E-Gesundheitskarte: Doch nicht vor dem Aus, aber problemgeplagt

eGK bringt Digitalisierung in Arztpraxen, CC-by 2.0 by Flickr User Hamza Butt / Bildname: Doctor / Ausschnitt bearbeitet
Veröffentlicht am 15.08.2017

Von Plänen in der Bundesregierung, die elektronische Gesundheitskarte (eGK) nach der Bundestagswahl im September für gescheitert zu erklären, berichtete die Süddeutsche Zeitung in der vergangenen Woche. Das Mammutprojekt des deutschen Gesundheitssystems, das nach Berechnungen des Bundesverbands der Innungskrankenkassen bereits 1,7 Milliarden Euro gekostet hat, stehe praktisch vor dem Aus, heißt es in den Berichten der Süddeutschen und der dpa. Zitiert werden u.a. der Vorstandsvorsitzende der AOK Bayern, Helmut Platzer, sowie der Vorstandschef der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Bayern, Wolfgang Krombholz. Dies gab mitten in der parlamentarischen Sommerpause Anlass für reichlich Spekulationen und Dementi. Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) kritisiert die Mutmaßungen als „Blödsinn“. Die Gesellschaft für Telematik (gematik) hält an dem durch das E-Health-Gesetz vorgegebenen Zeitplan fest.

Bundesgesundheitsministerium dementiert

Eine Sprecherin des Bundesgesundheitsministeriums sagte dem Tagesspiegel Politikmonitoring, die Behauptung in den Medien „entbehrt jeder Grundlage und ist gelinde gesagt Blödsinn“. Sie verweist auf den im E-Health-Gesetz verankerten Zeitplan für die eGK und das darin ebenfalls enthaltene Sanktionssystem bei mangelnder Umsetzung in der Praxis. Vielmehr sei nach zwölf Jahren „endlich Schwung in die Digitalisierung des Gesundheitswesens gekommen“. Die „Beteiligten auf allen Ebenen“ mahnt das BMG, ihrer eigenen Verantwortung nachzukommen, statt sich an Mutmaßungen zu beteiligen. Auch bei der gematik, die im Juni in Bezug auf den gestarteten Online-Produktivbetrieb der Telematikinfrastruktur (TI) und die Einführung der ersten Anwendung der elektronischen Gesundheitskarte von einem erreichten „Meilenstein“ sprach, hieß es auf Anfrage des Tagesspiegel Politikmonitorings, dass man sich an alle Fristen halte, um den Auftrag nach dem E-Health-Gesetz umzusetzen.

Seitens der Sozialdemokraten dementierte der SPD-Gesundheitspolitiker und -Fraktionsvize Karl Lauterbach, dass das Projekt Gefahr läuft zu scheitern. Auch der Verband der Ersatzkassen (vdek) stellt sich hinter das Projekt elektronische Gesundheitskarte und die Telematikinfrastruktur. „Die bisherigen Verzögerungen sollten nicht dazu verleiten, dieses wichtige Projekt jetzt komplett infrage zu stellen“, sagte die Vorstandsvorsitzende Ulrike Elsner am 8. August.

Tatsächliche Probleme

eGK bringt Digitalisierung in Arztpraxen, CC-by 2.0 by Flickr User Hamza Butt / Bildname: Doctor / Ausschnitt bearbeitet

Nicht wegzureden sind jedoch die realen Verzögerungen bei der Einführung der eGK und die wachsende Zahl an Insellösungen. So musste etwa die Frist für die verpflichtende In-frastruktur in den Arztpraxen und Krankenhäusern auf Ende 2018 verschoben werden – weil nur ein Anbieter derzeit die nötige Lizenz beim Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) erhalten hat. VPN-Konnektoren, die die Praxen und Krankenhäuser mit der Telematikinfrastruktur verbinden, sind derzeit noch so teuer, weil es praktisch keinen Wettbewerb von zertifizierten Anbietern gibt, berichtet Heise Online.

Darüber hinaus haben die Kassen bei der Ausgestaltung der Patientenakte, die ab 2019 zur Verfügung stehen soll, freie Hand. Nicht überraschend war deshalb die Ankündigung der Techniker Krankenkasse im Februar dieses Jahres, mit IBM an einer gemeinsamen elektronischen Akte zu arbeiten. Alternative Vorstöße loten auch Barmer und AOK derzeit aus. Als Koordinierungsstelle für EPA-Standards bringt sich nun die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) ins Spiel. Die elektronische Patientenakte ist nach Ansicht von KBV-Vorstand Thomas Kriedel nämlich nur nutzbar, wenn sichergestellt ist, dass Ärzte keinen zusätzlichen Aufwand haben, wenn sie unterschiedliche Systeme von verschiedenen Kassen nutzen müssen. Das BMG hält nichts von solchen „Insellösungen“.

Vor dem Hintergrund dieser Probleme und Unsicherheiten bei der weiteren Einführung der Anwendungen der elektronischen Gesundheitskarte will der Verband der Versandapotheken (BVDVA) „zumindest Teilprojekte wie den elektronischen Medikationsplan oder gar das digitale Rezept“ priorisiert sehen. Vorstand Christian Buse fürchtet, dass Deutschland sonst den Anschluss bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens verliert.

Bayern setzt eigene Akzente

Nicht den Anschluss verlieren will offenbar auch die Bayerische CSU-Staatsregierung. Im Bundesland der in den Medienberichten zitierten zweifelnden Gesundheits-Funktionäre setzt man eigene Akzente. So zum Beispiel im Rahmen des milliardenschweren Maßnahmenpakets „Bayern Digital II“, das Ministerpräsident Horst Seehofer im Juli bei einer Regierungserklärung im Bayerischen Landtag vorstellte. Die Staatsregierung will im Rahmen einer Zukunftsinitiative „Digitale Medizin“ das Modellprojekt „Meine Gesundheitsakte digital“ in Nordbayern starten und vom kommenden Jahr an in der Modellregion Datensätze wie Notfalldaten, Mutterpass, Informationen aus Fitnessarmbändern und Krankenhäusern in einem virtuellen Patientenordner speichern lassen. Nach Ansicht der Gesundheitsministerin und approbierten Ärztin Melanie Huml ist die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte „seit Jahren höchst unbefriedigend“. Die Schuld dafür sieht sie bei den Industriepartnern. Sie fordert für die nächste Legislaturperiode „rasch ein e-Health-Gesetz II“.

Laumann will Patienten Zugang verschaffen

Der ehemalige Patienten- und Pflegebeauftragte der Bundesregierung und neue nordrhein-westfälische Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) bringt aktuell eine weitere Funktion der Gesundheitskarte ins Spiel: Patienten sollen die Karte, auf der ihre sensiblen Daten gespeichert sind, selbst auslesen dürfen – „vom Heim-PC, vom Tablet oder vom Smartphone“, sagte er dem Kölner Stadt-Anzeiger. Damit solle ein echter Mehrwert auch für die Patienten selbst geschaffen werden. Der Landesminister kündigte auch eine Bundesratsinitiative seitens NRW an, sollte die neue Bundesregierung nach der Wahl den Weg für eine solche Kartenfunktion nicht freimachen.

Der vorstehende Artikel erscheint im Rahmen einer Kooperation mit dem Tagesspiegel Politikmonitoring auf UdL Digital. Lina Rusch schreibt über Netzpolitik und beobachtet die Landespolitik.

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