Die digitale Erweiterung des Menschen

Veröffentlicht am 16.12.2013

„Wie meine Entdeckung genutzt wird, liegt nicht in meiner Hand“, dachten sich vermutlich die Erfinder und Entwickler von Glasfaserkabel und Halbleiterchips, als sie den Weg für die Digitalisierung ebneten. Noch sind die Stimmen nicht verstummt, die darin eine zwiespältige Revolution sehen und sich sorgen, ob das Internet tatsächlich dem Wohl der Menschen diene. Seitdem die vielfältigen Alltagserfahrungen das Schreckgespenst Internet inzwischen weitgehend entzaubert haben, sind die ablehnenden Stimmen weniger und leiser geworden. Doch Kritiker haben nun die feine Linie zwischen Berufs- und Privatleben im Visier, welche durch die globale Vernetzung und ständige Erreichbarkeit über neue Medien immer mehr verschwimmt.

Das Vorstellungsvermögen für digitale Belange ist höchst verschieden

Wie schwer vorstellbar und wenig greifbar das Internet und Daten in digitaler Form noch vor wenigen Jahren waren, zeigt eine Frage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Rahmen einer öffentlichen Anhörung der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ im Juli 2010. „Wann wird die Digitalisierung von Unternehmen und der Arbeitswelt abgeschlossen sein?“, wollten die Konservativen wissen. Die Frage offenbart das – für die Digitalisierung zu einfache – Denken in abgeschlossenen Prozessen und zeigt rückblickend das Unverständnis einer ganzen Generation für Ausmaß und Tiefgründigkeit des Umbruchs. So lautete die Antwort der Experten entsprechend, ein „Abschluss“ der Digitalisierung der Arbeitswelt – „sollte es einen solchen jemals geben können“ – sei in absehbarer Zukunft nicht zu erkennen.

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Die Grenze zwischen Arbeit und Privatleben wird durchlässiger

Mittlerweile häufen sich Studien über diverse Beeinträchtigungen im Privatleben von Arbeitnehmern, die die erhöhte Erreichbarkeit durch neue Kommunikationsmedien als Ursache benennen. Während manche Angestellten sie als erschöpfend empfinden, schätzen andere die Flexibilität ihrer Existenz als „digitale Nomaden“. Ein Versuch der Yahoo-Chefin Marissa Mayer, die Möglichkeit des Home Office abzuschaffen und die Präsenzpflicht der Arbeitnehmer wieder einzuführen, traf damals sowohl auf Spott als auch auf harsche Kritik. Ein Zurückrudern in alte, starre Arbeitsstrukturen und das Aufgeben neuer Beschäftigungsmodelle kommt für die meisten inzwischen nicht mehr in Frage. Der BITKOM lässt zu diesem Phänomen regelmäßig Studien über die Erreichbarkeit von Berufstätigen durchführen. Waren im Juli 2011 knapp ein Drittel der Beschäftigten auch außerhalb der regulären Arbeitszeit erreichbar, so waren im April 2013 bereits drei Viertel der Mitarbeiter per Mail oder Handy ansprechbar. Fällt es den Menschen innerlich schwer, sich von ihren Medien zu trennen oder spielt ein gesellschaftlicher Druck von außen eine größere Rolle?

Technik als ergänzendes Element der Kommunikation

Der Medientheoretiker Marshall McLuhan erklärte in den 1960er Jahren in seiner Abhandlung „Understanding Media“, dass Medien bzw. Technologien „extensions of man“ seien, also eine Erweiterung des Menschen. Das Smartphone erweitert und verlängert folglich die Reichweite unserer Kommunikation, die wir sowieso schon betreiben. Aus dieser Perspektive dehnen sich lediglich die Möglichkeiten aus, Informationen aufzunehmen und zu verbreiten und es besteht keine Feindschaft oder Konkurrenz zwischen Mensch und Technik. Untersagte man einem Menschen den Zugang zum Internet, käme es einem Verbot gleich, auf die Straße zu gehen. Darf eine Person ihr Handy nicht benutzen, ist das heutzutage fast so, als würde man ihr das Hören und Sprechen mit anderen Menschen verbieten.

Wann man sich bewusst dafür entscheidet, die Straße zu meiden oder die Ohren zu schließen, ist auch in dieser Zeit, auch in einer digitalisierten Gesellschaft, eine Entscheidung jedes Einzelnen – ob auf dem Arbeitsplatz oder im Privatleben. Introvertierte Menschen brauchen weiterhin ihre Ruhe und Rückzugsmöglichkeiten, während Extrovertierte ihre Energie oft aus der kommunikativen Gesellschaft anderer ziehen – diese menschlichen Tendenzen bleiben unabhängig von den technischen Gegebenheiten bestehen.

Vom Feuer bis zur Digitalisierung

In den Anfängen des Internets – als man begann, die gesellschaftlichen Implikationen zu erahnen – wurden Parallelen zur Entdeckung von Feuer und Rad gezogen. Seitdem sind die analogen Momente im Leben vieler Menschen seltener geworden und der digitalen Kommunikation gewichen – beruflich wie privat. Wenn demnächst das Telefonieren und Surfen auch im Flugzeug möglich ist, wird der Kreis der unvernetzten Orte auf der Welt noch einmal kleiner. Wenn der Zeitpunkt kommt, an dem dieser Kreis sich schließt, kann vielleicht auch die Frage der Unionsfraktion nach der Abgeschlossenheit der Digitalisierung neu diskutiert werden.

Der vorstehende Artikel erscheint im Rahmen einer Kooperation mit dem Berliner Informationsdienst auf UdL Digital. Aylin Ünal ist als Redakteurin des wöchentlich erscheinenden Monitoring-Services für das Themenfeld Netzpolitik verantwortlich.

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