BASECAMP Trend2Go – Satellitenkonnektivität: Ein Orbit voller Chancen, doch noch herrscht Wildwest im Weltall

Foto: Henrik Andree
Foto: Henrik Andree
Veröffentlicht am 11.04.2024

Einen neue Raumfahrtstrategie der Bundesregierung hat 2023 die deutsche Weltallstrategie von 2010 abgelöst, denn Raumfahrt ist raus aus der Nische und zählt inzwischen zur „kritischen Infrastruktur“. „Es ist in der Breite gar nicht bekannt, wie wichtig das Weltall für uns ist“ erklärte Anna Christmann, grüne Bundestagsabgeordnete und Koordinatorin für die deutsche Luft- und Raumfahrt sowie Ansprechpartnerin für Startups, in der Veranstaltungsreihe „Trend2Go“ – im BASECAMP von O2 Telefónica in Berlin-Mitte.

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Warum ist das All plötzlich so wichtig für uns?

Seit die alte Strategie entwickelt worden war, habe sich die Zahl der Satelliten vervielfacht auf heute rund 8.000 -10.000. „Satelliten sind ganz wesentlich für unsere Versorgung“, antwortete Christmann auf die Frage von Moderatorin Nicole Nehaus-Laug „Warum ist das All plötzlich so wichtig für uns?“. Energie, Kommunikation, Navigation, GPS und speziell für Europa die Galileo-Daten, „davon sind wir heute schon abhängig“, nannte Christmann Beispiele für die wachsende Bedeutung von Satelliten-Verbindungen in einer möglichst flächendeckenden Konnektivität. Ob Wetterbeobachtung und Klimamodelle, Landwirtschaft, Messung von Wasserqualität oder die Entdeckung und Bekämpfung von Waldbränden, für alles werden Satelliten gebraucht. Deshalb wolle die Bundesregierung auch Startups mit neuen Ideen zur Satellitenkonnektivität mit den etablierten Unternehmen aus der Luft- und Raumfahrt sowie den großen Telekommunikationsanbietern zusammenbringen.

Katrin Bacic, Dr. Anna Christmann, Nicole Nehaus-Laug | Foto: Henrik Andree
Katrin Bacic, Dr. Anna Christmann, Nicole Nehaus-Laug | Foto: Henrik Andree

Keine Konkurrenz für Telekommunikationsanbieter

Ein NewSpace Startup war an diesem Abend auch vertreten in Person von Katrin Bacic, CEO von UNIO Enterprise, einem Unternehmen, dass sich als Firma für Satellitenkonnektivität in Deutschland zum Ziel gesetzt hat, bis 2027 eine flächendeckende Konnektivität mit rund 250 Satelliten im niedrigen Orbit (LEO Low Earth Orbit) in rund 300 Kilometer Höhe aufzubauen. Dabei setzt UNIO auf ein hybrides Netz, das mit 5G durch Glasfaser terrestrische Konnektivität nutzt, wo sie vorhanden ist, aber die Lücken in dünn besiedelten Gegenden oder auf hoher See mithilfe der Satelliten schließt. Daher sei Satellitenkonnektivität „keine Konkurrenz für die Telekommunikationsanbieter, sondern eine Chance für Kooperation bei einer neuen Technologie“. Für UNIO zeigte sie sich zuversichtlich:

„Im kommenden Jahr werden die ersten Satelliten ins All geschossen“,

erklärte Bacic, früher Mitarbeiterin bei O2 Telefónica.

Warum das Thema Satellitenkonnektivität plötzlich überall aufgegriffen werde, so Christmann, liege auch an der eminent wichtigen und der Öffentlichkeit bekannt gewordenen Hilfe von „Starlink“ für die von Russland angegriffene Ukraine. Für demokratische Gesellschaften sei es aber nicht gut, meinte die Politikerin von Bündnis 90/Die Grünen, wenn es nur einen Anbieter gebe und sie damit abhängig seien. Zusätzlich zu einer größeren Vielfalt kämen in der Weiterentwicklung auch neue Use Cases dazu wie bei UNIO.

Dr. Anna Christmann | Foto: Henrik Andree
Dr. Anna Christmann | Foto: Henrik Andree

Wie sieht die europäische Lösung aus?

Mehr Vielfalt bei den Betreibern von Satellitenkonnektivität stärke die Resilienz durch Backups, machten aber auch mehr verschlüsselte Kommunikation möglich. In diesem Bereich werde es noch viele Innovationen geben in Richtung „Direct Device“, also Satellitenempfang auf dem Handy statt mit großen Satellitenschüsseln oder langen Antennen. „Es ist ein sehr spannendes Szenario“, und werde für die Regierung besonders im Katastrophenfall interessant, wenn es ohne große Ausstattung eine flächendeckende Kommunikation gebe.

Christmann begrüßte es, dass die EU mit Iris Square“ (Iris²) eine Satelliten-Infrastruktur für „Resilienz, Interkonnektivität und Sicherheit“ aufbauen wolle, die sichere Kommunikation der Staaten ermögliche, aber auch Startups im Auge habe. Bacic ergänzte, dass sogar 30 Prozent des Systems von Startups kommen solle. Eine der Differenzen der deutschen Regierung mit den EU-Plänen sei allerdings, dass die kommerziellen Use Cases und die großen Telekommunikationsanbieter in den EU-Plänen noch zu wenig berücksichtigt würden, erklärte Christmann auf eine Zuschauerfrage.

Wer hat die Nase vorn und gibt es ein Wettsatellitenrüsten im All, wenn geschätzt bald 42.000 Satelliten ihre Bahn durch den Orbit ziehen sollen, fragte Nehaus-Laug. Von den über 8.000 Satelliten derzeit gehörten rund 5.000 zu „Starlink“, China habe ein eigenes Netz mit bisher etwa 600 Satelliten aufgebaut zählte Bacic auf. Auch das zeige, weshalb der Aufbau eines europäischen Netzes sein müsse.

Katrin Bacic | Foto: Henrik Andree
Katrin Bacic | Foto: Henrik Andree

„Der Weltraum wird immer voller, deshalb ist mehr Nachhaltigkeit dort so wichtig“,

erklärte Christmann. Es brauche mehr intelligente Steuerung, damit Satelliten einander ausweichen könnten. „Weltraumschrott entsteht am schlimmsten, wenn Satelliten zusammenstoßen.“ Und sie forderte: „Alle Satelliten und Raketen, die hinaufgehen, müssen wieder runter und in der Erdatmosphäre verglühen oder landen“. Satellitenbesitzer müssten registriert und im Notfall erreichbar sein. Auch die Astronaut*innen in der Internationalen Raumstation ISS seien schon durch Weltraumschrott in Gefahr gekommen. Es brauche Regeln im Orbit, aber „noch herrscht Wildwest im Weltraum“, beschrieb es die Raumfahrt-Koordinatorin. Die UNO bemühe sich, Regeln aufzustellen, was bei Mitgliedern wie den USA, China oder Russland mit sehr divergierenden Interessen und nicht der Absicht, sich „in die Karten schauen zu lassen“, keine leichte Aufgabe darstelle.

Was kann die Space-Industrie von der „Telko“-Industrie lernen? „Den hundertprozentigen Kundenfokus“, antwortete Bacic sofort. „In der Raumfahrt gibt es noch eine gewisse Romantik, darin verlieren sich manche“, statt an das Kundeninteresse zu denken. Der Wandel zeige sich auch im Launch-Bereich, ergänzte Christmann. Früher gab es die NASA oder die Ariane der ESA, jetzt kauft der Staat den Raketen- oder Satellitenstart.

„Wir wollen weg von der staatlichen Manufaktur zu Privatunternehmen, die ihre Dienstleistung anbieten.“

Dafür wolle die Regierung auch das Wagniskapital fördern, das in den USA schneller fließe. „Wir waren länger in der traditionellen Welt unterwegs“, umriss Christmann den Unterschied.

Auf wissenschaftliche Expertise in der Raumfahrt wolle man aber nicht verzichten, betonte Christmann. Die Forscher*innen im All würden gebraucht, zum Beispiel um einen digitalen Zwilling der Erde zu erstellen, an dem wir lernen können, wie unser Planet auch in 20 Jahren noch bewohnbar ist.

Weitere Impressionen von der Veranstaltung:

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