Sie muss bestimmte Maßnahmen ergreifen zum Schutz der EU Industrie gegen unfaire Praktiken von Konkurrenten aus Drittländern. Dazu hat die EU bereits wichtige Schritte eingeleitet, wie etwa die neue Anti-Dumping-Regulierung, den Mechanismus zur
  • Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen in sensible Bereiche oder die Thematisierung der Cybersicherheit im Zusammenhang der Entwicklung der 5G-Netze.
  • Die EU darf aber keineswegs nur auf Verteidigung spielen. Eine besonders hervorgehobene Bedeutung hat deshalb die ausreichende Finanzierung von Forschung und Entwicklung in der EU. In diesem Bereich müssen wir klotzen, nicht kleckern. Deshalb fordern wir die Verdopplung des gesamten Forschungsbudgets der EU.
  • Die Industriepolitik muss ergänzt werden durch eine passende Herangehensweise im Außenhandel. Ohne in Protektionismus zu verfallen, müssen wir dafür sorgen, dass ökologische und Arbeitsschutzstandards sowie die Verteidigung von Menschenrechten systematisch in unsere Außenhandelspolitik integriert werden.

Die Gestaltung der Rahmenbedingungen für die Arbeitswelt der Zukunft ist eine zentrale Herausforderung: Welche Rolle kann und sollte die EU dabei spielen?

Die EU sollte in diesem Zusammenhang ihre regulatorische Rolle ernst nehmen, aber auch darüber hinaus gehend einen Orientierungsrahmen für das Handeln der Mitgliedstaaten entwickeln. Spannend finden wir vor allem diese zweite Dimension. Die EU sollte hier erstens auf eine Neubelebung, bzw. Verstärkung des sozialen Dialogs setzen; ohne diesen drohen die Anliegen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern unberücksichtigt zu bleiben. Zweitens durchsetzen, dass in allen Mitgliedsländern soziale Mindestbedingungen garantiert werden. Das geht von einer Rahmenrichtlinie von Mindesteinkommen bis zum Schutz von Gewerkschaftsrecht. Drittens die große Aufgabe der Gestaltung der Weiterbildungswelt anpacken, mit der in Zukunft Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sich immer stärker werden auseinandersetzen müssen. Dabei bedarf es nicht nur der Aufmerksamkeit für die geeigneten Inhalte und Qualifikationen der Weiterbildung, sondern auch eines gesellschaftlichen Konsenses über eine solidarische Antwort auf die Frage nach der Finanzierung dieser gesellschaftlichen Großaufgabe. Wir glauben, dass dabei insbesondere an die Grundprinzipien der gemeinsamen Verantwortung der dualen Berufsausbildung angeknüpft werden sollte.

Welche digitalpolitischen Prioritäten sollten das neugewählte Parlament und die nächste Kommission in den nächsten Jahren setzen?

Die europäische Digitalpolitik soll von den Menschenrechten geleitet sein und sich auf die Prinzipien der Offenheit und der Nachhaltigkeit stützen. In der nächsten Legislaturperiode sollte das Datenschutzpaket mithilfe der e-Privacy-Verordnung, die bislang auf Eis liegt, endlich vollendet werden. Digitale Geschäftsmodelle und die sogenannte Plattformökonomie stellen uns vor neue Herausforderungen. Die EU muss die Monopolbildung durchbrechen, zum Beispiel durch verpflichtende Interkonnektivität, das heißt, den vereinfachten Umzug von Daten zu anderen Anbietern. Wir wollen auch eine am Umsatz orientierte europäische Digitalsteuer einführen, um das Steuerdumping digitaler Konzerne zu unterbinden. IT-Sicherheit ist ein heißes Thema, das für den Schutz der Verbraucherinnen und Verbrauchern relevant wird: Immer mehr Geräte hängen am Internet und werden so zum Sicherheitsrisiko. Hier müssen verbindliche europäische Standards her, so wie wir sie von analogen Produkten bereits kennen. Insgesamt sehen wir die Digitalisierung als riesige Chance für die EU, die durch geschickte Politik gestärkt und begleitet werden sollte.

Eine abschließende Frage zur „State of the Union“: Die europäische Einigung hat an Schwung verloren und an Gegnern gewonnen. Welche Reformen sind notwendig, um die Europäische Union mit neuem Leben zu füllen und die Bürgerinnen und Bürger mitzunehmen?

Europa steht vor immensen Herausforderungen. Es gilt, auf zentrale Fragen der nächsten Jahre wie die Klimakrise oder die bröckelnde internationale Ordnung Antworten zu finden. Ein Land allein kann dies nicht leisten – dafür brauchen wir eine gemeinsame Stimme und das Vertrauen der Europäerinnen und Europäern. Doch dieses Vertrauen ist vielerorts verloren gegangen, sei es infolge von Demokratiedefiziten oder nicht eingelöster Versprechen eines sozial gerechten Europas. Daran zu arbeiten ist unser Anspruch. Wir wollen statt eines Europas des Sparzwangs eines, das für Wohlstand, Freiheit und Gerechtigkeit für alle steht, Steuerschlupflöcher schließt und in die Zukunft seiner Bürgerinnen und Bürger investiert. Wir streiten für eine demokratische und transparente Politik, verbindliche Lobbyregister und eine mehr Mitbestimmungsrechte der Bürgerinnen und Bürgern durch Stärkung sowohl der Europäischen Bürgerinitiative als auch des europäischen Parlaments als direkt gewähltes Gremium.

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